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Musik

Das Klassik-Jahr 2016

Rick Fulker
28. Dezember 2016

Ein extrem wechselvolles Jahr in der Welt der klassischen Musik geht zu Ende. Zwei große Visionäre der Musikgeschichte haben die Bühne endgültig verlassen. Hier auf einen Blick: Zahlen, Daten, Personen.

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Musiker trägt roten Notenschlüssel
Bild: Fotolia/Jean Kobben

Von zwei der einflussreichsten Musiker des 20. und 21. Jahrhunderts musste man im Jahr 2016 Abschied nehmen. Im Januar verstarb der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez (90),  im März Nikolaus Harnoncourt (86), österreichischer Cellist, Dirigent, Musikforscher und Mitbegründer der historischen Aufführungspraxis.

Beide galten als Visionäre, beide waren zeitweise sowas wie die Bilderstürmer der Klassikszene. Und sie prägten die Klassik nachhaltig: Boulez in erster Linie in der Neuen Musik und Harnoncourt in der Alten Musik. Beide waren für markige Sprüche bekannt: "Sprengt sie alle in die Luft!" sagte Boulez einmal und meinte damit die Opernhäuser der Welt, die er einer verkrusteten, längst überholten Tradition verpflichtet sah.

Nikolaus Harnoncourt österreichischer Dirigent
Der visionäre Dirigent Nikolaus Harnoncourt Bild: Reuters/L. Foeger

Stardirigent Nicolaus Harnoncourt, der den früher weit verbreiteten Schönklang im Stil seines Dirigenten-Kollegen Herbert von Karajan hasste, formulierte seine eigenen Grundsätze: "Musik darf auch hässlich sein" und "Um schön zu sein, muss sich die Musik an der äußersten Kante der Katastrophe bewegen".

Ebenfalls gestorben ist der britische Komponist Peter Maxwell Davies, Hofdirigent des britischen Königshauses und Komponist von Sinfonien, Solokonzerten und Opern sowie Ballett- und Filmmusik. Davies war 81 Jahre alt, er starb im März 2016. Im September starb der südafrikanische Tenor Johan Botha mit nur 51 Jahren. Er hat sich vor allem in seinen Wagner-Rollen verdient gemacht.

Festival-Karussel dreht sich weiter

Bei den Bayreuther Festspielen war 2016 alles wie immer - und doch diesmal irgendwie anders. Strenge Sicherheitskontrollen hatten einen verkehrsberuhigten, teils abgezäunten Grünen Hügel zur Folge und dadurch auch eine weniger festliche Atmosphäre. Nach zum Teil terroristischen Attentaten in den bayerischen Städten Würzburg, München und Ansbach nur wenige Tage vor der Eröffnung am 25. Juli 2017 fiel die Begrüßung der Prominenten am Roten Teppich und der Staatsempfang aus: zum ersten Mal in der neueren Festspielgeschichte.

Deutschland Festspielhaus in Bayreuth
2016 keine roter Teppich für das Schaulaufen der ProminenzBild: picture alliance/dpa/T. Schamberger

Wie so oft, ereignete sich der eigentliche Eklat in Bayreuth im Vorfeld: Dreieinhalb Wochen vor der Premiere warf der lettische Star-Dirigent Andris Nelsons, der zur Eröffnung die Neuproduktion von "Parsifal" dirigieren sollte, das Handtuch. "Unterschiedliche Auffassungen in verschiedenen Angelegenheiten" war die nebulös formulierte Begründung. Es war die aktuellste, jedoch gravierendste in einer langen Geschichte von Umbesetzungen bei den Wagner-Festspielen.

Der deutsche Dirigent Hartmut Haenchen legte dann mit wenig Probezeit eine stringent neue musikalische Deutung der Partitur vor - und wurde dafür gefeiert. Im Gegensatz dazu konnte der Regisseur Uwe Eric Laufenberg wenig Lob einstreichen. Er holte aus, und kritisierte seinerseits die (vor allem deutschen) Musikkritiker, bezeichnete sie als "voreingenommen" und "Schnellvernichter".

Deutschland - Bayreuther Festspiele 2016 Parsifal
Mit christlicher Symbolik stieß die Bayreuther Produktion von Wagners "Parsifal" in den Kern der Geschichte vorBild: Bayreuther Festspiele/E. Nawrath

Die grundlegende Sanierung des Bayreuther Festspielhauses wurde indessen abgeschlossen - zum Teil zumindest. Die Südfassade ist wieder zu sehen. Die Gesamtkosten sind auf 30 Millionen Euro veranschlagt, die Sanierung sollte ursprünglich bis 2023 abgeschlossen sein. Aber sowohl Kostenvoranschlag als auch Termin werden nicht mehr einzuhalten sein, wie Ende 2016 bekannt wurde.

Neuorientierung fürs Beethovenfestival

Das Programm des weltweit größten und renommiertesten Klassik-Festivals, der Salzburger Festspiele, war mit Opern von Mozart, Gounod und Strauss, Uraufführungen von Werken der Komponisten Thomas Adès und Friedrich Cerha sowie mit einem Porträt des Komponisten Peter Eötvös vielfältig. Das Schleswig-Holstein Musik Festival kreiste dagegen um ein einziges Hauptthema: Joseph Haydn. 2017 wird sich das renommierte Festival dem Komponisten Maurice Ravel widmen. 

Joseph Haydn
Joseph Hayden wurde im Norden Deutschlands gefeiertBild: nickolae/Fotolia

Im Norden Bayerns feierte der Kissinger Sommer in Bad Kissingen sein 30-jähriges Jubiläum und verabschiedete sich von seiner Intendantin Kari Kahl-Wolfsjäger, die das Festival vom Anfang an geleitet hatte.

Beim Bonner Beethovenfest legte Intendantin Nike Wagner 2016 ein spannendes Programm mit dem Motto "Revolutionen" vor. Die Musiker waren hochkarätig, die Ideen durchdacht und professionell ausgeführt. Trotzdem musste das Festival in der Geburtsstadt des Komponisten einen Rückgang der Auslastung auf rund 70 Prozent verzeichnen.

Dass das Beethovenfest im kommenden Jahr mit dem gefälligeren Thema "Die entfernte Geliebte" eine Trendwende einleiten wird, ist allein aus logistischen Gründen zu erwarten: Die Veranstaltungsreihe wird von vier auf drei Wochen gekürzt und die Hauptspielstätte - das World Conference Center in Bonn - hat ein Viertel weniger Sitzplätze als die Beethovenhalle, die in den kommenden drei Jahren saniert wird.

Im Jahrgang 2016 kam das Thema "Musik und Politik" auch beim Acht Brücken-Festival für Neue Musik in Köln gut an. Dennoch schien die Fortführung des Festivals zunächst ungewiss. Grund ist die ungewisse finanzielle Beteiligung der Stadt , doch 2017 soll das Festival erstmal noch mit dem Motto "Ton. Satz. Laut." weitergehen.

Ausgezeichnete Musiker und Sänger

Cecilia Bartoli Opernsängerin
Die als "Anti-Diva" bekannte Musikforscherin, Festivalveranstalterin und Mezzosopranistin Cecilia BartoliBild: picture-alliance/dpa/Herbert Neubauer

Eine Reihe hochkarätiger Klassik-Künstler wurden mit Auszeichnungen geehrt. Zu den höchstdotierten Kulturpreisen Europas (75.000 Euro) gehört der Kairos-Preis der Alfred Toepfer Stiftung. Er ging an den griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis. Übertroffen wird er vom Polar-Musikpreis der Königlich Schwedischen Musikakademie mit 107.000 Euro, den die Opernsängerin Cecilia Bartoli in diesem Jahr erhielt. Dem deutschen Dirigenten Thomas Hengelbrock wurde der Karajan-Musikpreis samt eines Preisgeldes in Höhe von 50.000 Euro zugesprochen, das laut Satzung der Musikerziehung gewidmet werden soll.

Der mit 10.000 Euro dotierte Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion ging an den türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say. Ebenfalls 10.000 Euro gingen an den jungen deutschen Hornisten Felix Klieser, der den Leonard Bernstein Award gewann. Gemeinsam mit dem Bundesjugendorchester und dem Dirigenten Alexander Shelley erhielt Punkrock-Sänger Campino ("Die Toten Hosen") einen ECHO KLASSIK, für sein Lebenswerk wurde der österreichische Pianist Alfred Brendel ebenfalls mit einem ECHO geehrt.

Marktfaktor Klassik

Der Klassikbetrieb blieb im Jahr 2016 ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Europa: Ein Bach-Manuskript wurde beim Londoner Auktionshaus Christie's für 2,96 Millionen Euro versteigert. 789 Millionen Euro, das Zehnfache der ursprünglich veranschlagten Summe, wurden in der mittlerweile fertiggestellten  Elbphilharmonie in Hamburg verbaut.

England Johann Sebastian Bach seltenes Manuskript zur Versteigerung
Bachs Manuskript hier im Original, das in der Herzogin Anna Amalia-Bibliothek in Weimar entdeckt wurdeBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Insgesamt 160 Millionen Euro mehr als veranschlagt wird die Sanierung der berühmten Berliner Staatsoper Unter den Linden kosten. Die Umbauzeit hat sich von drei auf sieben Jahre erhöht, was für heftige öffentliche Kontroversen in der Hauptstadt gesorgt hat - wegen gravierender Planungsfehler. Ob der 3. Oktober 2017 als Eröffnungstermin gehalten werden kann, gilt als ungewiss.

Neu angekündigt im Jahr 2016: Als Nachfolger von James Levine wird der frankokanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin ab 2020 die künstlerische Leitung der Metropolitan Opera New York übernehmen - die übrigens im September 2016 ihr 50-jähriges Jubiläum feierte. Und im Dezember nahm in Berlin die Barenboim-Said Akademie ihren Lehrbetrieb auf. Die vom Staat finanzierte ganzheitliche Ausbildung von Studenten aus dem Mittleren Osten soll ein Signal der Hoffnung im festgefahrenen Friedensprozess dort sein.