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Nachruf auf Nikolaus Harnoncourt

Thomas Mau / Rick Fulker / Laura Döing6. März 2016

Mit seiner Suche nach dem originalen Klang Alter Musik übte er bahnbrechenden Einfluss auf das Musikleben weltweit aus. Nun ist der österreichische Dirigent Harnoncourt, "das Original des Originalklangs", verstummt.

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Der österreichische Dirigent Nikolaus Harnoncourt (Foto: picture-alliance/dpa/B. Gindl)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Gindl

Anfang Dezember hatte sich Harnoncourt überraschend aus dem Musikbetrieb zurückgezogen. Konzerte hatte er eigentlich noch bis ins Jahr 2016 geplant, auch auf dem von ihm gegründeten Festival für Alte Musik "Styriarte" in Graz. In einem handgeschriebenen Brief erklärte er einen Tag vor seinem 86. Geburtstag: "Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne". Zuvor hatte Nikolaus Harnoncourt aus gesundheitlichen Gründen bereits mehrere Konzertauftritte absagen müssen.

Harnoncourt wollte noch nicht aufhören

Der Abschied vom aktiven Musikleben fiel Harnoncourt offenbar schwer: "Da kommen große Gedanken hoch: zwischen uns am Podium und Ihnen im Saal hat sich eine ungewöhnlich tiefe Beziehung aufgebaut - wir sind eine glückliche Entdeckergemeinschaft geworden!"

In einem Brief verabschiedet sich Harnoncourt im Dezember von seinem Publikum (Bild: Wiener Musikverein)
In einem Brief verabschiedet sich Harnoncourt im Dezember von seinem PublikumBild: Wiener Musikverein

Noch im Dezember 2014, als Harnoncourt den Echo-Klassik-Preis für sein Lebenswerk erhielt, nahm er die Auszeichnung skeptisch entgegen: "Was ist, wenn ich übermorgen ein anderes Lebenswerk habe?" Ans Aufhören dachte er damals nicht.

Siebzehnjähriger Dirigentenkurs als Cellist

Bevor Harnoncourt eine Laufbahn als Dirigent einschlug, hat er siebzehn Jahre lang als Cellist bei den Wiener Symphonikern gespielt. In dieser Zeit zwischen 1952 und 1969 erlebte er Dirigenten wie George Szell, Bruno Walter und Otto Klemperer bei der Arbeit. Schon während dieser Zeit studierte Harnoncourt die musikalische Aufführungspraxis der Renaissance und des Barocks und erkundete die Klangmöglichkeiten alter Instrumente.

Schon immer hatte er sich nicht nur für die Musik, sondern für die Kunst im Allgemeinen interessiert, für die Malerei und die Bildhauerei ebenso wie für die Literatur und die Architektur. "Ich konnte mir nicht vorstellen", sagte er, "dass die Plastiken von Bernini so wunderschön sind, so von strotzender Leidenschaft und begeisternder Vitalität, und dass die Musik von Corelli, der zur selben Zeit lebte, stinklangweilig sein sollte." Daraus folgerte Harnoncourt, dass die Musik dieser Zeit falsch verstanden worden sei.

Nikolaus Harnoncourt 2006 in Salzburg (Foto: picture-alliance/dpa)
Harnoncourt zählte zu den einflussreichsten Dirigenten des 20. und 21. JahrhundertsBild: picture-alliance/dpa

Mit dem Concentus Musicus Wien auf der Suche nach dem originalen Klang

Gemeinsam mit seiner Frau, der Violinistin Alice Hoffelner, gründete er 1953 das Originalklangensemble Concentus Musicus Wien. Vier Jahre später debütierte das Orchester, und mit der Aufnahme von Johann Sebastian Bachs Brandenburgischen Konzerten errang der Concentus Musicus einen ersten internationalen Erfolg.

Bei seiner Suche nach der originalen Klanggestalt ging es Harnoncourt nicht um eine historisierende Rekonstruktion, sondern vielmehr um den Respekt vor dem Willen des Komponisten und um künstlerische Aufrichtigkeit. Dabei war er keineswegs rückwärtsgewandt: "Wenn einer meint, er kann Monteverdi im Sinne Monteverdis verstehen und aufarbeiten, ohne in dieser Zeit zu leben, ohne eine Mutter zu haben, die 1550 geboren ist, und ohne die Kleidung dieser Zeit zu tragen, und das Essen dieser Zeit und das ganze Lebensgefühl, das ist eine totale Illusion. Wenn wir das spielen, machen wir dennoch eine reine Aufführung des 20. Jahrhunderts. Wenn Monteverdi rein käme und das hören würde, würde er im besten Fall lachen", sagte Harnoncourt.

Bahnbrechender Einfluss

Der Concentus Musicus Wien übte damals bahnbrechenden Einfluss auf das Musikleben weltweit aus. Nach seinem Vorbild entstanden viele Originalklangensembles. Harnoncourts Musikdeutungen wurden als "frisch", "radikal", "polarisierend" und "revolutionär" beschrieben.

Beinahe zwanzig Jahre brauchte Nikolaus Harnoncourt, um in Zusammenarbeit mit Gustav Leonhardt und dem Concentus Musicus sämtliche Kantaten Johann Sebastian Bachs einzuspielen.

Als Werkverwalter oder Dogmatiker hat er sich nie verstanden. Nicht um trockenen Akademismus, sondern um beredtes Musizieren ging es dem am 6. Dezember 1929 in Berlin geborenen Nikolaus Graf de la Fontaine et Harnoncourt-Unverzagt - so sein vollständiger Name.

Eine musikalische Familie

Aufgewachsen ist er in einem musikalischen Elternhaus in Graz. Sein Vater spielte sehr gut Klavier und komponierte. Mit 19 Jahren schrieb sich Nikolaus Harnoncourt für das Cello-Studium an der Wiener Musikakademie ein und schloss es mit Auszeichnungen ab.

Die Beschäftigung mit der alten Musik brachte ihn 1976 in Zürich mit dem franzosischen Regisseur Jean-Pierre Ponnelle zusammen. Gemeinsam erarbeiteten sie einen Zyklus mit den drei Monteverdi-Opern. Dafür hatte das Züricher Tonhallen-Orchester eigens ein Ensemble mit Barockinstrumenten gebildet. Ein paar Jahre später führten die beiden ihre Zusammenarbeit mit einem vielbeachteten Mozart-Zyklus fort.

Geschult durch die Erfahrung mit historischer Aufführungspraxis dirigierte Harnoncourt später viele große konventionelle Orchester. Er arbeitete bevorzugt mit dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam, den Wiener und Berliner Philharmonikern und dem Chamber Orchestra of Europe. Ferner sorgte er immer wieder für bemerkenswerte Opern-Aufführungen: Nicht nur Opernwerke von Monteverdi und Mozart, sondern auch von Johann Strauss gehörten zu seinem Repertoire.

"Musik als Klangrede": Warnung vor oberflächlichem Musikbegriff

In seinem berühmten Buch "Musik als Klangrede" warnte Nikolaus Harnoncourt 1983 vor einem oberflächlichen Begriff von Musik, der das Hören rein als kulinarischen Konsum mißverstehe. Musik sei aber kein bloßes Ornament.

Buchcover "Musik als Klangrede" von Nikolaus Harnoncourt (Foto: Verlag)
Wurde zum Manifest der Anhänger historischer Aufführungspraxis: "Musik als Klangrede"

Mit dem Tod von Nikolaus Harnoncourt geht "das Original des Originalklangs" verloren, so der Intendant des Wiener Musikvereins, Thomas Angyan, gegenüber dem Österreichischen Rundfunk. "Das ist unwiederbringlich. Wir haben die Verpflichtung, das musikalische Erbe, das er uns hinterlassen hat, weiterzuführen", sagte er.

Harnoncourts Einfluss bleibt nicht nur auf sein eigenes, umfangreiches Wirken beschränkt. Eine Reihe von namhaften Dirigenten bezieht sich heute auf Harnoncourt und seine Ideen.