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Ausgestopfte Tiere als Kunst

27. März 2009

Kadaverkunstwerke sind wieder "in" - wie in alten viktorianischen Zeiten. Damals waren die Jagdtrophäen aus fernen Kolonien ein Renner. Heute hängen ausgestopfte Pudel in Bars.

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Ein gelber toter Schmetterling liegt auf einem schwarzen Hintergrund (Foto: Haunch of Venison 2009. Foto: Peter Mallet)
Ein Kunstwerk von Mat CollishawBild: Haunch of Venison 2009. Photo: Peter Mallet

In einer Halle steht mitten im Raum ein Sarg auf einem Sägebock. Die grob gezimmerten Kanten sind angefault. Aus finsteren Ritzen quellen bleiche Blumen oder Moose. Sie erinnern ein wenig an Maden. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das zuerst nicht definierbare "Etwas" als frisch geschlüpfte Wachtelküken. Ihre zarten Köpfchen sind verrenkt, die Schnäbel weit offen. Sie sind im Tode erstarrt und doch gierig nach Licht und Nahrung.

Zu Tode erstarrt

(Foto: Haunch of Venison 2009. Foto: Peter Mallet)
Nathan Coley: Fear of Defeat - for Bertrand RussellBild: Haunch of Venison 2009. Foto: Peter Mallet

Es sei eines der anspruchsvollsten Stücke der Künstlerin Polly Morgan, sagt Nina Mall von der Galerie "Haunch of Vension". "Die Küken, die sich aus dem Sarg drängen, transzendieren quasi die Grenze zwischen Leben und Tod." Traditionell gelte ein Küken als Symbol für neues Leben. Das Paradox an dieser Installation sei, dass die Küken tot seien und von der Künstlerin zu neuem Leben erweckt würden, erklärt sie weiter.

Früher waren die Ausstellungsräume in Burlington Gardens ein Kuriositätenkabinett voller ethnographischer Trophäen aus den britischen Kolonien: Ausgestopfte Tiere wurden so präsentiert, als wären sie nie gestorben.

Schönheit und Vergänglichkeit

Jetzt haben moderne Großstadtbriten ihren Charme aufs Neue entdeckt. In keiner angesagten Bar darf ein ausgestopfter Pudel oder ein präpariertes Rebhuhn fehlen. Anders als früher sehen die heutigen Taxidermisten ihre Kadaver als metaphysische Bedeutungsträger, um die Schönheit und Vergänglichkeit des Lebens zu zelebrieren. "Viele von Pollys Tieren sehen aus, als wären sie nur eingeschlafen: eine kleine Haselmaus, die in sich in einem Löffel zusammenrollt, oder ein süßes Kaninchen, das sich in einen Zylinder verzogen hat", sagt Nina Mall.

Mit zusammengekniffenen Augen späht ein Herr in eine viktorianische Glasvitrine. Dort steht ein kostbares Schmuckkästchen aus Kristall und Gold, mit verblichener Seide ausgepolstert. Ein kleiner toter Zaunkönig liegt auf dem Kissen ausgebreitet, die Augen geschlossen, die Flügel halb geöffnet - ein poetischer Märchenprinz, der nur darauf wartet, erlöst zu werden. "Ziemlich süß, aber auch rührselig", sagt der Besucher. Kaufen würde er den Zaunkönig nicht - 5000 Pfund soll der Vogel kosten.

Wie ein Hähnchen aus dem Supermarkt

Ein ausgestopfter Hund, der wie lebendig aussieht, sitzt auf dem Boden (Foto: Haunch of Venison 2009. Foto: Peter Mallet)
Ausgestopfte Tiere wie dieser Hund sind in der Ausstellung in London zu sehenBild: Haunch of Venison 2009. Photo: Peter Mallet

Deutlich erschwinglicher sind hingegen die Präparate in Kim MacDonalds Wunderkammer, ein Gartenschuppen am Rande von London. "Wir haben hier Tigerzahnimitate, Säurewannen, Glasaugen und quer durcheinander die klassische Menagerie aus erstarrten Hechten, Eulen und Hirschköpfen und überraschend wenig Blut", sagt MacDonald.

Jeder meine, dass Taxidermisten mit Herzen, Lebern und Lungen nur so um sich werfen würden, sagt er. "Wir lösen aber nur die Haut ab und schälen den Kadaver auf einmal heraus: Das sieht im Endeffekt genauso aus wie ein Hühnchen aus dem Supermarkt."

Kim MacDonald ist ein Taxidermist der alten Schule. Er ist nur an naturalistischen Tableaus interessiert. Seine Kunden sind Jäger und Fischer, die ihre Trophäen verewigt haben wollen, sowie Museen und Auktionshäuser. Tiere, die unter Naturschutz stehen, rührt Kim Mcdonald nur an wenn sie eines natürlichen Todes gestorben sind. Manchmal haben die Kunden auch außergewöhnliche Wünsche: "Neulich wollte ein Mann, dass ich seinen Vater präpariere, aber diesen Auftrag hab ich abgelehnt", erzählt er.

Raus aus der Mottenkiste

Kim Mcdonald hofft, dass die neuen Künstler die Taxidermie aus der Motten-Ecke herausholen und die alte viktorianische Tradition beleben. Die Zeichen dafür stehen günstig. Der Graffiti-Künstler Banksy hat die Taxidermie-Künstlerin Polly Morgan längst entdeckt. Inzwischen sind ihre Installationen neben Werken von Damien Hirst, den Chapman Brüdern und Tracey Emin zu sehen. Vor kurzem habe das Supermodel Kate Moss eine Glasglocke von Polly Morgan gekauft, in der ein kleiner toter Blaufink, poetisch auf einem Gebetbuch gebettet, die ewige Ruhe gefunden habe, erzählt Nina Miall von der Gallerie "Haunch of Venison".

"Die Kunden sind fasziniert, sie möchten die Tiere berühren, und schrecken doch gleichzeitig verwirrt zurück, wenn sie merken wie kalt und hart sie sich anfühlen", sagt sie. Galeriebesucher Rick Webber stimmt ihr zu: "Für mich haben die Exponate etwas dunkel Subversives an sich – aber irgendwie sind sie auch ein bißchen krankhaft."

Eingelegter Hai von Damien Hirst
Gern auch eingelegt: Damien Hirst: The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living, 1991Bild: Damien Hirst

Mehr Informationen:
Die Ausstellung "Mythologies" läuft in London läuft im Rückgebäude der Royal Acadamy of Arts bis Ende April 2009. Der Eintritt ist kostenlos, die Ausstellung ist von Montag bis Samstag geöffnet. Zeitgenössische Taxidermie-Künstler stellen hier ihre Werke aus.

Autorin: Ruth Rach

Redaktion: Heidi Engels