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Das Lied der Revolution

Sebastian Ertinger25. April 2004

Ein im Rundfunk ausgestrahltes Lied war das Signal zum Aufstand: Vor 30 Jahren stürzte die Armee das diktatorische Regime Portugals. Der unblutige Umsturz ging unter dem Namen "Nelkenrevolution" in die Geschichte ein.

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Ein friedlicher Putsch beendete die langjährige Diktatur in Portugal

"In dir, oh Stadt, regiert das Volk", heißt es in dem Lied, das in der Nacht zum 25. April 1974 über den Äther klang und den Beginn des Umbruchs signalisierte. Erst zwei Jahre zuvor hatte die gefürchtete Geheimpolizei zahlreiche Schallplatten mit dem Song von Zeca Afonso beschlagnahmt. Regierung, Polizei, Geheimdienste und die regimetreuen Teile des Militärs hatten jedoch die revolutionäre Bewegung unterschätzt. Machthaber Marcello Caetano erkannte allerdings schnell, dass Widerstand zwecklos war. So übergab er nach wenigen Stunden die Regierungsgewalt an die Aufständischen um General António de Spínola.

Nelke wird zum Symbol

In der Hauptstadt Lissabon strömten die Menschen auf die Straßen und feierten das Ende der Diktatur. Der Umsturz wandelte sich in ein Straßenfest, die Bevölkerung ließ die putschenden Militärs hochleben. Eine Kellnerin steckte einem Soldaten eine Nelke in den Gewehrlauf. Diese Szene wird zum Symbol dieses fast gewaltfreien Machtwechsels.

Die Diktatur in Portugal hatte im Jahre 1926 begonnen. General Vítor Gomes da Costa hatte die demokratische Regierung abgesetzt. Ihm folgte António Salazar, der bis 1968 die Politik des Landes faschistisch-autoritär bestimmte. Reformierungsbewegungen unter dem letzten Regierungschef Caetano versickerten im Sande, die Außenpolitik lief aus dem Ruder. Während Großbritannien und Frankreich bereits ihre afrikanischen Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen hatten, formierte sich Anfang der 60er Jahre auch in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau bewaffneter Widerstand gegen die portugiesische Herrschaft. Der für die Kolonialmacht aussichtslose Kampf wurde mit zum Anlass für die Umsturzbewegung.

Demokratisierung mit Schwierigkeiten

25. Jahrestag der "Nelkenrevolution" in Portugal
Portugiesen feiern den Jahrestag der "Nelkenrevolution"Bild: AP

"Den 25. April 1974 erlebte Mosambik mit einer Mischung aus Furcht und Freude", erinnert sich Mia Couto, Schriftsteller mosambikanischer Herkunft. "Da gab es die reine Freude derer, die unter Faschismus und Kolonialismus gelitten hatten." Weniger aufrichtig sei die Freude der kolonialen Organisationen gewesen. "Fünf Monate später versuchten dieselben ultrarechten Kolonialherren den Abschluss des Friedensabkommens zwischen Portugal und Mosambik gewaltsam zu verhindern", berichtet Couto.

Auch im portugiesischen "Mutterland" verlief der Übergang zur Demokratie nicht ohne Probleme. Der konservative General Spínola und neue Staatspräsident entfremdete sich zunehmend von seiner eher linksgerichteten Bewegung der Aufständischen. Auf Putschversuche von Links folgten Staatsstreiche von Rechts. Spínola wurde nach wenigen Monaten abgesetzt, der regierende "Revolutionsrat" begann mit großangelegten Verstaatlichungen. Aus den ersten freien Wahlen am zweiten Jahrestag der "Nelkenrevolution" ging die Sozialistische Partei als Sieger hervor. Der Übergang zu einer normalen parlamentarischen Demokratie begann.

Nachwirkungen der Revolution

Heute führen breite, neu ausgebaute Autobahnen von Lissabon an die Algarve. Mit EU-Mitteln finanziert, stehen sie für den breit angelegten Aufbau der Infrastruktur in Portugal. Doch so manche Abfahrt endet im Nirgendwo. Die als anregende Impulse für die Entwicklung einer florierenden Wirtschaft gedachten Bauprojekte fielen nicht überall auf fruchtbaren Boden. Angesichts der höchsten Quote an Staatsangestellten in Europa - vierzehn Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind im öffentlichen Dienst beschäftigt - und nur geringen Wachstumsaussichten scheint das Land noch nicht alle Nachwirkungen von Misswirtschaft und Verstaatlichung überwunden zu haben. Die jungen Portugiesen sehen die demokratische Verfassung ihres Landes inzwischen jedoch als selbstverständlich an.