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Das Thema Nummer eins

Alexander Kudascheff26. Februar 2003

Es ist eine merkwürdige Stimmung in Brüssel. Apathisch, resigniert, desinteressiert. Nichts dreht sich mehr um den politischen, den wirtschaftlkichen Alltag, den die Brüsseler Eurokraten sonst so gerne beherrschen.

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Übernahmerichtlinie, Futtermittelskandal, verschwendete Milliarden für die Entwicklungshilfe, Reform der Agrarpolitik - niemand will in Brüssel etwas davon wissen. Stattdessen dreht sich tout Bruxelles - wie einst im Alten Testament die Israeliten beim Tanz ums goldene Kalb - nur um ein Thema: den möglichen Irak-Krieg. Und die europäische Elite, die gerne in der ersten Liga der Weltpolitik mitspielen möchten - und das manchmal auch kann, wie beispielsweise beim Klimaschutz - erfährt jetzt: Die Europäer sind nur gut genug für die zweite Liga - und sie müssen sich als zweitklassig fühlen.

Das schmerzt und verstärkt die politischen Depressionen. Denn Europa ist uneinig, es ist zutiefst zerstritten, es ist ein dissonanter Chor der Meinungen. Und ganz im Gegensatz zum Alltag: Europa macht sich nicht einmal die Mühe, Einigkeit zu zeigen oder zu demonstrieren. Beweis: Letzte Woche zimmerten die Staats- und Regierungschefs auf einem außerordentlichen Gipfel einen Kompromiss in Sachen Irak-Position. Im vernünftigen Kern bestätigten die Europäer darin, dass sie gerne mit friedlichen Mitteln Saddam Hussein entwaffnen würden. Dass Krieg aber als letztes, als allerletztes Mittel nicht ausgeschlossen sei.

Damit waren Deutsche und Engländer, Franzosen und Spanier und die neutrale Mitte gleichermaßen eingeschlossen. Doch bereits eine Woche später war das alles bestenfalls das Papier wert, auf dem es stand. Denn Spanier und Briten unterstützen und formulieren eine zweite Resolution im Sicherheitsrat der UNO mit. Franzosen und Deutsche wiederum legen im Verbund mit Russland eigene Vorschläge vor.

Und die anderen Europäer erfahren das alles nicht, wenn die Außenminister in Brüssel zusammensitzen, sondern danach. Und Europas Chefdiplomat, Javier Solana, kann nur noch traurig die zertrümmerten Ideale einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik zusammenkehren. Und die griechische Ratspräsidentschaft erfährt, dass Macht auch in Europa nur die Mächtigen haben.

Der mögliche Irak-Krieg beschädigt inzwischen den europäischen Zusammenhalt - mehr als es viele wahrhaben wollen, auch weil die neuen Mitglieder in die Auseinandersetzung miteinbezogen wurden. Er greift die Fundamente der transatlantischen Beziehungen an. Er beschädigt den Zusammenhalt in der NATO. Und er leitet eine Neuordnung der diplomatischen Allianzen ein. Und er gipfelt in einem falschen Dilemma: Sollen die Europäer Pro-Atlantiker sein oder nicht?

Sollte es zu einem Krieg kommen oder nicht - die Europäer untereinander und die Europäer und die Amerikaner miteinander - sie werden den diplomatischen Scherbenhaufen demnächst wegkehren müssen.