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Leben im Dorf aktiv gestalten

Karin Jäger26. November 2012

Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Stadt. Mit Regionalmanagern will die EU den Trend stoppen. Sie beraten Kommunen dabei, den demografischen Wandel, Leerstand, Finanznot und Abwanderung zu meistern.

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Enge Dorfstraße in der Gemeinde Grafschaft (Kreis Ahrweiler) (Foto: Karin Jäger/ DW)
Bild: DW/Karin Jäger

Sven Lachmann hat keine festen Arbeitszeiten. Er ist viel unterwegs als Handlungsreisender und Werbebotschafter für ländliche Regionen im Bundesland Rheinland-Pfalz. Mal klingelt er an Haustüren, um die Befindlichkeiten der Dorfbewohner zu erfragen, mal hält er Vorträge vor Gemeinderatsmitgliedern, um konkrete Vorschläge zur Dorfverschönerung zu machen. Er moderiert bei Streitfragen, kooperiert mit übergeordneten Behörden, betreibt Öffentlichkeitsarbeit. Lachmann ist Regionalmanager. Er und seine Kollegen werden angefordert, wenn bäuerliche Gehöfte, historische Fachwerkgebäude und Läden leer stehen, Gaststätten dicht gemacht haben und ganzen Dörfern der Verfall droht. "Dorfbewohner werden älter, junge Leute ziehen weg, in die Stadt. Der demografische Wandel lässt sich nicht aufhalten", beschreibt Lachmann die Lage, die er als Herausforderung ansieht.

Sven Lachmann, Regionalmanager am Institut für Regionalmanagement (ifr) (Foto: Karin Jäger/ DW)
Sven Lachmann, RegionalmanagerBild: DW/Karin Jäger

Beim Renovieren ans Alter denken

Der Regionalmanager hat Befragungen durchgeführt, die das Altern im Dorf betreffen - und herausgefunden: "Der Hauptwunsch eines älter werdenden Menschen ist es, im eigenen Lebensumfeld zu bleiben." Das bedeute aber nicht das eigene Haus oder Dorf. Es dürfe auch das Nachbardorf sein, aber dann sei meist schon die Grenze erreicht. Er warnt davor, Gebäude nur unter dem Aspekt der Energieersparnis umzubauen, wie es heute üblich ist. Im Hinblick auf die älter werdende Gesellschaft müsse man auch an die Barrierefreiheit denken. Eine Investition in die Zukunft, die sich erst in ein paar Jahren auszahle. Doch das Bewusstsein dafür müsse erst noch geschaffen werden.

Wohnhäuser in Autobahnnähe, hier an der A61 bei Grafschaft-Ringen (Foto: Karin Jäger/ DW)
In Zukunft gefragt: Im Dorf wohnen und doch nah an der AutobahnBild: DW/Karin Jäger

Meist fehlt es den Kommunen an Kapital für Investitionen. Viele versuchen daher, Industrie anzusiedeln, beobachtet Sven Lachmann. "Die Gemeinden sind abhängig von der Gewerbesteuerentwicklung. Das hat dazu geführt, dass viele Gemeinden in verkehrsgünstiger Lage große Gewerbeflächen ausgewiesen und voll erschlossen haben." So grenzt mancherorts ein Industriegebiet an das nächste, weil Nachbargemeinden sich darin überbieten, mit günstigen Grundstückspreisen Firmen anzulocken. "Das ist riskant, bleiben doch gerade in Zeiten von Rezession viele Flächen brach."

Das Vorzeigemodell Wallmerod

Um Fehler wie diese zu vermeiden, können sich Gemeinden an Sven Lachmann wenden. Für den Regionalmanager ist ein Vorzeigeprojekt der Dorfentwicklung die Westerwald-Gemeinde Wallmerod, die aus 21 Dörfern besteht. Wie in vielen anderen deutschen Kommunen wurden auch hier lange Zeit Bauwillige mit günstigem Bauland in Neubaugebiete außerhalb der Ortsmitte gelockt. Der Dorfkern verödete zunehmend.

2004 entstand deshalb die Initiative "Leben im Dorf - Leben mittendrin", die deutschlandweit Vorbildcharakter erlangte. Die Kommune gab die Devise aus, "bei der Baulandausweisung voll auf die Bremse treten, bei der Innenentwicklung Gas geben". Informationsflyer wurden gedruckt, Tragetaschen und Kugelschreiber verteilt, um für das Leben in der Dorfmitte zu werben.

Werbegeschenke, die animieren sollen, im Dorf zu leben (Foto: Karin Jäger/ DW)
Taschen, Kulis - Werbematerial für das Leben im DorfBild: DW/Karin Jäger

In einem Architektenwettbewerb wurden Vorschläge für die Sanierung wenig attraktiver Wohnhäuser prämiert. Unter der Maßgabe: architektonisch ansprechend und bezahlbar. Investitionswillige wurden zudem mit einem Förderprogramm geködert: Jeder, der im Ortskern ein Gebäude erwirbt, saniert oder abreißt und neu baut, erhält einen Zuschuss, maximal 8000 Euro. Besonders bei jungen Familien kommt das gut an, inzwischen sind 25 Prozent von außerhalb in eines der Dörfer der Großgemeinde gezogen.

Rund 128 Häuser wurden bisher reaktiviert, 19,5 Millionen Euro dabei von privater Hand investiert. Mittlerweile gelte es sogar als chic, im Ortskern zu wohnen, sagt Bürgermeister Klaus Lütkefedder im Gespräch mit der Deutschen Welle nicht ohne Stolz. Die Nähe zu Geschäften, Ärzten, Kindergarten, die Ruhe, das Angebot von 200 Vereinen und der Zusammenhalt zwischen Jung und Alt mache die Attraktivität aus.

Klaus Lütkefedder, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Walmerod/ Westerwald (Foto: privat)
Klaus Lütkefedder, Bürgermeister in WallmerodBild: privat

"Leben im Dorf" heißt nicht nur dort wohnen und schlafen, sondern auch das Miteinander aktiv gestalten. Neubürger können sich an Ansprechpartner wenden. Was aktuell läuft, erfahren Bewohner auf der Homepage "lebenimdorf.de" oder dem Jugendportal "vg4me.de". Das reicht von der Dorfdisko bis zum Backfest. Das Internet spielt hier eine wichtige Rolle bei der Vernetzung.

LEADER-Regionen werden von der EU gefördert

Die Wallmeroder erhalten Zuschüsse von der Europäischen Union: LEADER heißt das Projekt, das zwar englisch ausgesprochen wird, sich aber aus dem französischen Begriff "Liaison entre actions de développement de l'économie rurale" zusammensetzt. 244 LEADER-Regionen gibt es in Deutschland, 2000 in der EU. Auch Regionalmanager Sven Lachmann schöpft aus diesem Etat für sechs Projekte, an denen er zurzeit arbeitet - mit einem langfristigen Ziel: Konzepte zu entwickeln, damit auch weitere ländliche Regionen nicht ausbluten. Er wird noch an vielen Haustüren klingeln, um im Auftrag von Kommunen, den Bedarf der Bewohner zu ermitteln.

LEADER-Logo der EU
LEADER-Logo der EU