1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Das ist ein fairer Vorschlag der Türkei"

Adelheid Feilcke11. März 2016

Die Flüchtlingskrise führt zu einer Annäherung zwischen Athen und Ankara. Von einer Kooperation würden die verfeindeten Länder profitieren. Abschottung ist der falsche Weg, meint der Südosteuropaexperte Gerald Knaus.

https://p.dw.com/p/1IBop
Syrische Flüchtlinge an der türkisch-syrischen Grenze (Foto: Imago/Zuma)
Die Türkei hat mehr Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen als alle EU-Staaten zusammenBild: Imago/Zuma

DW: Die Türkei hat das Angebot gemacht, Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen, wenn die EU im Gegenzug für jeden zurückgenommenen Flüchtling einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnimmt. Wie bewerten Sie das Angebot?

Gerald Knaus: Das ist ein fairer Vorschlag der Türkei. Wichtig ist, dass man diesen Vorschlag im Einklang mit griechischen und EU-kompatiblen Gesetzen umsetzt. Diese besagen, dass Flüchtlinge, die die griechischen Inseln erreichen, tatsächlich in die Türkei zurückgeschickt werden können, wenn die Türkei bereit ist, diese aufzunehmen. Allerdings funktioniert das nur dann, wenn sie keinen Asylantrag stellen. Und jeder hat das Recht, einen individuellen Asylantrag zu stellen.

Stellen die Leute den Asylantrag, dann kann dieser schnell behandelt werden, wenn die Türkei ein für Flüchtlinge sicherer Drittstaat ist. Ich würde so wie andere auch argumentieren: das ist der Fall. Wobei auch gleichzeitig klar ist, dass man in der Türkei mit weiteren Reformen und finanzieller Unterstützung der EU noch sehr, sehr viel machen kann, um die Bedingungen für Flüchtlinge im Land weiter zu verbessern. Aber ohne Zweifel sind die Bedingungen für Flüchtlinge in Griechenland derzeit schlechter als in der Türkei. Wenn die Türkei sicherer Drittstaat ist, dann können griechische Behörden diese Verfahren schnell behandeln

Zeigt sich die EU zu kompromissbereit gegenüber der Türkei, wird sie gar von Ankara erpresst?

Wenn es um die Flüchtlinge geht, dann ist die Unterstellung, die Türkei versucht die EU zu erpressen, ziemlich dreist. Denn die Türkei ist das Land, was die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Viel mehr noch als jedes andere Land in Europa. Und gleichzeitig will die EU, dass die Türkei die Flüchtlinge im Land behält. Wenn da die Türkei sagt, dass sie dafür finanzielle Beteiligung und Unterstützung fordert von einer EU, die ein Interesse daran hat, dass das gelingt, dann ist das keine Erpressung. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Ankara das zusätzliche Geld für 2018 fordert.

Es ist andererseits vollkommen klar, dass die EU den Beitrittsprozess nicht beschleunigen kann, sozusagen als Geschenk an die Türkei dafür, dass sie bei der Flüchtlingsfrage hilft. Die Türkei will, dass die Betrittskapitel geöffnet werden. Beitreten kann man aber sowieso erst, wenn alle 28 Länder bei allen Kapiteln zu der Erkenntnis kommen, dass dies der Fall ist. Und davon sind wir noch weit entfernt.

Welche Strategie verfolgt denn die Türkei in diesem Prozess mittel- und langfristig?

Ich glaube, es gibt zwei Ziele in der Türkei: Das eine ist, man will, was die Flüchtlingsfrage betrifft, nicht allein gelassen werden, denn man rechnet damit, dass es noch mehr Flüchtlinge geben wird. Und da will die Türkei sicher gehen, dass sie nicht zum Auffangbecken für Europa wird und man ihr so wenig hilft wie zwischen 2011-2015. Das zweite Ziel der Türkei ist, dass sie sich mit Deutschland gut stellen möchte. Die Türkei hat ein Interesse daran, dass in der EU diejenigen Erfolg haben, die sich gegen eine islamophobe Antiflüchtlingspolitik und antimuslimische Rhetorik stellen, wie etwa Deutschland.

Gerald Knaus, Vorsitzender des Think Tank „European Stability Initiative (Foto: DW)
Gerald Knaus ist Vorsitzender der „European Stability Initiative"Bild: DW

Denn tatsächlich ist es so, dass wenn der Türkei- EU- Plan scheitert, die einzige Alternative, die in Brüssel auf dem Tisch liegt, der Plan ist, sowohl die Türkei als auch Griechenland durch eine neue Mauer auf dem Balkan einfach abzuschotten. Das ist der Plan, an dem viele mitteleuropäische Staaten ganz intensiv arbeiten.

Wir bewerten Sie die Chancen, der neuen Allianz aus Griechenland, Türkei und Deutschland der Abschottungspolitik etwas entgegenzusetzen?

Ich kann nur hoffen, dass eine Annäherung zwischen Deutschland und der Türkei mittelfristig dazu führt, dass sich das Verhältnis verbessert. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Türkei sich, was die Menschenrechte betrifft, wieder an dem orientiert, was sie vor einigen Jahren gemacht hat – nämlich Reformen, die die Menschenrechte stärken und nicht schwächen. Das muss man den Türken immer wieder sagen.

Wenn türkische Beamte in naher Zukunft auf den griechischen Inseln mit Griechen zusammenarbeiten und wenn sowohl Griechenland als auch die Türkei erkennen, wie wichtig es ist, dass diese Zusammenarbeit auch Ergebnisse herausbringt, dann kann man nur hoffen, dass sich die Lage in der Ägäis irgendwann entspannt. Tatsächlich ist die Grenze zu Griechenland für die Türkei die sicherste und freundlichste, denn ansonsten ist sie umgeben von Konflikten, schwachen Staaten und Feinden.

Die EU-Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan haben sich an der Grenzschließung beteiligt. Was bedeutet das für sie?

Also ohne jeden Zweifel ist die Vorstellung, dass man den Flüchtlingsstrom durch Abschreckung und durch einen Zaun auf dem Balkan aufhalten kann, in jeder Hinsicht eine Katastrophe für die Balkanstaaten. Ich bin ziemlich sicher, dass wird nicht gelingen. Denn der Anreiz für Schmuggler, den Leuten einen anderen Weg aufzuzeigen, ist riesig. Dazu kommt, dass Griechenland fallen gelassen wird: Da stellt sich doch die Frage für Skopje oder Belgrad, ob die Art und Weise, wie Griechenland jetzt behandelt wird von der EU, das ist, was man als EU-Mitglied erwarten kann.

Das Gespräch führte Adelheid Feilcke

Der österreichische Südosteuropaexperte Gerald Knaus leitet die Denkfabrik "Europäische Stabilitätsinitiative" (ESI), die Büros in Berlin, Brüssel, Istanbul und Wien unterhält.