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Das Schmerz-Gen

Naomi Fowler13. April 2007

Ein ganzes Leben ohne Schmerzen - was sich wie aus einem Science-Fiction Roman anhört, gibt es wirklich. Forscher untersuchen Menschen, die keinen Schmerz empfinden. Das Ziel ist eine neue Generation von Medikamenten.

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Frau hält sich den Kopf vor Schmerzen
Ein Leben ohne Migräne - Wunschtraum vieler davon betroffener chronisch kranker Frauen und MännerBild: bilderbox

Während seiner Zeit als Arzt in einem pakistanischen Krankenhaus wurde Geoff Woods mit einem ganz außergewöhnlichen Fall konfrontiert: "Mir wurde von einem Jungen erzählt, der sich regelmäßig verletzte, aber offensichtlich keinen Schmerz fühlte." Als Woods zum dritten Mal von dem Jungen berichtet wurde, war dieser gerade gestorben: "Er sprang an seinem Geburtstag vom Dach eines Hauses und erlag seinen Verletzungen." Der Sprung vom Dach hatte wohl nur der Unterhaltung seiner Freunde dienen sollen.

Ein normaler Mensch würde so etwas niemals tun, betont Woods. Er wüsste, dass er sich Schmerzen zufügen würde. Doch was geschieht, wenn ein Mensch gar keinen Schmerz kennt?

Eine Welt ohne Schmerz

Ein Mitarbeiter der Bayer AG
Pharmaunternehmen arbeiten fieberhaft an neuen SchmerzmittelnBild: AP

Der Genetiker Woods erkannte sofort die Bedeutung des Jungens für die Forschung. Denn das Empfinden von Schmerz ist enorm wichtig, um drohende Gefahren zu erkennen und eine Person vor schmerzhaften Erfahrungen zu bewahren. Ein großes Problem für Menschen ohne Schmerzempfinden und deren Familien, sei die frühe Kindheit, sagt Woods. Als kleine Kinder würden sie sich sehr oft verletzten. Dann würden auch manchmal die Eltern beschuldigt, nicht aufmerksam genug zu sein.

Doch auch als Erwachsene hätten es Menschen ohne Schmerzempfinden nicht leicht. Laut Woods würden sie sich häufig ein "Schmerzverhalten" antrainieren, um nicht als merkwürdig aufzufallen.

Die Ursache allen Schmerzes - ein einziges Gen

Umfangreiche Tests mit betroffenen Personen zeigten, dass ihre Intelligenz, Entwicklung, Nervenstränge und sogar ihre Empfindungen vollkommen normal waren - eben bis auf das Schmerzempfinden. Bei genetischen Untersuchungen stellte sich heraus, "dass diese Menschen einen einzigartigen genetischen Defekt haben: einen Fehler in einem Gen mit der Bezeichnung SCN9A", erläutert Woods. Wenn man dieses Gen beim Menschen ausschalte, dann fühle man keinen Schmerz mehr. Obwohl alle Nerven immer noch intakt seien.

Woods war über die Bedeutung eines einzigen Gens im Zusammenspiel der Nervenstränge überrascht: "Ein Medikament, das dieses Gen blockiert, sollte eigentlich Schmerzen aufheben können. Daran wird jetzt gearbeitet."

Mausgene für das Wohl des Menschen

Sterbehilfe, Hospiz, Morphium
Gerade schwerstkranke Patienten bedürfen effektiver SchmerzmittelBild: dpa

Der Neurobiologe Doktor John Wood vom University College London hat jahrelang an dem gleichen genetischen Fehler bei Mäusen gearbeitet. Dabei ähneln sich viele der molekularen Mechanismen, die der Schmerzempfindung zu Grunde liegen, bei Tier und Mensch.

Wood erklärt, wie das Gen SCN9A hilft, Schmerz zu empfinden: "Dieses Gen kodiert ein großes Protein, welches sich an den Enden von schmerzempfindlichen Neuronen befindet, die über den ganzen Körper verteilt sind. Spezialisierte Rezeptoren werden aktiviert, wenn man einen schmerzhaften Reiz erhält, beispielsweise durch eine Verletzung des Gewebes, Druck oder Hitze."

Neue Generation von Schmerzmedikamenten

Wood arbeitet nun daran, dieses Gen in Mäusen auszuschalten und auf dieser Basis ein Medikament zu entwickeln, das den Schmerz blockiert - ohne Nebenwirkungen. Wood schätzt allerdings, dass die Testphase einer neuen Generation von Schmerzmitteln erst in ein paar Jahren beginnen könne. Der klinische Gebrauch könnte dann frühestens 2015 starten.

Spätestens dann stellen sich auch ethische Fragen: Was darf und was darf nicht am lebendigen Nervengewerbe des Menschen verändert werden?

Jeder empfindet Schmerz anders

Die Medikamentenentwicklung ist nicht der einzige Durchbruch beim Verstehen des Schmerzes: "Lange Zeit wurde unterschiedliches Schmerzempfinden eher auf den individuellen Charakter als auf physische Unterschiede zurückgeführt. Aber dies scheint nicht der Fall zu sein", sagt Genetiker Geoff Woods. Es könnte schon sein, dass manche Menschen bei einem Reiz mehr Schmerz empfinden als andere. Dies sei kein kulturelles oder die Geschlechter betreffendes Vorurteil. Es werde immer klarer, so Woods weiter, dass Schmerzempfinden viel mehr unter genetischer Kontrolle sei, als bisher angenommen.