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Das europäische Gespenst

Verica Spasovska1. Mai 2004

In Europas Hauptstädten knallen die Sektkorken, natürlich auch in Berlin. Aber die meisten Deutschen sehen der EU-Erweiterung durchaus mit gemischten Gefühlen entgegen.

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Langfristig erwarten die Deutschen mehr Nach- als Vorteile für ihr Land. Befürchtungen und diffuse Ängste löst vor allem die Frage aus, wie sich die Erweiterung auf den Arbeitsmarkt auswirkt: Werden deutsche Firmen ihre Arbeitsplätze in die osteuropäischen Länder auslagern, weil dort billiger gefertigt werden kann? Warten schon Heerscharen von Arbeitnehmern in den Beitrittsländern darauf nach Deutschland zu kommen, um hier Deutschen die Arbeitsplätze wegzunehmen?

Neue Arbeitsplätze

Weder das eine noch das andere trifft zu. Nach Einschätzung deutscher Exporteure werden in der Bundesrepublik durch die Osterweiterung hunderttausende von Arbeitsplätzen gesichert und in den nächsten zehn Jahren 500.000 neue entstehen. Selbst Pragmatiker sprechen von einer historischen Gelegenheit" für die deutsche Konjunktur. Und nach allem, was wir aus der Migrationsforschung kennen, wird sich auch die Zuwanderung in Grenzen halten, weil es dort, wo sich die Wirtschaft erholen wird, eher einen Mangel an Arbeitnehmern als einen Überfluss an Wanderern geben wird. Das Schreckgespenst der europäischen Osterweiterung spukt also zu Unrecht in den Köpfen der Menschen herum.

Zurück in die Heimat

Erinnern wir uns: Als Griechenland, dann Portugal und Spanien in die EU aufgenommen wurden, hegten viele Deutsche ähnliche Befürchtungen. Aber diese Länder haben sich wirtschaftlich schnell erholt und wurden rasch zu Rückwanderungsländern. Allerdings muss man fairerweise einräumen, dass es einen großen Unterschied zwischen der damaligen und der heutigen Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt gibt: Ende der 1960er Jahre wuchs die deutsche Wirtschaft, heute trägt die anhaltenden Konjunkturflaute zur allgemeinen Verunsicherung bei.

Die Skepsis gegenüber den wirtschaftlichen Vorteilen der EU-Osterweiterung in der deutschen Bevölkerung wirft ein Schlaglicht darauf, dass sich immer noch zu wenige Menschen in Deutschland mit der EU identifizieren. Die Europäische Union wird vor allem als eine Behörde angesehen, weniger als ein politisches Projekt, für die es sich als Bürger lohnt, Rechte und Pflichten zu übernehmen. Die kontinuierlich abnehmende Beteiligung an den Europawahlen zeigt dies deutlich. Dies ist eine Folge der bestehenden Defizite der EU: Um von den Menschen mehr als bisher mitgetragen zu werden, müssen Europa-Politiker mehr bürgernahe Entscheidungen als bisher treffen.

Ende der Teilung

Bei allen Defiziten, die vor allem in der schwerfälligen europäischen Bürokratie liegen, gilt es in diesem Augenblick an daran zu erinnern, dass die jetzt vollzogene Erweiterung der EU die endgültige Überwindung der Teilung des Kontinents bedeutet. Wir erleben das Nachholen eines Projekts, das durch den Kalten Krieg unterbrochen wurde. Ebenso wie Deutschland im Oktober 1990 wiedervereinigt wurde, kann nun im Mai 2004 in Europa endlich wieder zusammenwachsen, was zusammen gehört.

Dass dieser Prozess nicht über Nacht und nur unter vielen Mühen vollzogen werden kann, das erleben wir seit fünfzehn Jahren hautnah in Deutschland. Aber dass es sich lohnt, kann wohl niemand bestreiten.