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Datenstrom im Sommerloch

Bernd Riegert28. Juli 2004

"Was Sie schon immer einmal über die EU wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten." Nach dieser Devise platzte die EUROSTAT, die Statistikbehörde der Europäischen Union, mitten hinein ins Brüssler Sommerloch.

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Wie verbringen Europas Bürgerinnen und Bürger eigentlich ihre Zeit? Endlich wissen wir's. Über vier Jahre hinweg erforschten die Statistiker in neun Ländern das offenbar geheimnisvolle Treiben der Einwohner zwischen 20 und 74 Jahren. Die verblüffende Erkenntnis: Betrachtet im Jahresdurchschnitt verbringt der Europäer den größten Teil des Tages mit Schlafen. Dann folgen Arbeit, Freizeit, Essen und Reisen. Aha!

Franzosen schlafen am längsten. Belgier schauen mehr Fernsehen. Norweger haben die meiste Freizeit, dicht gefolgt von den Deutschen. Frauen in Ungarn waschen länger ab. Finnische Männer putzen und räumen länger auf als Briten. So, so! Franzosen essen am längsten, Slowenen am kürzesten. Haben wir das nicht schon irgendwie immer geahnt?

Von Schläfern, Glotzern und Putzteufeln

Berufstätige Frauen arbeiten mehr im Haushalt als berufstätige Männer. Männer wiederum verbringen mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz als Frauen, weil, so die Erkenntnis, Frauen mehr Teilzeitjobs haben. Hört! Hört! Der Vergleich von Schläfern, Arbeitern, Glotzern und Putzteufeln lässt sich über Ländergrenzen hinweg fast unendlich fortsetzen.

EUROSTAT hat seine Erkenntnisse in einem 140 Seiten dicken Taschenbuch zusammen gefasst. Da finden wir Tabellen über das Ausruhen oder über soziale Kontakte. Der Schlaf wird statistisch sauber definiert als die Summe "des nächtlichen Schlafs, des Schlafes zu hellen Tagesstunden, der Einschlafphase, des kurzen Nickerchens sowie der passiven Ruhezeiten aus Krankheitsgründen." Bitte beachten Sie aber, dass in Frankreich auch Pausen ohne geschlossene Augen als Schlaf gelten, im Rest Europas gehören sie zur Freizeit!

Studie über den Sinn von Studien?

Die Studie von Eurostat lehnt sich übrigens eng an "Die Leitlinien für harmonisierte europäische Zeitbudgeterhebungen" an, damit auch alles wissenschaftlich sauber abläuft. Nur auf eine Frage gibt diese wirklich unverzichtbare EUROSTAT-Hervorbringung keine Antwort: Wozu soll das ganze gut sein? Welche Erkenntnis können europäische Politiker aus dem Datenwust gewinnen? Sollen Franzosen früher geweckt werden oder nur mit geschlossenen Augen Pausen machen, damit die Statistik stimmt? Oder sollten südeuropäische Frauen grundsätzlich finnische Männer heiraten, weil die täglich einige Minuten mehr im Haushalt arbeiten?

Nicht dass Sie jetzt denken, dass die 730 Mitarbeiter von EUROSTAT ihr gesamtes 56 Millionen EURO Jahresbudget für Zeitverbringungsstudien und ähnlichen Unsinn aufwenden. Die meisten Zahlen von EUROSTAT sind Daten über Wirtschaftsentwicklung, Verschuldung, Zinsen, Arbeitslose, die wirklich handfesten Nutzen haben. Im nächsten Sommerloch könnten die Statistiker doch mal mit einer Studie über die Sinnhaftigkeit von Studien im europäischen Vergleich aufwarten. Oder lieber nicht?