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"Das ist die Quizfrage"

17. November 2003

– Dusan Reljic, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Institut für Wissenschaft und Politik, zum Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Serbien

https://p.dw.com/p/4LQq

Bonn, 17.11.2003, DW-radio, Christoph Hasselbach

Frage:

Wie bekommt jetzt Serbien ein Staatsoberhaupt?

Antwort:

"Das ist die Quizfrage, und um sie zu beantworten, sind viele Leute gestern Abend (16.11.) und heute früh (17.11.) sehr verlegen gewesen in Belgrad. Wahrscheinlich wird sich die Meinung durchsetzen, dass zwar das Parlament aufgelöst ist, aber das Mandat der Abgeordneten nicht aufgehört hat, und dass sie zusammenkommen können, um eine neue Präsidentschaftswahl zu vereinbaren. Allerdings, Serbien soll am 28. Dezember ein neues Parlament wählen. Und nicht wenige Stimmen sprechen sich dafür aus, dass man die Präsidentenwahlen dann später abhalten lässt, wenn man eindeutige Mehrheiten im Parlament geschaffen hat."

Frage:

Aber woher weiß man, dass dann die Wahlbeteiligung hoch genug sein wird?

Frage:

"Zwei wichtige demokratische Parteien, die Demokratische Partei Serbiens und die Partei G 17 Plus haben ja zum Boykott dieser Präsidentenwahlen aufgerufen. Und das hat weitgehend dazu geführt, dass die Wahlen gescheitert sind. Außerdem sind die Menschen sich bewusst, dass das Amt des Präsidenten eher ein protokollarisches ist. Die Macht in Serbien ist im Parlament, und sie ist beim Ministerpräsidenten. Und da werden die Parteien viel mehr Werbung dafür machen, dass die Menschen zu den Wahlen gehen. Und ich bin sicher, dass am 28. Dezember ein neues Machtverhältnis in Serbien zustande kommt."

Frage:

Warum war die Beteiligung jetzt und bei den ersten beiden Malen so gering? Warum scheinen sich die Leute nicht für diese so wichtige Frage ausreichend zu interessieren?

Frage:

"Man bietet ihnen zu wenig. Die Menschen, drei Jahre nach dem Sturz von Milosevic, sind frustriert, weil nicht genug Arbeitsplätze geschaffen wurden, weil die wirtschaftlichen Perspektiven dürftig sind, weil die politische Klasse nach Milosevic sich untereinander zerstritten hat und große Anzeichen an Korruption zeigt. Deswegen war die Wahl gestern auch eine Protestwahl. Entweder hat man nicht teilgenommen an der Wahl, und das war auch ein Ausdruck des Protests. Oder viele Menschen haben für den Rechtsnationalisten Nikolic gestimmt, der mit 1,1 Millionen Stimmen wirklich ein sehr gutes Ergebnis bekommen hat. Das sind die Protestwähler gewesen, die sich gegen die Öffnung Serbiens zum Westen ausgesprochen haben und die sich insbesondere gegen die Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal ausgesprochen haben. Das ist ein schlechtes Zeichen für Serbien, dass die rechten Kräfte so stark wieder gewählt worden sind und dass die demokratischen Kräfte untereinander so zerstritten sind."

Frage:

Heißt das, dass sich viele Serben doch mit den früher führenden Politikern, die sich jetzt in Den Haag verantworten müssen, bis zu einem gewissen Grad identifizieren, dass sie glauben, hier stehe praktisch Serbien statt verschiedener Einzelpersönlichkeiten vor Gericht?

Antwort:

"Diesen Eindruck habe ich nicht. Milosevic, Seselj, das sind alles Politiker, die weg sind und die eigentlich im politischen Leben Serbiens keine Rolle spielen. Aber, den Eindruck, den Sie angesprochen haben, dass das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal einseitig vorgeht, den haben sehr, sehr viele Menschen in Serbien, und nicht nur Nationalisten. Es ist auch daran messbar, dass bis jetzt keine Anklage gegen albanische Kriegsverbrecher erhoben worden ist, und dass die Zahlen so sehr eindeutig sind, dass viel mehr bosnische Serben da sitzen als zum Beispiel bosnische Kroaten usw. Aber es ist etwas viel Wichtigeres auch dabei vorhanden. Es ist diese Angst vor der Modernisierung, vor der Liberalisierung in der Wirtschaft, die auch mit sich einen Verlust an Arbeitsplätzen bringt, einen Verlust an sozialer Sicherheit. Dagegen opponieren die Menschen, dagegen, dass man ihnen keine eindeutige Besserung ihrer Lebensverhältnisse bisher ermöglicht hat. Und wenn das Bruttosozialprodukt wachsen würde im entsprechenden Ausmaß, wären die Fragen von Haag und der Vergangenheit viel schneller lösbar." (fp)