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Dauerbaustelle Ostdeutschland

Bernd Gräßler12. April 2004

Rund 1250 Milliarden Euro flossen in den so genannten Aufbau Ost. Positive Resultate und versprochene blühende Landschaften gibt es kaum. Der Aufbau Ost ist wieder in der Diskussion. Bernd Gräßler kommentiert.

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Endlich streitet man in Deutschland wieder über den Aufbau der östlichen Bundesländer - nachdem dieser Streit in den letzten Jahren mit milliardenschweren Fördergeldern ruhig gestellt schien, die wenig bewirkten. Und glücklicherweise mokieren sich die Westdeutschen diesmal nicht über angeblich faule Ostdeutsche und deren mit Steuergeldern erbaute Spaßbäder. Dafür ist die Lage zu dramatisch: Ost und West sitzen in einem Boot.

Der Weckruf kam von Experten um Hamburgs früheren Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Sein Beraterkreis hat, offenbar mit dem Segen von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und Aufbau-Ost-Minister Manfred Stolpe, schonungslos die Defizite 14-jähriger Aufbauhilfe in den neuen Ländern aufgezeigt: 20 Prozent Arbeitslose, ungebremste Abwanderung der Jungen und Qualifizierten, wenig Großunternehmen und ein finanzschwacher wirtschaftlicher Mittelstand. Fast jeder zweite Euro in den öffentlichen Kassen des Ostens stammt aus westdeutschen Transferleistungen - eine außerordentlich schlechte Leistungsbilanz. Ostdeutschlands Bruttosozialprodukt liegt unter dem Portugals. Und das, obwohl seit der Wende 1250 Milliarden Euro von West- nach Ostdeutschland geflossen sind.

Die Antwort ist einfach: Es ist der Preis der nach landläufiger Meinung politisch zwar richtigen, aber ökonomisch fatalen Entscheidung zur schnellen deutschen Einheit - samt Einführung der D-Mark im Osten, die 1990 die in den kommunistischen Ostblock eingebundene DDR-Wirtschaft aus den Angeln riss. Von anhaltender De-Industrialisierung spricht Dohnanyis Beraterkreis heute. Einst hoffte man, die Vereinigung "aus der Portokasse" zu bezahlen, stattdessen werden heute vier Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts pro Jahr in die neuen Bundesländer überwiesen.

Diesen hohen Preis der Einheit kann Deutschland eigentlich schon lange nicht mehr bezahlen. Die heutige Wachstumsschwäche Deutschlands sei zu etwa zwei Dritteln Folge der Vereinigung, meint Dohnanyis Expertenrunde. Die Regierung unter Gerhard Schröder hat sich bisher vor diesem Offenbarungseid ebenso gedrückt wie zuvor die Regierung von Helmut Kohl. Die vom deutschen Grundgesetz gebotene Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West gestaltet sich laut Dohnanyi & Co. in den letzten Jahren immer paradoxer: Statt Aufholjagd des Ostens erreichten westdeutsche Regionen selbst Arbeitslosenzahlen von ostdeutschem Ausmaß und registrierten den Verfall ihrer Infrastruktur. Zudem stritten Ost- und Westländer immer heftiger um die spärlicher fließenden Steuergelder.

Es sei Zeit, beim Aufbau Ost radikal umzusteuern - mit dieser Empfehlung sprechen die Berater um Klaus von Dohnanyi sämtlichen Wirtschaftsforschungsinstituten aus der Seele. Einigkeit besteht darin, die Ost-Förderung künftig auf so genannte "Wachstumskerne" zu konzentrieren: Wissenschafts- und Wirtschaftszentren wie beispielsweise das sächsische Dresden, das thüringische Jena oder das mitteldeutsche Chemiedreieck bei Halle. Für den restlichen Osten gilt das Prinzip Hoffnung, nämlich dass die geförderten Zentren in ihrem Sog das Umland mitreißen.