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Das Bundesverfassungsgericht - das Rückgrat der Republik

16. März 2010

Kaum eine staatliche Institution genießt bei den Deutschen ein so hohes Ansehen wie das Bundesverfassungsgericht. Die Richter in den roten Roben sind die Hüter der Verfassung. Und manchmal auch ein moralischer Kompass.

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Die Verfassungsrichter des Ersten Senats des Bundesverfassungerichts in ihren roten Roben, von links, Johannes Masing, Hans-Juergen Papier, Christine Hohmann-Dennhardt, Reinhard Gaier und Wilhelm Schluckebier verkünden am Dienstag, 2. Maerz 2010, in Karlsruhe ihren Richterspruch zur Vorratsdatenspeicherung. Das Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung ist verfassungswidrig und muss neu gefasst werden. (Foto: apn Photo/Winfried Rothermel)
Bild: AP

Berlin regiert, Karlsruhe korrigiert. Das gehört mittlerweile zur politischen Kultur in Deutschland. Immer wieder fahren die Verfassungsrichter der Politik in die Parade und erklären von Bundesregierung und Parlament beschlossene Gesetze für verfassungswidrig. Zuletzt war das so bei der Vorratsdatenspeicherung: Anfang März entschieden die Karlsruher Richter, dass die massenhafte Speicherung von Telefon- und Internetdaten unzulässig ist. Für die Politiker in Berlin heißt es jetzt: nacharbeiten und eine neue Lösung finden, die mit der deutschen Verfassung vereinbar ist.

An einen Server angeschlossene Datenkabel sind am 14. Dezember 2009 in Stuttgart, Baden-Württemberg, zu sehen. (Foto: AP)
Vorratsdatenspeicherung: verfassungswidrigBild: AP

"Knechte des Rechts"

Die Richter in den scharlachroten Roben haben immer das letzte Wort: Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind nicht anfechtbar. Alle Staatsorgane, auch die Regierung, haben sich daran zu halten. Genau so wollten es die Mütter und Väter des Grundgesetzes: Sie schufen im September 1951 eine unabhängige Institution, die wichtige Verfassungsprinzipien und die Grundrechte schützen sollte. "Wir Richter des Bundesverfassungsgerichts sind Knechte des Rechts", sagte damals der erste Gerichtspräsident, Hermann Höpker-Aschoff.

Das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. (Foto: DPA)
Das Bundesverfassungsgericht in KarlsruheBild: picture-alliance/ dpa

Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern; gewählt werden sie von einem speziellen Wahlausschuss des Bundestages und vom Bundesrat. Eine Wiederwahl nach der zwölfjährigen Amtszeit ist nicht möglich, das soll die Unabhängigkeit des Gerichts sichern.

Wegweisende Urteile

Dass sie unabhängig entscheiden, haben die Verfassungsrichter in der Geschichte der Bundesrepublik bewiesen: Mit unnachgiebiger Konsequenz erinnerten sie die Politik immer wieder an verfassungstreue und machten sich damit in Bonn und Berlin nicht immer Freunde. So durchkreuzten die Karlsruher Richter 1961 etwa die Pläne des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, der einen bundeseigenen Fernsehsender gründen wollte. In den siebziger Jahren ließen sie beispielsweise ein Gesetz zur Hochschulreform scheitern, und 1983 stärkten sie mit dem Volkszählungsurteil den Datenschutz. Im Kopftuchstreit untersagte das Gericht 2003 dem Land Baden-Württemberg, einer Lehrerin das Kopftuch ohne gesetzliche Grundlage zu verbieten.

Für Schlagzeilen sorgte das Bundesverfassungsgericht auch, als es 2004 den Großen Lauschangriff, also die akustische Wohnraumüberwachung, für größtenteils verfassungswidrig erklärte. 2006 ließen die Richter auch das Luftsicherheitsgesetz scheitern: Gekaperte Passagierflugzeuge dürfen zur Abwehr eines Terroranschlages nicht abgeschossen werden; dies sei weder mit dem Grundrecht auf Leben noch mit der Garantie der Menschenwürde vereinbar.

Ein Staatsorgan mit tadellosem Ruf

Das Bundesverfassungsgericht ist auch so etwas wie ein moralischer Kompass für die Politik in Deutschland. Quer durch die politischen Milieus werden die Urteile aus Karlsruhe als moralisch integer und wegweisend angesehen. Umfragen zufolge geben mehr als zwei Drittel der Deutschen an, dem Bundesverfassungsgericht zu vertrauen.

Porträt des neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, in roter Richterrobe. (Foto: DPA)
Andreas Voßkuhle ist der neue Präsident des BundesverfassungsgerichtsBild: picture-alliance/ dpa

Selbst die zuweilen geäußerte Kritik, das Bundesverfassungsgericht entwickle sich zum "Ersatzgesetzgeber" oder zum "Ersatzparlament", konnte dem Ansehen der Institution nicht schaden. Dass er einem Staatsorgan mit tadellosem Ruf vorsteht, weiß auch der neue Präsident des Bundesverfassungsgericht, Andreas Voßkuhle: "Das Bundesverfassungsgericht ist wahrscheinlich neben dem amerikanischen Supreme Court das anerkannteste Gericht auf der Welt."

Autorin: Monika Dittrich

Redaktion: Dеnnis Stutе