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Gesellschaft

Das Recht zu Entscheiden

Maximiliane Koschyk
9. Februar 2017

"Schutz des ungeborenen Lebens" oder "Recht am eigenen Körper"? Die umstrittene Entscheidung eines Chefarztes, keine Abtreibungen vorzunehmen, zeigt, wie kompliziert Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland geregelt sind.

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Symbolbild Abtreibungsdebatte
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Darum geht es:

In der niedersächsischen Capio Elbe-Jeetzel-Klinik bei Dannenberg möchte der Chefarzt für Frauenheilkunde, dass in seiner gesamten Abteilung keine Abtreibungen vorgenommen werden. Als bekennender Christ, so der Gynäkologe Thomas Börner, verstößen Schwangerschaftsabbrüche gegen seine "Maxime des Nicht-Tötens". Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen möchten, müssten also auf Kliniken in benachbarten Städten ausweichen - eine Erschwerung des Selbstbestimmungsrechtes, sagen Kritiker.

Der Konzern, dem das Krankenhaus in Dannenberg gehört, hat sich mittlerweile gegen den Wunsch des Chefarztes ausgesprochen. Die Entscheidung des Gynäkologen "ohne vorherige Rücksprache mit der Konzernleitung" habe im Krankenhaus für Irritationen gesorgt. 

"Fortan übernehmen andere, sehr erfahrene angestellte Fachärzte für Gynäkologie den medizinischen Eingriff", sagte der Geschäftsführer des Konzerns, Martin Reitz. Börner sei - wie bisher - aus persönlichen Gründen nicht an diesen Operationen beteiligt. Er werde die Klinik auf eigenen Wunsch mittelfristig verlassen.

Wie sind Abtreibungen im deutschen Gesetz geregelt?

In der Bundesrepublik Deutschland sind Abtreibungen grundsätzlich verboten, aber unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Bis heute ist der Schwangerschaftsabbruch unter Paragraf 218 des Strafgesetzbuches geregelt und kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden.

Aus freier Entscheidung darf eine Frau eine Schwangerschaft beenden, wenn der Eingriff innerhalb der ersten 14 Schwangerschaftswochen erfolgt. Die Frau muss sich aber mindestens drei Tage vor dem Eingriff in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle informieren, dort erhält sie eine Bescheinigung über die Beratung. Erst mit der Bescheinigung erfolgt die Abtreibung. Wenn die Frau aufgrund eines Sexualverbrechens schwanger wurde oder die Schwangerschaft die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau gefährdet, dann darf ebenfalls straffrei abgetrieben werden.

Worauf hat eine Frau Anspruch?

Auf eine Abtreibung hat eine Frau in Deutschland keinen Anspruch - aber auf ein medizinisches Angebot, mit dem die Abtreibung stationär und ambulant durchgeführt werden kann. Das schreibt Paragraf 13 des deutschen Schwangerschaftskonfliktgesetzes vor. Die Bundesländer müssen das grundsätzlich gewährleisten, aber nicht jedes Krankenhaus muss diese Leistung erbringen. Das Gesetz sagt weiter: "Bei dem Sicherstellungsauftrag sind auch Kliniken zu berücksichtigen, die über die Landkreisgrenze hinausgehen, wenn diese gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb eines Tages zu erreichen sind."

Symbolbild Abtreibungsdebatte
Seit den 1970er Jahren fordern Frauenrechtsgruppen die Abschaffung des Paragrafen 218Bild: picture-alliance/dpa

Weil die Klinik in Dannenberg das einzige Krankenhaus im Umkreis mit einer gynäkologischen Abteilung ist, sahen Kritiker diese Versorgung als gefährdet an. "Es gibt keine andere Möglichkeit für die Frauen", sagte Ute Engelhardt vom Pro Familia Landesverband Niedersachsen der Deutschen Welle. Die Entscheidung würde außerdem das Selbstbestimmungsrecht der Frauen einschränken. Auch für die niedersächsische Gesundheitsministerin Cornelia Rundt ist der Weg in ein nächstgelegenes Krankenhaus keine Lösung. Ihrer Meinung nach brauche eine Frau "die Möglichkeit, den für sie emotional und körperlich belastenden Eingriff in einer vertrauten Umgebung in angemessener Entfernung zu ihrem Wohnort durchführen zu lassen", teilte Rundt mit.

Wann darf ein Arzt eine Abtreibung verweigern?

Grundsätzlich darf es ein Arzt in Deutschland ablehnen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen - auch das gewährleistet das Schwangerschaftskonfliktgesetz. "Das Weigerungsrecht gilt vor allem für Ärzte, aber auch für das ärztliche und pflegerische Assistenzpersonal, die Krankenhausleitung und den Krankenhausträger", sagte Karsten Scholz, Justiziar der Ärztekammer Niedersachsen der Deutschen Welle. Die Verweigerung bedarf keiner Begründung.

Es gibt Krankenhäuser - vor allem in christlicher Trägerschaft -, die aufgrund ihrer konfessionellen Orientierung keine Abtreibung durchführen. Ausnahmen gibt es in medizinischen Notfällen - wenn die Frau in Lebensgefahr schwebt. "Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts darf die Ausschreibung einer Chefarztstelle zudem die Bereitschaft zur Durchführung indizierter Schwangerschaftsabbrüche beinhalten", erklärt Scholz weiter.

Deutschland | Abtreibungsdebatte - Capio Elbe-Jeetzel-Klinik
Debatte um die Capio-Klinik in Dannenberg: Der neue Chefarzt der Gynäkologie, Thomas Börne, möchte keine Abtreibungen vornehmen lassenBild: picture-alliance/dpa/P. Schulze

Im Fall der Dannenberger Klinik wollte zum ersten Mal in Deutschland ein Chefarzt in seiner kompletten Abteilung Abtreibungen untersagen - unabhängig von einer konfessionellen Trägerschaft des Krankenhauses, sondern aufgrund seiner persönlichen Überzeugung.

Warum wird über Abtreibungen gestritten?

Abtreibungen sind ein grundlegendes Problem in der Vereinbarkeit von Medizin und Ethik. Abtreibungsgegner argumentieren beispielsweise, dass ungeborenes Leben grundsätzlich zu schützen sei. Manche sehen in dem Schutz des Lebens eine religiöse Pflicht, weil jedes Menschenleben ein von Gott geschaffenes Wesen sei und somit nicht getötet werden dürfe. Aber auch unabhängig von religiösen Ansichten gilt die Menschenwürde als wichtiger Grund, ein Menschenleben zu schützen, egal in welchem Entwicklungszustand.

Wann dieses Leben beginnt, ist Teil der Diskussion: Entsteht ein Leben mit der Befruchtung der Eizelle oder beginnt es ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Embryo überlebensfähig ist?

Befürworter der Abtreibung argumentieren, dass nur die Frau selbst entscheiden darf, da es ihren eigenen Körper betrifft. Sie argumentieren auch, dass ohne die Mutter ein Embryo nicht überleben kann, und es deshalb noch kein eigenes Leben ist.

Wer darf über Abtreibungsregelungen entscheiden?

Es ist eine politische Entscheidung, welchen Argumenten mehr Gewicht beigemessen wird. Unabhängig von der ethischen Diskussion wird die Verantwortung über die Entscheidung für oder gegen Abtreibungen auch als politische Grundsatzfrage zu den Rechten der Frauen diskutiert.

So sorgte jüngst auch der US-Präsident Donald Trump für Kritik, als er per Präsidialdekret die Finanzierung von internationalen Organisationen mit US-Geldern verbot, sollten diese Gelder für Abtreibungen oder die Aufklärung über Schwangerschaftsabbrüche genutzt werden.

Bei der Unterzeichnung des Dekrets waren hinter Trump nur Männer im Bild - und dass Männer über die Körper von Frauen entscheiden, gehört für viele Kritiker zum Kern der Abtreibungsdebatte: "Solange wir leben, wird es nie ein Bild geben, auf dem sieben Frauen zu sehen sind, die per Gesetz über die Fortpflanzungsorgane von Männern entscheiden", sagte ein Twitter-Nutzer. Das Bild ging viral und zeigte: Beendet war der Streit um Abtreibungen eigentlich nie.

Dieser Text ist nach der Entscheidung der Konzernleitung am 9.2.2017 aktualisiert worden.