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Hollande gegen Sarkozy

Daphne Grathwohl4. Mai 2012

Die Spannung in Frankreich steigt kurz vor der Stichwahl. Vor allem Amtsinhaber Sarkozy kämpft bis zum letzten Moment. Dabei ist Hollande der Sieg kaum noch zu nehmen.

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Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, links, schüttelt die Hand des Präsidentschaftskandidaten der Sozialisten Francois Hollande (Foto: AP/dapd)
Kämpfen um jede Stimme - Hollande und SarkozyBild: AP

Es geht vor allem um die Stimmen an den Rändern des Parteienspektrums, um die die beiden Kontrahenten vor der lang prognostizierten Stichwahl am Sonntag (06.05.2012) in Frankreich ringen: Am rechten Rand sind es immerhin knapp 18 Prozent, die Marine Le Pen für den Front National gewinnen konnte. Sie hat aufgrund des französischen Wahlsystems zwar nichts davon, weil nur die beiden Sieger des ersten Wahlgangs in der Stichwahl antreten. Doch für die Parlamentswahlen im Juni malen sich die Wähler des Front National schon große Erfolge aus.

Marine LePen, Tochter des Parteigründers Jean-Marie LePen, habe ihr Ziel erreicht, sagt Etienne François vom Frankreich-Zentrum der Freien Universität Berlin. Die Wortwahl der Partei sei eine andere geworden, so François, doch die Zielrichtung habe sich nicht sehr geändert: "Aber der Wandel im Sprachduktus hat dazu geführt, dass die Partei sich immer mehr normalisiert hat."

Rechte als Zünglein an der Waage

Vor allem Nicolas Sarkozy wirbt in der Stichwahl um die Stimmen der Rechten - und müsste etwa zwei Drittel der Front-National-Wähler gewinnen, um François Hollande noch zu schlagen. Ein nahezu unmögliches Unterfangen: Marine Le Pen hatte am Dienstag (01.05.2012) kurz vor dem entscheidenden Wahlgang ihren Anhängern nahegelegt, sich aus Protest zu enthalten, anstatt eine Wahlempfehlung für Sarkozy auszusprechen.

Die Parteichefin des rechten Front National, Marine Le Pen, auf einer Veranstaltung zum 1. Mai (Foto: REUTERS)
Empfiehlt ihren Anhängern nicht, für Sarkozy zu stimmen - Front-National-Chefin Marine Le PenBild: Reuters

Nicolas Sarkozy versucht es trotzdem. Er hat zwar Kooperationen mit dem Front National ausgeschlossen, bedient sich aber der Themen und der Wortwahl der Rechtsextremisten. Dazu gehört auch die Mitte April getroffene Vereinbarung des französischen Innenministers Claude Guéant mit seinem deutschen Amtskollegen Hans-Peter Friedrich, das Schengen-Abkommen zu ändern und Grenzenkontrollen wieder einzuführen.

Claire Demesmay leitet das Programm Frankreich und deutsch-französische Beziehungen bei der Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Sie erklärt das in Sarkozys Wahlkampf immer wiederkehrende Thema "Schengen" so: "Viele Franzosen fürchten sich vor der Globalisierung, fürchten sich vor offenen Grenzen." Sarkozy greife das Thema Schengen auf, um seinen Wählern die Botschaft zu vermitteln: "Europa muss für uns ein Schutz sein. Wir haben keine Angst vor Europa, aber wir als Franzosen wollen bestimmen, was Europa werden muss."

"Ideologische Orientierungslosigkeit"?

Das Schwierige für Sarkozy, so Claire Demesmay, sei aber, dass er nicht nur Stimmen aus dem konservativen und rechten Lager braucht, sondern auch die Anhänger des Zentrumspolitikers François Bayrou für sich gewinnen muss. "Das sind Leute, die sich für Europa-Fragen interessieren, die in der Regel Europa gegenüber offen sind und für mehr Integration sind. Für Sarkozy ist das die Quadratur des Kreises."

Dr. Claire Demesmay, Leiterin des Programms Frankreich und deutsch-französische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
Analysiert die Wahlkampf-Parolen - Frankreich-Expertin Claire DemesmayBild: DGAP

Tatsächlich wird von Seiten der UMP eine Zusammenarbeit mit dem Zentrumspolitiker Bayrou befürwortet – ein deutlicher Versuch, die Wähler der europa-freundlichen Mitte anzusprechen. Dazu passt auch, dass Sarkozy sich Ende April für einen Wachstums-Pakt für Europa ausgesprochen hat. Einen solchen fordert sein Gegner Hollande seit langem. Angesichts der Kapriolen von rechts nach links in der Parteienlandschaft spricht die linksliberale Zeitung Libération von "ideologischer Orientierungslosigkeit". Bayrou selbst sprach sich allerdings zuletzt für Herausforderer François Hollande aus.

Neustart mit Hollande?

Dieser bleibt bei seinem vielbeschworenen Wachstums-Pakt, den viele Staaten Europas fordern – und seit Ende April explizit auch der EZB-Chef Mario Draghi. Jacques-Pierre Gougeon, Forschungsdirektor am Pariser Institut für Internationale Beziehungen und Strategien (IRIS) und Berater der Sozialisten, beschreibt Hollandes Position: "Für Hollande ist die Politik der Schulden-Kontrolle wichtig, ebenso wie die Anstrengungen der Mitgliedsstaaten in Wirtschaftsfragen." Aber Europa könne nicht nur sparen, so der Politikberater weiter: "Europa müsse auch Maßnahmen für Wachstum, Beschäftigung und Innovationen treffen. Und das fehlt derzeit."

Jacques-Pierre Gougeon ist Forschungsdirektor am Pariser Institut für Internationale Beziehungen und Strategien (IRIS). Der Germanist und Buchautor ist Experte für die deutsch-französischen Beziehungen. Außerdem berät Gougeon den einflussreichen Fraktionsvorsitzenden der Sozialisten in der Nationalversammlung, Jean-Marc Ayrault. Quelle: Iris http://www.iris-france.org/cv.php?fichier=cv/cv&nom=gougeon ;
Propagiert den Wachstumskurs Hollandes - Politikberater Jacques-Pierre GougeonBild: IRIS

Manche Beobachter fürchten, dass Hollande die europäische Politik in der Schuldenkrise völlig umkrempeln könnte. Doch auch er wird die Wahlkampfparolen – allen voran die Neuverhandlung des Fiskalpakts – nach der Wahl nicht eins zu eins umsetzen, glaubt Claire Demesmay von der Gesellschaft für Auswärtige Politik. Neuverhandlungen des Fiskalpakts, den 25 Staaten unterschrieben haben, werde es nicht geben, davon ist Demesmay überzeugt: "Dazu wird es nicht kommen, weil Angela Merkel das nicht akzeptieren wird. Und sie ist auch nicht die Einzige, es sind viele Länder, die gegen Neuverhandlungen sind." Man werde miteinander reden und gemeinsame Lösungen auch in anderen Bereichen finden, aber ohne Neuverhandlungen, glaubt sie.

Hollandes Forderung nach einem Wachstumspakt, der dem Fiskalpakt hinzugefügt wird, scheint dagegen in der Tat realistisch. In der Woche vor der Stichwahl in Frankreich sprach sich auch Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker für zusätzliche Wachstumsimpulse aus.

Anhänger von Francois Hollande sehen Hollande auf einem Bildschirm, wie er von Tulle aus eine Wahlkampfrede hält, und jubeln (Foto: REUTERS)
Nach Umfragen deutlich in der Mehrheit - die Anhänger HollandesBild: Reuters

Die Rating-Agenturen lauern schon

Wie vielfach von Beobachtern angesprochen, bleiben die Themen, die Frankreich wirklich beschäftigen, im Wahlkampf unangetastet - der Schuldenabbau, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Doch das böse Erwachen komme schon nach den Parlamentswahlen im Juni, prognostiziert die Wirtschaftsexpertin Isabelle Bourgeois vom "Forschungs- und Informationszentrum zur deutschen Wirtschaft und Gesellschaft und zu den deutsch-französischen Beziehungen" (CIRAC): "Denn die Rating-Agenturen liegen auf der Lauer und dann geht es um das Triple-A Frankreichs." Dann werde man sehr schnell auf das zu sprechen kommen müssen, was im Moment nicht angesprochen werde, so Bourgeois: "Wie wird Frankreich modernisiert, wie wird die Wirtschaft wieder auf die richtige Bahn gebracht?"

Und Etienne François vom Frankreich-Zentrum der FU Berlin wagt noch eine Prognose: Sollte Sarkozy die Wahl verlieren, wird es bei der Legislativwahl für das Parlament, die unmittelbar danach stattfindet, vermutlich viele Abgeordnete für den Front National geben, möglicherweise Formen des stillschweigenden Arrangements zwischen den bürgerlichen Konservativen und dem Front National. Und diese starke Vertretung des Front National im Parlament wird die Sache nicht einfacher machen."

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy auf einer Wahlkampf-Veranstaltung am 1. Mai (Foto: REUTERS)
Kämpft präsidial bis zum letzten Moment - Sarkozy am 1. Mai in ParisBild: Reuters