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Rio kürzt olympisches Kulturprogramm

Donna Bowater / ad14. Juli 2016

Während der Olympischen Spiele muss man sich vor allem auf "kulturelle Flashmobs" gefasst machen. Denn inmitten des Aufruhrs in Brasilien hat Rio sonstige olympische Kulturveranstaltungen drastisch zusammengestrichen.

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DasJugendmusikensemble Favela Brass in Rio de Janeiro Foto:© DW/D. Bowater
Bild: DW/D. Bowater

Von den "Bailes", den angesagten Straßentänzen, bis hin zum berühmten Samba oder dem afrobrasilianischen Kampftanz Capoeira: Rio de Janeiro ist bekannt für sein reiches kulturelles Erbe. Aber die Metropole an der Guanabara-Bucht mit fast 6,5 Millionen Einwohnern ist auch die erste Olympia-Stadt seit 1992, die kein vierjähriges Kulturprogramm organisiert, das in den Spielen seinen Höhepunkt erreichen soll.

Stattdessen hat man sich auf Aktivitäten während des Olympischen Jahres 2016 konzentriert. Während Präsidentin Dilma Rousseff sich mit einem Amtsenthebungsverfahren rumschlagen muss, hat eine Übergangsregierung die Führung des Landes übernommen - und jetzt sind die anspruchsvollen Kulturpläne erst mal vom Tisch.

Proteste gegen Kürzungen Foto: DW/D. Bowater
Seit Wochen belagern Künstler den Palacio Gustavo Capanema, wo Rios Kulturministerium zuhause istBild: DW/D. Bowater

Nachdem Übergangspräsident Michel Temer ankündigte, das Kulturministerium würde mit dem Bildungsministerium zusammengelegt, gab es einen landesweiten Aufschrei von Künstlern, Musikern und Autoren. Schnell kam auch ein Fehlbetrag im olympischen Kulturbudget zutage.

Diese Meldung wurde zwar widerrufen - aber dennoch wurden nach Angaben des Kulturministeriums unter Temer von den ursprünglich vom Kulturministerium der Rousseff-Regierung für die Olympiade versprochenen Kulturbudget von 85 Millionen brasilianischen Reais (circa, 23,5 Millionen Euro) bis Mai weniger als zehn Millionen Reais (2,8 Millionen Euro) tatsächlich freigegeben.

Eine weitere Mittelbewilling wird nun geprüft. Denn Brasilien hat mit einer schweren Rezession sowie mit einem Defizit zu kämpfen, das auf rund 47 Millionen Euro geschätz wird.

"Laut der neuen Verwaltung des Kulturministeriums ist das Olympiade-Programm durch Verzögerungen in der Planung ernsthaft gefährdet", hieß es in einer Regierungserklärung. Ferner wurde angekündigt, dass das Ministerium die Situation juristisch beleuchten wolle.

Enttäuschung über Kürzungen

Nur noch wenige Wochen vor der Eröffnungszeremonie am 5. August 2016 ist Rios Kulturprogramm "Celebra" (Lasst uns feiern) immer noch nicht in trockenen Tüchern. Die Organisatoren gaben zu, dass es zu Verzögerungen gekommen sei, dass man das endgültige Programm aber in Kürze bekanntgeben werde - man soll mit "Flashmobs und Überraschungen" rechnen. "Das Programm steht bereits fest. Aber einige Veranstaltungen können nicht angekündigt werden, um ihren Flashmob-Charakter nicht zu gefährden", erklärte ein Sprecher von Rios Kulturabteilung. "Es gibt Verspätungen, aber da alles weit im Voraus geplant wurde, wird alles gut klappen. Gerade in Zeiten wie diesen müssen wir unser Land gut repräsentieren. Ich bin mir sicher, dass die brasilianische Kultur niemanden enttäuschen wird."

Doch im Land selbst fühlen sich viele durch die Kürzungen sehr wohl im Stich gelassen. Sogar der Kulturbeauftragte von Rios Rathaus, das von den Kürzungen relativ verschont blieb, gab zu, dass es zu Streichungen und Änderungen gekommen sei. Von Mai bis September sollte es beim Kulturpass-Festival, organisiert vom Kulturamt im Rathaus, 900 Veranstaltungen geben. Doch es werde wohl wesentlich bescheidener ausfallen, berichten Insider.

Tom Ashe, Gründer von Favela Brass, in Pereira da Silva Foto: DW/D. Bowater
Während eines kürzlichen Konzerts bittet Tom Ashe um Unterstützung für Favela BrassBild: DW/D. Bowater


'Rio ist stärker in der Kultur als im Sport'

Die Musikschule Favela Brass (Bild oben) für Fünf- bis 15-Jährige im Slum Pereira da Silva war neben 140 anderen Bewerbern ausgewählt worden, um während der Spiele in und um Rio bis zu fünf Shows zu veranstalten. Jetzt wird es nur eine Show geben - und zwar an einem Ort, der gerade mal Kapazitäten für 130 Besucher hat. "Dort kann ich die Kinder nicht hinschicken und ihnen dann sagen, sie seien während der Olympiade aufgetreten", bemängelt Tom Ashe, der Gründer von Favela Brass.

Stattdessen hat die Schule ihr eigenes Veranstaltungsprogramm auf die Beine gestellt. Auf öffentlichen Plätzen wird sie zeigen, was sie in den letzten zwei Jahren alles erreicht hat. "Wir werden das durchziehen", so Ashe. "Wir wollen, dass die Kinder eine tolle Erfahrung machen und sich als Teil von Olympia fühlen. Über Rio werden die Lichter leuchten, und das wird sich so schnell nicht wiederholen. Wenn nicht, wäre das eine Schande, denn Rio ist kulturell stärker als im Sport."

Regionale Bedürfnisse und gobalen Erwartungen

Beatriz Garcia, Forschungsbeauftragte am "Liverpool Institute of Cultural Capital" in Großbritannien, untersucht Rios Kulturprogramm für die Olympiade. Zuvor hat sie auch schon neun andere Olympia-Städte unter die Lupe genommen. "Aus der kulturellen Perspektive heraus ist es wichtig, die richtige Balance zwischen den Wünschen eines weltweiten Publikums sowie den Erwartungen regionaler Gemeinden zu finden, vor allem den Favelas der Stadt", sagt sie. "Wenn die Olympiade zum Forum eines nachhaltigen kulturellen Erbes werden soll, dann dürfen diese Gemeinden nicht auf scheinheilige Art und Weise behandelt werden."

Trotz aller politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen ist die regionale Verwaltung davon überzeugt, dass Rios Kultur der Spontanität und Kreativität sich während der Olympiade positiv auswirken wird. Es ist auch geplant, den "Kultur-Pass" auszuweiten - mit dem Ziel, kulturelle Aktivitäten in allen Teilen der Stadt anzuregen, und das auch nach dem Ende der Spiele.

Rio als Plattform für Brasiliens kulturelle Identität

Der Kulturbeauftragte der Gemeinde, Junior Perim Foto: DW/D. Bowater
Der Kulturbeauftragte der Gemeinde, Junior Perim, ist frustriert, aber dennoch optimistischBild: DW/D. Bowater

"Wir haben derzeit nur begrenzte Möglichkeiten. Das ist auch für uns frustrierend", meint der regionale Kulturbeauftragte Junior Perim und fügt hinzu, dass das Bürgermeisteramt direkt und indirekt mehr als 28 Millionen Euro in kulturelle Aktivitäten investiert hat. "Aber wir sind zufrieden. Ich bin stolz darauf, zu einem solch wichtigen Zeitpunkt der Kulturbeauftragte zu sein - während der ersten Olympischen Spiele in Lateinamerika." Jede Menge Street Art, so Perim weiter, werde ohne finanzielle Unterstützung durch die Regierung stattfinden. "Brasilien bietet jede Menge cooler Dinge, viele kulturelle Erfahrungen, die die nationale Identität definieren", erklärt Perim. "Aber ich glaube, kein anderer Ort ist so geeignet wie Rio, aus dieser Identität eine Synthese herzustellen."