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"Das Deutsche ist oft zu pathetisch"

7. Oktober 2010

Sie wurde in Serbien geboren, ist in Ungarn aufgewachsen, als Kind in die Schweiz gezogen: Melinda Nadj Abonji, die mit dem Deutschen Buchpreis 2010 geehrt wurde. Ein DW-Interview über Mutter- und "Großmuttersprache".

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Melinda Nadj Abonji (Foto: dpa)
Deutscher Buchpreis für den Roman "Tauben fliegen auf"Bild: picture alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Buchpreis 2010! Haben Sie sich jetzt schon dran gewöhnt?

Melinda Nadj Abonji: Ja, ein bisschen. Heute Morgen, als ich aufgestanden bin, dachte ich: Ja, jetzt ist es wie es ist.

Aber Sie haben nicht damit gerechnet?

Nein, überhaupt nicht. Ich war ganz überrascht.

Ihr Roman ist ja auch eine biografische Geschichte. Sie sind 1974 in die Schweiz gekommen, als Fünfjährige. Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes deutsches Wort?

Nein. Der tiefere Eindruck war vielmehr diese Sprachlosigkeit, dass ich mich nicht verständigen konnte. Das trage ich heute noch in mir. Ich konnte den anderen im Kindergarten zuhören, mich aber nicht einmischen. Das war eine grundlegende Erfahrung.

Wie haben Sie dann Deutsch gelernt?

Spielerisch. Ich glaube, nach einem Jahr war ich fähig zu kommunizieren. Große Schwierigkeiten hatte ich dann aber, lesen zu lernen. Ich hatte anfangs große Probleme in der Schule.

Ihre Muttersprache ungarisch ist ja eigentlich Ihre Großmuttersprache: Sie sind bei Ihrer Großmutter aufgewachsen. Bei der Preisverleihung haben Sie gesagt, das Buch sei eine Hommage an Ihre Großmutter. Was verbinden Sie mit ihr?

Ich bin bei ihr aufgewachsen, und danach war ich auch immer in den Ferien bei ihr. Ich wollte immer zu ihr. Das hat einfach mit dieser Liebe zu tun, die ersten vier Jahre prägen einen natürlich sehr stark. Und ich hatte eigentlich keinen Vater. Es gibt da eine kleine Geschichte. Meine Großmutter war sehr gläubig und hatte im Wohnzimmer ein Papstbild hängen. Und ich hielt den Papst immer für meinen Vater. Er ist ja natürlich auch unser Vater, irgendwie.

Aber ich habe meine Eltern wirklich nicht gekannt. Und deshalb diese Hommage. Meine Großmutter fehlt mir einfach unglaublich in der Schweiz. Es ist auch eine Hommage an sie, weil ich von ihr Dinge erfahren habe, die mir sonst niemand erzählt hat. Sie war nicht unbedingt eine, die viel erzählt hat, aber wenn sie erzählt hat, war das wesentlich.

Sie haben mit ihr ja ungarisch gesprochen. Es gibt in Ihrem Roman eine schöne Stelle zum Thema Sprache als Heimat. "Klingt das ungarische Wort für Familie für dich nicht wie ein warmes schönes Essen?" Das fragt die Hauptfigur ihre Mutter. Ist das so?

Die Sprache klingt natürlich ganz anders als Deutsch. Sie hat auch andere Buchstaben, diese schönen Diphtonge. Die Liebe zur ungarischen Sprache hatte ich immer. Aber in der Schule, in der Schweiz, da will man dann auch nicht auffallen damit. Die wirkliche Auseinandersetzung mit der Sprache hat erst später eingesetzt.

Sie lieben beide Sprachen - schreiben aber auf Deutsch. Was kann man besser im Deutschen als im Ungarischen sagen - und umgekehrt?

Im Deutschen hatte ich sehr lange das Gefühl, dass ich keine Gefühle zeigen darf, dass es sonst sofort zu pathetisch wird. Und das kam auch in meinem ersten Buch zum Ausdruck, das habe ich da "Magerdeutsch" genannt. Ich habe versucht, sehr reduziert zu schreiben, das war fast ein bisschen programmatisch. Ich hatte immer Angst vor Adjektiven. Ein Wort wie "wunderschön" zum Beispiel oder "wunderbar" – das war mir zu viel. Etwas ist vielleicht mal schön, aber wunderschön, nun ja. Ich glaube, ich musste da wirklich einen Zugang finden. Mein neues Buch hat schon sehr viele Gefühlsanteile, die werden transportiert durch die Sprache, und da musste ich einen Weg finden. Ich wollte ja auch keine geistige Geschichte schreiben.

Ohne Adjektive ...

Genau, es ging schon sehr um Adjektive, oder darum, auch mal ein Füllwort zu nutzen, das habe ich in meinem ersten Text gar nicht gemacht. Ich bin dann eben über das Ungarische gegangen. Das Ungarische habe ich als eine sehr emotionale Sprache kennen gelernt. Ich habe versucht, in diesem Sprachschatz etwas zu finden, das ich dann ins Deutsche übersetzen kann. Das war wichtig für dieses Buch.


Interview: Gabriela Schaaf
Redaktion: Manfred Götzke