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Der Superklassiker

20. April 2009

Wenn die populärsten Mannschaften Argentiniens - Boca Juniors und River Plate - gegeneinander antreten, spielt die Fußballwelt verrückt. Entscheidend für das Spiel ist aber vor allem die Unterstützung des Fanblocks.

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Fans von River Plate feuern ihre Mannschaft im Derby gegen Boca Juniors anBild: AP

Es ist kurz nach halb zwölf, dreieinhalb Stunden noch bis zum Anpfiff. Aus den Stadionlautsprechern tönt entspannte Reggae-Musik, in aller Ruhe werden an den Fressbuden die ersten Hamburger und Choripanes, Paprikawürste, aufs Feuer gelegt. Doch schon jetzt ist spürbar: Entspannt wird die Stimmung in den nächsten Stunden nicht. Vor der Bombonera, der Pralinenschachtel, wie das Stadion im Stadtteil Boca wegen seiner rechteckigen Form genannt wird, drängen - quadratkilometerbreit - Menschenmassen in Richtung Eingang.

Auf den Rängen bereiten diejenigen, die schon drin sind, das große Spektakel vor. 800 akkreditierte Journalisten aus 50 verschiedenen Ländern, Eintrittspreise um die 300 Euro und mehr als 300 Polizisten um die Sicherheit zu wahren. Und das bei einem Spiel der argentinischen Liga. Aber dieses Derby ist nicht irgendein Spiel: es ist das Spiel der Spiele, das Súperclasico: die wohl berühmteste und berüchtigste Begegnung der Fußballwelt. Es spielen Boca Juniors, die Heimatmannschaft Maradonas, gegen ihren traditionellen Erzfeind River Plate. Und wenn die beiden populärsten Mannschaften der Fußballnation Argentiniens aufeinandertreffen, herrscht Ausnahmezustand.

Fußball-Legende Diego Maradona
Die Boca Juniors sind sein Heimatverein: die argentinische Fußball-Legende Diego Maradona. Foto: dpaBild: picture-alliance / dpa

Das Spiel der Spiele

Stoffbahnen werden aufgerollt, Fahnen gehisst, Schirme aufgespannt, Luftballons aufgeblasen, Papierschlangen, Tröten und Konfettibomben verteilt. Ganz klar dominieren die Farben blau-gelb von Boca. Für die rot-weißen Banner der River-Fans ist im Heimatstadion der Boca Juniors nur ein einziger Rang reserviert. Dem tönt jetzt geballt der hämische Gesang der Boca-Fans entgegen. "Gallinas", ihr feigen Hühner, singen die. So nennen sie die Fans von River, die ruhig spüren sollen, dass sie hier alles andere als willkommen sind. Oscar, ein River-Fan, fühlt sich deswegen auch etwas unwohl: "Nie wollte ich ins Bombonera Stadion, aber okay, jetzt muss es eben sein", sagt er, etwas zurückhaltend. "Das Superclasico ist etwas, das man erleben muss, das wird von den Fanblöcken gefordert, alle sind da, damit wir gewinnen, so oder so", fügt Matias hinzu und stimmt mit seinem Kumpel Juan ein River-Lied an: "Wir sind die Millionäre, sagt ihr...".

Oberschicht gegen Unterschicht?

Beide Mannschaften wurden einst im Arbeiter- und Migrantenviertel Boca gegründet, River zog später aber um und baute ein teures Stadion im Viertel Nuñez. So gilt River, obwohl sie tatsächlich weniger Budget als Boca haben dürften, als hochnäsige Oberschichten-Mannschaft. Der Ton im Stadion ist rau. Boca-Fans werden ihrerseits von den River-Fans "Bosteros" geschimpft, was einen wenig rühmlichen Berufsstand bezeichnet, der früher fürs Aufsammeln von Pferdekot zuständig war. Lieber stehen wir für so etwas, sagt Maxi stolz. Als er 14 war starb sein Vater und damit die Person, mit der er immer ins Station ging. Nun symbolisiert Boca für ihn das Gedenken an seinen Vater: "Seit er gestorben ist, bin ich jeden Sonntag allein ins Stadion gegangen. All meine Liebe gehört nun Boca, weil Boca nie sterben wird."

Ein Gewitter bricht los...

Die Rivalität zwischen Boca und River sei von regelrechtem Hass geprägt: "Eben weil wir für unterschiedliche Lebenseinstellungen stehen." River sei hochnäsig, spiele aber, so gibt er zu, eleganter und rationaler. Boca sei von Leidenschaft geprägt, und würde härter, bodenständiger, aber auch emotionaler und mit mehr Herz spielen.

Argentinischer Fußball Fans im Stadion in Buenos Aires
Das Stadion von La Boca - La Bombonera - gleicht einem HexenkesselBild: AP

Da bricht der Donner los: Rauchbomben, Konfettigewitter, Trommeln, Pfeifen, aus allen Kehlen wird gegrölt, die Luft schwirrt vor Spannung, einer Energie, wie im Karneval von Rio, allerdings komprimiert auf wenige Minuten: die Mannschaften betreten den Rasen. Und vorneweg das Faktotum von Boca: Eingehüllt ein einen blau-gelben Umhang, auf dem Kopf ein Stoffzylinder, über und über mit Boca-Buttons dekoriert, so flitzt er, eine riesige Boca-Fahne schwenkend, durchs Stadion: El Cacho oder auch: "der Verrückte mit der Fahne" genannt, ist nach Maradona die zweite Symbolfigur Bocas: "Fußball ist ein Volksfest", sagt er, "eine Freude, eine Art, das Leben zu leben und deswegen hisse ich seit 1992 die Boca-Fahne vor jedem Spiel.” Cachos clownesker Auftritt kündigt den Beginn eines jeden Boca-Spiels an, seit zwanzig Jahren schon.

Rivalität auf Leben und Tod

Doch ein Boca-River Spiel ist nicht immer nur ein Fest. Die Hooligans beider Mannschaften - der "zwölfte Mann" von Boca oder die "Besoffenen von der Theke" von River" - sind bekannt für ihre Gewalttätigkeit. Auf die Konten beider Seiten gehen wüste Schlägereien bis hin zu Morden.

1986 kamen bei der Begegnung über 70 Besucher ums Leben, die schlimmste Katastrophe überhaupt bei einem Fußballspiel in Argentinien. Bei einer 2:0 Niederlage vergalten Hooligans dies mit Schüssen und sprühten später die Graffitis "2:2 - zwei Morde für 2 Tore“ auf die Wände der Häuser in Boca, kurz danach kam ein 14-jähriger Junge durch Fan-Auseinandersetzungen ums Leben. 2002 erklärten beide Mannschaften schließlich ihre Bereitschaft zur Friedfertigkeit.

Argentinischer Fußball River Plate vs Boca Juniors
Marcelo Gallardo, links, gleich zum 1:1 für River Plate im Spiel gegen Boca Juniors ausBild: AP

Und auch heute werden nur Schimpfkanonaden ausgetauscht. Zur Begrüßung der gegenseitigen Spieler wird je nach Couleur rechts oder links auf den Rängen gepfiffen. Pfeifkonzerte gibt es auch bei den insgesamt acht gelben Karten - irgendwann muss der Schiri müde geworden sein, zu pfeifen, lag doch fast im Minutentakt einer gefoult am Boden. Freudig-hämische Gesänge dann in der zweiten Halbzeit, als endlich das erste Tor fällt: Torschützenkönig Palermo schießt Boca in Führung.

Konter-Pfeiffkonzert

Ein freudig-hämisches Konterpfeiffkonzert gibt es dann vom River-Block beim Ausgleich 1:1 durch Bocas Hass-, Rivers Starspieler Gallardo. Während dessen hofft, zittert und leidet Boca-Fan Maxi wie ein Hund, nachdem er zuvor ausgeflippt ist wie eine Rakete: "Es ist einfach hart, ein Unentschieden zu akzeptieren“, sagt er. Boca habe, zumindest in der ersten Halbzeit gut gespielt und der Schiedsrichter habe teils ungerecht für River entschieden. "Nun gut, so ist Fußball eben", fügt er schulterzuckend hinzu: "Das wichtigste ist, dass River es wieder einmal nicht geschafft hat, uns in der Bombonera zu besiegen."

Die Fußballreporter resümieren: Dies sei ein Superclasico-Derby gewesen, das weder als besonders tolles, noch als besonders schlechtes in die Geschichte eingehen werde. Die Fanblocks allerdings trommeln weiter um die Wette. Das Fußballfest Superclasico wird schließlich nur zum Teil auf dem Rasen entschieden.

Autorin: Anne Herrberg

Redaktion: Mirjam Gehrke