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Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen

Kay-Alexander Scholz22. Juni 2015

Damenstrumpfhosen haben sie zum Beispiel produziert, die politischen Häftlinge in der DDR. Eine neue Studie der Bundesregierung gibt Einblicke in das Leben der DDR-Zwangsarbeiter, die es offiziell gar nicht gegeben hat.

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DDR Frauenstrafvollzug in Stollberg-Hoheneck (Foto: Wolfgang Thieme pixel)
Bild: picture alliance/ZB

In der DDR gab es von 1949 bis 1989 zwischen 250.000 und 300.000 Bürger, die aufgrund ihrer politischen Einstellung ins Gefängnis kamen. Im ersten Jahrzehnt nach Gründung der DDR waren es besonders viele. Am Ende, in den 1980er-Jahren gab es immer noch zwischen 3000 und 4000 neue Häftlinge pro Jahr im Osten Deutschlands. Viele von ihnen saßen wegen des Verdachts der "Republikflucht" hinter Gittern, sie wollten weg aus der DDR-Diktatur. Bis zu 1000 von ihnen wurden damals - pro Jahr - von West-Deutschland freigekauft und entkamen so dem Gefängnis und dem Terror der Staatssicherheit, des Geheimdienstes der DDR - auch Stasi genannt.

Die politischen Häftlinge wurden ähnlich wie kriminelle Häftlinge zu Arbeitseinsätzen zum Beispiel in der Textil- oder Chemieindustrie eingesetzt, um volkswirtschaftliche Lücken zu stopfen. Da sie aber zu Unrecht inhaftiert waren, ist ihre Arbeit als Zwangsarbeit einzustufen. Die "Ost-Beauftragte" der Bundesregierung, Iris Gleicke, hat nun in Berlin eine von ihr in Auftrag gegebene Studie vorgestellt, die über das System der Zwangsarbeit für politische Häftlinge in der DDR aufklären soll.

Die Ostbeauftragte Iris Gleicke (Foto: epd)
Iris Gleicke ist Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, also die ehemalige DDRBild: imago/epd

Offiziell hätte es politische Häftlinge in der DDR gar nicht gegeben, heißt es in der Studie. In den ersten DDR-Jahren saßen sie in allen Gefängnissen der DDR ein - zusammen mit Kriminellen. Später wurden sie auf ein halbes Dutzend Standorte verteilt. So gab es Gefängnisse, die auf die spätere Abschiebung der Häftlinge in den Westen spezialisiert waren. An die Öffentlichkeit durfte das natürlich nicht kommen.

Zwangsarbeit war volkswirtschaftlich eingeplant

Spätestens mit Beginn der Ära Erich-Honecker 1971 sei die Arbeitsleistung der Strafgefangenen, inklusive der politischen Häftlinge, fester Bestandteil der zentralen Wirtschaftsplanung gewesen, sagte der Autor der Studie Jan Philipp Wölbern vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Jährlich habe es zwischen 15.000 und 30.000 arbeitende Häftlinge gegeben. Wölberns Erkenntnisse beruhen auf der Auswertung von Akten der Staatssicherheit, zentralen Häftlingsdateien und von persönlichen Haftberichten. Die politischen Häftlinge sollten vor allen Dingen sogenannte Devisen erwirtschaften, erklärte Wölbern. So mussten die Häftlinge zum Beispiel Damenstrumpfhosen produzieren, die dann nach West-Deutschland verkauft und dort in West-Mark bezahlt wurden. Dadurch sei die DDR an Devisen gekommen, die wiederum dafür verwendet wurden, im Westen Konsumgüter zu kaufen, die im Mangel-System der DDR fehlten.

Die Studie zeige, dass Unrecht in der DDR nicht nur an der Staatssicherheit festgemacht werden könne, sondern die DDR als Ganzes ein Unrechtssystem gewesen sei, an dem viele beteiligt waren, sagte der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn. Beim Thema Zwangsarbeit, das habe die Studie bestätigt, habe die SED-Partei, also die politische Führung der DDR eine bedeutende Rolle als zentrale Planungsinstitution gespielt.

Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen, Roland Jahn (Foto: dpa)
Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, fordert mehr Aufklärungswillen bei damals beteiligten FirmenBild: picture-alliance/dpa

Häftlinge für die "Drecksarbeit"

Subjektiv, so ein Fazit der Forschungen, hätten viele Häftlinge die Arbeit als gar nicht so negativ beschrieben, weil sie vor dem Hintergrund von Isolation und Nichtstun eine willkommene Abwechslung gewesen sei. Allerdings seien die Arbeitsbedingungen oftmals härter als für die anderen Häftlinge gewesen: Es galten höhere Normen, viele mussten in Nachtschichten arbeiten oder besonders schwere oder gefährliche Arbeit, die "Drecksarbeit", leisten. Arbeitsschutz und medizinische Betreuung seien mangelhaft gewesen.

Das bestätigte Christian Sachse, Beauftragter der Union der Opfer Gewaltherrschaft. Er vertritt hunderte Opfer von Zwangsarbeit. Mal musste hochgiftiges Quecksilber mit Besen und Schaufel aufgekehrt werden, berichtete Sachse. Andere seien auf Dauer Schwermetall-Dämpfen ausgesetzt gewesen, die wahrscheinlich ihre spätere Krebserkrankung verursacht hätten.

Viele Fragen bleiben

Roland Jahn forderte, dass diese Folgen der Haft wissenschaftlich besser untersucht werden müssten. Denn noch ist die Faktenlage darüber dünn, es gibt erst wenige Studien dazu. Einer breiteren Öffentlichkeit ist das Thema erst seit 2012 bekannt. Damals hatte der schwedische Möbelkonzern Ikea eingeräumt, seit den 1980er-Jahren vom Einsatz politischer Häftlinge in der DDR für seine Möbelproduktion gewusst zu haben.

Jahn sagte, gerade auch die Rolle der Firmen müsste näher untersucht werden. Es mangele an Aufklärungswillen. 6000 von ihnen seien am innerdeutschen Handel zwischen der DDR und der BRD beteiligt gewesen. 100 Westfirmen, so schätzt man, hätten ihre Produkte von Zwangsarbeitern produzieren lassen. Doch nur "eine Handvoll davon" hätte bisher Einsicht in die Akten der Staatssicherheit in seiner Behörde gefordert, kritisierte Jahn.

Darüberhinaus rief Jahn diese Firmen dazu auf, Opferverbände der DDR-Diktatur finanziell zu unterstützen. Die Ost-Beauftragte Gleicke zeigte sich bei der Frage weiterer Entschädigungen "sehr vorsichtig", um keine "unerfüllbaren Hoffnungen zu wecken". Opfer der SED-Diktatur haben schon jetzt Anspruch auf eine Opfer-Rente. Gleicke schlug stattdessen die Beteiligung an Gedenkarbeit vor - zum Beispiel für eine Gedenkstätte im ehemaligen Gefängnis in Naumburg.

Stasi-Behördenchef Jahn und Opfervertreter Sachse betonten, dass die damalige innerdeutsche Praxis, auch aktuelle Fragen aufwerfe. Wie nämlich mit Diktaturen Handel betrieben werden kann, wohl wissend, dass dort die eigenen Standards nicht eingehalten würden.