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Das Licht am Ende des Tunnels

Petra Füchsel7. Juli 2003

Was kommt nach dem Tod? Und was genau geschieht auf der Schwelle zwischen Leben und Tod? Die Wissenschaft glaubt, jetzt eine biologische Erklärung für so genannte Todesnähe-Erfahrungen gefunden zu haben.

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Bild: kay Herschelmann

Immer wieder berichten Menschen von Grenzerfahrungen, die ihnen in der Übergangsphase zwischen Leben und Tod widerfahren. Diese Erfahrungen werden zumeist übereinstimmend beschrieben. Manche Menschen erzählen von einem dunklen Tunnel, Gang oder einer Treppe, an dessen Ende sie helles Licht wahrnehmen, andere sprechen von einem intensiven Glücksgefühl, das sie umfangen habe, und wieder andere berichten von einem hellen, gleißenden Licht, in das sie eingetaucht seien.

Ende der eigenen Existenz

Nicht alle Menschen haben in einer lebensgefährlichen Situation ein Erlebnis, das als Todesnähe-Erfahrung bezeichnet werden kann. Ein solches tritt nur bei fünf bis zehn Prozent aller Fälle auf. Erstaunlicherweise gleichen sich die Berichte der Betroffenen sehr und es gibt viele Belege dafür, dass es sich nicht um Fantasiereisen handelt. Neue wissenschaftliche Forschungen lassen den Schluss zu, dass ausschließlich biologische Prozesse im Gehirn für diese so genannten Nahtod- oder Todesnähe-Erfahrungen verantwortlich sein dürften.

"Offenbar scheitert unser Gehirn in diesen Momenten daran, urplötzlich das Ende der eigenen Existenz zu verarbeiten", sagt der Neurophysiologe Detlef B. Linke von der Universität Bonn. "Und in dessen Not, aber auch als letzte Abwehrstrategie, gewinnen dort besondere Prozesse die Oberhand, die uns diese außergewöhnlichen Erfahrungen bescheren."

Komprimierung der Zukunft

Linke erklärt, dass das Gehirn wie eine Vorhersagemaschine funktioniere. Es nehme andauernd die Zukunft vorweg und gestalte die Gegenwart auf der Grundlage von Hypothesen über kommende Ereignisse. Dieser Apparat werde nun urplötzlich mit einer Unmöglichkeit konfrontiert - mit dem Gedanken "Ich sterbe jetzt", sagt Linke. "Die gesamte Zukunft schrumpft blitzschnell auf einen einzigen Augenblick zusammen und es gibt plötzlich keine weiterführende Sequenz von Ereignissen mehr. Der Fortlauf der Zeit bricht zusammen." Nach dem Wegfall der zeitlichen Komponente kommen offenbar die so genannten NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptoren als neuronale Signalübermittler ins Spiel. Effekte wie die von Betroffenen beschriebenen sind die Folge.

Der Lebensfilm

Viele Menschen erleben auf der Schwelle des Todes, wie ihr gesamtes Leben innerhalb von wenigen Sekunden an ihnen vorbeizieht. Dieses Phänomen wird mit einem Sauerstoffmangel im Gehirn und den aktiven NMDA-Rezeptoren in Zusammenhang gebracht. Auch eine Narkose mit Ketamin kann einen ähnlichen Effekt hervorrufen. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen nun, dass das Phänomen der Überflutung des Gedächtnisses mit Erinnerungen möglicherweise mit der Aktivität sensibilisierter NMDA-Rezeptoren erklärbar ist.

Schweben über dem eigenen Körper

Außerkörperliche Erfahrungen sind ebenfalls eine häufige Begleiterscheinung von Todesnähe-Erlebnissen. Der Betreffende fühlt sich auf einmal leicht und hat keine Schmerzen mehr. In solchen Fällen berichten Betroffene davon, wie sie Ärzte und Schwestern bei dem Versuch, den eigenen Körper wiederzubeleben, beobachten konnten. Die Erklärung liegt wohl darin, dass bei extrem starken Verletzungen und großen Schmerzen das Gehirn das Bewusstsein vor diesen Reizen schützt, sie sozusagen ausblendet. Auch hier spielen wohl die NMDA-Rezeptoren eine Rolle. Sie stehen nämlich mit dem Opioid-System in Verbindung, dem System, mit dessen Hilfe der Körper Schmerzen unterdrückt. Statt der Schmerzen kann unter Umständen ein intensives Glücksgefühl entstehen.

Das Schweben des eigenen "Geistwesens" über der körperlichen Hülle und andere außerkörperliche Erfahrungen versucht man auf die Auflösung der Unterschiede zwischen dem Selbst und der Umwelt zurückzuführen. Hier spielt möglicherweise auch die Amygdala als ein für Angst und Aggression zuständiges Gehirnzentrum eine Rolle: Wenn der Mensch nicht mehr handeln kann, kommt diese Region mit ihren Handlungsimpulsen nicht mehr zum Zuge – und die eigenen Grenzen scheinen sich aufzulösen.

Todesnähe-Erfahrungen & Jenseits-Vorstellungen

In fast allen Kulturen sind Todesnähe-Erfahrungen bekannt. Doch ob die Todesnähe-Erfahrungen auf die Existenz eines Lebens nach dem Tod hindeuten, bleibt offen. Der Heidelberger Psychiater Michael Schröter-Kunhardt zieht aus den neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse den Schluss, dass der Glaube an ein Leben nach dem Tod letztlich biologisch vorprogrammiert ist. "Der Mensch ist durch die Beschaffenheit seines Gehirns darauf ausgerichtet, mystische Erfahrungen zu machen. Er ist von vornherein ein religiöses Wesen."