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Von Tieren und Menschen

8. Mai 2011

Die Oberhausener Kurzfilmtage widmen sich in diesem Jahr dem Tier auf der Leinwand. Das legendäre Filmfestival feiert im nächsten Jahr ein besonderes Jubiläum. Welche Rolle spielt der Kurzfilm im Jahr 2011?

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Szene aus einem Tierfilm auf den 57. Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen (Foto: Nieto)
Tiere vor und hinter den KamerasBild: Nieto

1954 gegründet als ein Festival, das Bildung und Demokratie fördern sollte, zeigen die Kurzfilmtage heute vor allem experimentelle Filmkunst - Mainstream ist hier verpönt. Oberhausen mag 2011, da es in Deutschland weit über 100 Filmfestivals gibt, keine Ausnahmestellung mehr haben, ein wichtiges Forum für die Trends im Kunstbereich hat es allemal. Nicht von ungefähr traten 1962 die jungen deutschen Filmemacher hier auf das Podium, um ihr legendäres "Oberhausener Manifest" der Öffentlichkeit vorzustellen: Mit den Worten "Der alte Film ist tot, wir glauben an den neuen!" trugen Regisseure wie Edgar Reitz, Alexander Kluge oder Peter Schamoni das altbackene deutsche Nachkriegskino zu Grabe. Fast 50 Jahre sind seither vergangen und doch ist der Geist der Veränderung, die ständige Suche nach dem Neuen, noch heute zu spüren.

Atom und Finanzen: Deutscher Wettbewerb

Szene aus dem Film Atom (Foto: Andree Korpys/Markus Löffler)
"Atom"Bild: Andree Korpys/Markus Löffler

Im "Deutschen Wettbewerb" thematisieren die Filmemacher in diesem Jahr noch bis Dienstag (10.05.2011) verschiedenste gesellschaftliche Disharmonien: Im Film "Atom" zum Beispiel schildern Andree Korpys und Markus Löffler die fast privaten Momente eines Castor-Transports, wenn Polizei und Demonstranten, Bauern und Medien routiniert ins Felde ziehen.

Regisseur Dennis Feser wiederum zeigt in "Vertical Distraction", wie ein Mann - vor dem Hintergrund der Frankfurter Skyline - auf einem Dach steht und sich mit durchsichtigem Tesafilm verklebt. Wobei die Klebeteile immer größere und abstraktere Formen annehmen. Allmählich mutieren sie zu unförmigen Skulpturen und passen sich den Bankgebäuden im Hintergrund an.

Szene aus dem Film Vertical Distractions (Foto: Dennis Feser, 2010)
"Vertical Distractions"Bild: Dennis Feser

Die entscheidenden Millionen fehlen auch einer Baronin in Ost-Deutschland, deshalb muss sie in Max Linz Film "Die Finanzen des Großherzogs Radikant Film" ihr heruntergekommenes Schloss verkaufen. Doch die Kaufinteressenten sind Scharlatane und überspannte Künstler. Und ein Regisseur, der mit seiner Crew vor Ort einen Film drehen wollte, liegt plötzlich tot im See. Eine skurrile gesellschaftliche Bestandsaufnahme.

Filme sorgen für Diskussionsstoff

Für Festivalleiter Lars Henrik Gass sind das beispielhafte Filme, die Diskussionen anstoßen können: "Ich denke, es ist die Aufgabe der Kurzfilmtage, verschiedene Lebenswirklichkeiten zu erfassen und ihnen eine Plattform zu bieten. Auch in diesem Jahr stehen wieder viele gesellschaftsrelevante Fragen im Mittelpunkt."

Lars Henrik Gass (Foto: Volker Hartmann/dpad/Kurzfilmtage)
Lars Henrik GassBild: Volker Hartmann/dpad/Kurzfilmtage

Einen besonderen Reiz hat auch der Film "Führung" von René Frölke. Darin begleitet der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler den Philosophen Peter Sloterdijk bei einer Führung durch eine Kunsthochschule. Während Köhler und Sloterdijk über Kunst und Wahrhaftigkeit, Finanzkrise und Verantwortung diskutieren, stellen sie fest, dass nicht nur Banker künstliche Finanzierungssysteme erzeugen, sondern auch Filmemacher mit Bildern arbeiten, die gar nicht existieren. Das virtuelle Leben hat bereits alle Bereiche durchdrungen.

Krieg und Tod: Internationaler Wettbewerb

Schicksalhaften Lebensmomenten widmen sich viele Filmemacher im Internationalen Wettbewerb. Der serbische Regisseur Bojan Fajfric schildert in "Theta Rhythm", wie sein Vater Mirko 1987 bei der 8. Tagung des Zentralkomitees in Belgrad den Moment verschläft, als Slobodan Milosevic dem serbischen Nationalismus Tür und Tor öffnet. Kurz darauf bricht der Bürgerkrieg aus. Und in "Va Tapuia" zeigt Tusi Tamasese aus Samoa, wie auf der Insel ein Mann und eine Frau den Tod ihrer Ehepartner betrauern, die bei einem Tsunami starben.

Plakatmotiv der 57. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen (Kurzfilmtage / Boros)
Das Plakat der 57. AusgabeBild: Kurzfilmtage/Boros

Festivalleiter Lars Henrik Gass glaubt, "dass die Allgegenwärtigkeit des Todes gerade in einer globalisierten Gesellschaft eine neue ethische Herausforderung darstellt. Man denke nur an die Geschehnisse in Zusammenhang mit der Tötung von Osama bin Laden. Wie kann man den Tod überhaupt noch darstellen? Wie sieht eine angemessene Form zu trauern aus? Diese Fragen sind eigentlich nicht neu, aber in dieser globalisierten Gesellschaft treten sie viel deutlicher hervor."

Verödung und Bevölkerungsexplosion

Doch nicht nur Menschen sterben - auch Städte. Völlig ohne Dialog lässt der dänische Regisseur Jesper Just in "Sirens of Chrome" vier Frauen in einem Wagen durch die menschenleeren Straßen der Autostadt Detroit fahren. Als sie in einem Parkhaus halten, wirft sich die einzige Passantin, die es gibt, vor den Wagen. Detroit wird als Geisterstadt präsentiert.

Szene aus dem film Canopy Crossings (Foto: Yong Gary)
"Canopy Crossings"Bild: Yong Gary

Auf dem Maeklong Markt in Bangkok hingegen tobt das Leben, als plötzlich das Signal eines Zuges ertönt. Plötzlich halten alle Händler inne, klappen schnell die Vordächer ihrer Stände ein, und der große Zug fährt mitten durch den engen Markt - nur Zentimeter entfernt an den Waren vorbei. "Canopy Crossing" heißt diese skurrile Momentaufnahme des malaysischen Regisseur Yong Gary.

Tiere versus Technik

Zoos gehören zu den beliebtesten Ausflugszielen, Tierfilme im Fernsehen haben Dauerhochkonjunktur und Tierdokumentarfilme wie "Die Reise der Pinguine" oder "Das weinende Kamel" ziehen Hunderttausende in die Kinos. Was aber fasziniert die Menschen am Tier? Das Themenprogramm der Kurzfilmtage geht dieser Verbindung mit rund 90 Tierfilmen aus über 100 Jahren Filmgeschichte nach. Darunter "Oiseau" von Étienne-Jules Mareys und Georges Demenÿs, eine Bewegungsstudie mit Vögeln aus dem Jahr 1895. Dann gibt es Klassiker von Filmemachern wie Bernhard und Michael Grzimek oder Heinz Sielmann. Aber auch der neueste Film von Romuald Karmakar ist dabei. Er trägt den Titel "Der Esel mit Schnee". Darin läuft ein Esel voller Neugier auf die Kamera zu, doch nichts geschieht. Schließlich dreht er sich enttäuscht ab und trottet weg. Ein Seitenhieb auf den Menschen, der seine Macht über das Tier verliert.

Szene aus Film der 57. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen (Foto: Roz Mortimer)
Tier und Mensch vor der Kamera: Dog of my DreamsBild: Roz Mortimer

"In unserer technisierten Welt stehen die Tiere für eine Art verlorenes Paradies. Sie haben eine einfache Lebensweise, aber den direkten Kontakt zur Natur. Deshalb faszinieren uns Tiere mehr denn je", erläutert Marcel Schwierin, einer der Kuratoren der Filmreihe. Und sein Kollege Cord Riechelmann ergänzt: "Mit der Filmreihe wollen wir den Tieren ihre Würde zurückgeben. Wie verhält sich der Mensch zum Tier? Wie werden Tiere dargestellt? Und was bleibt zuletzt vom Tier übrig? Das sind die Fragen, die wir stellen."

"Kino der Tiere" - das sind zehn Programme mit Arbeiten von Künstlern und Verhaltensforschern, eingeteilt in Themenkreise wie Jagd, Zoo, Nutztiere, Spektakel mit Tieren oder wissenschaftliche Experimente.

Kurzfilm heute - auch ein Sammlerobjekt

Die Oberhausener Kurzfilmtage präsentieren nicht nur Filme, sie bemühen sich auch um die wirtschaftlichen Perspektiven der Filmemacher, zum Beispiel durch Podiumsdiskussionen über neue Verwertungsmöglichkeiten. Mit der Galerie Kai Middendorf wird gerade eine neue Kooperation ins Leben gerufen. Der Kunsthändler wird in Frankfurt am Main im Herbst ausgewählte Filme des Festivals in seiner Galerie ausstellen. Kai Middendorf: "Der Film ist im Moment das interessanteste Medium auf bedeutenden Ausstellungen wie zum Beispiel der Documenta oder der Biennale. Ich glaube, wir sind an einem Punkt, wo viele Sammler reagieren. Man findet seit vier, fünf Jahren in den Sammlerwohnungen Bereiche, die Video und Film vorbehalten sind mit Flatscreens oder Beamer. Und ich habe bei den Kurzfilmtagen drei, vier super Filme gesehen, die da wunderbar zu passen würden."

Filmvorführer neben Spule (Foto: (AP Photo/Martin Meissner)
Im Dauereinsatz: Filmvorführer bei den KurzfilmtagenBild: AP

Dazu passt, dass die Kurzfilmtage auf ihrer Website ab sofort ebenfalls Filme präsentieren. Eine kleine Zahl ist bereits zu sehen - und zu kaufen. Das Angebot soll sich rasch vergrößern. Für Festivalleiter Lars Henrik Gass eine Möglichkeit, das Festival sichtbarer zu machen: "Unsere Internet-Plattform beruht auf einem Selbstvertriebsgedanken. Die Filmemacher entscheiden, was sie zeigen und zu welchen Konditionen. Es handelt sich um eine Allianz zu beiderseitigem Vorteil. Wir können über das Festival den Filmemachern eine neue Plattform im Internet bieten. Und zugleich können wir auch unsere Arbeit weit über die Grenzen von Oberhausen hinaus zeigen."

Autor: Bernd Sobolla

Redaktion: Jochen Kürten