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De Gaulles Kaderschmiede ENA in der Kritik

Oliver Ilan Schulz10. Oktober 2005

Die französische Verwaltungshochschule ENA muss zum 60. Geburtstag viel Kritik aus Politik und Gesellschaft einstecken. Dennoch bleibt ihr Prestige unübertroffen.

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Die zwei ENA-Absolventen Chirac und de Villepin stehen an der Spitze FrankreichsBild: AP

Am Sonntag (9.10.2005) feierte ein französisches Unikum seinen 60. Geburtstag: Die Elite-Verwaltungshochschule ENA (École nationale d'administration). 1945 von General de Gaulle ins Leben gerufen, soll sie für Spitzenbeamten eine einheitliche, möglichst breit gefächerte Ausbildung anbieten. Ein anonymer Eingangstest gewährleistet eigentlich gleiche Einzugschancen für alle Bewerber - und doch steht die Institution zu ihrem Jubiläum wieder als elitäre, technokratische und realitätsferne Kaderschmiede in der Kritik. "Énarchie" und "Énarques" sind für die Franzosen gängige Begriffe, wenn es um Willkür im Staatsapparat und bei seinen Repräsentanten geht, die Ähnlichkeit mit dem Wort Monarchie ist dabei kein Zufall. Dennoch bleibt die ENA die prestigereichste Schule Frankreichs. Jacques Chirac ist ebenso ENA-Absolvent wie der frühere Präsident Giscard d'Estaing. Der amtierende Premier de Villepin und sieben weitere Minister der aktuellen Regierung haben die Verwaltungsschule besucht. Insgesamt hat die Schule seit ihrer Gründung über 8000 Beamte ausgebildet. 2,5 Prozent davon haben ein Wahlmandat in Frankreich oder Europa ausgeübt.

Egalitären Anspruch nicht erfüllt

Obwohl die ENA für alle offen sein sollte, belegen soziologische Studien, dass überwiegend die Kinder der staatlichen, wirtschaftlichen und intellektuellen Elite die Aufnahmetests bewältigen. Inzwischen sind die Kinder früherer ENA-Absolventen stark überrepräsentiert und schneiden in der Karriere entscheidenden Rangliste der Absolventen überdurchschnittlich gut ab. Hier reproduziert eine Elite sich selbst. Der frühere französische Innenminister Jean-Pierre Chevènement charakterisierte das Ranking-System einmal wie folgt: "Die ENA, das sind ganz einfach zwei Ranglisten: Eine am Anfang und eine am Ende. Dazwischen: Nichts. Vor allem keine Forschung, keine ernsthafte und fundierte Arbeit."

Harte Kritik an der Institution kommt aus Wirtschaftskreisen. Für sie steht die ENA für übertriebene Staatsmacht und Reformblockaden in Frankreich. "Die ENA ist die sichtbarste Inkarnation des Staates, deswegen musste sie immer als Punching-Ball herhalten", zitiert das französische Wirtschaftsmagazin "L'Expansion" Arnaud Teyssier, den Vorsitzenden der Ehemaligen der ENA.

Eliteuniversität ENA in Paris
Au revoir Paris! Früher war die ENA in diesem Gebäude in der Hauptstadt, heute ist sie in StraßburgBild: dpa - Bildarchiv

Zu den unnachgiebigsten Kritikern der ENA gehört Bernard Zimmern, Énarque und Vorsitzender des wirtschaftsliberalen Thinktanks IFRAP, der die staatliche Verwaltung in Frankreich analysiert und vor allem ihre Missstände aufzeigt. In einer Art Schwarzbuch auf ihrer Webseite wirft IFRAP den Énarques im Staatsdienst eine beispiellose Selbstbedienungsmentaltität vor: Dienstwohnungen, Schaffung hoch dotierter Posten, Privilegien. Am Schlimmsten zeige sich die Inkompetenz der ENA-Abgänger in der freien Wirtschaft. Paradebeispiel ist hier der frühere Vivendi-Chef Jean-Marie Messier. Unter seiner Führung hätte der Konzern 72 Milliarden Euro Verluste verbucht. "Wenn die ENA als Weiterbildungsstätte erhalten bliebe, würde ich das begrüßen. Aber als eine Ausbildungsstätte für hohe Beamte, die nur reglementieren, kontrollieren und verteilen, ohne selbst Wohlstand zu produzieren, bin ich für ihre Abschaffung."

Unfreiwilliger Umzug in die Provinz

Davon ist man noch weit entfernt. 2004 waren rund 1000 Schüler für die 27-monatige Ausbildung an der ENA eingeschrieben, fast ein Drittel davon kommen aus anderen EU-Staaten. Zu den übergreifenden Themen Europa, Raumplanung und Management absolvieren sie Unterrichts- und Praxisphasen. Für den Schulbesuch muss die französische Elite allerdings die Hauptstadt verlassen: Um zu zeigen, dass der französische Staat es ernst meinte mit Dezentralisierung, wurde 1991 der Umzug der Institution nach Straßburg beschlossen, der wegen vieler Widerstände aber erst 2005 umgesetzt war. Ein wichtiger symbolischer Akt, der allerdings die Betriebskosten immens in die Höhe trieb und die Studenten von den Entscheidungszentren und ihren Akteuren entfernte. Denn die ENA hat kein eigenes Lehrpersonal, sie rekrutiert hohe Verwaltungsbeamte, Unternehmer und Politiker. Die sind in Frankreich aber traditionell in Paris ansässig.

Anlässlich ihres Geburtstags ließ die ENA ihre Beziehungen spielen: Sie organisierte eine Konferenzreihe, an der der französische Premierminister Dominique de Villepin, natürlich selbst ENA-Abgänger, und der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso teilnahmen.