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Stopp! Leichte Sprache

17. September 2010

Gesetze, Verträge, Briefe – "Behördendeutsch" können Menschen mit geistiger Behinderung oft kaum verstehen. Damit auch sie eine Chance haben, übersetzen Bremer Pädagogen. Auch andere profitieren davon.

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Eine Hand hält einen Stift und beschreibt ein Blatt Papier (Foto: DW)
In leichter Sprache werden die Texte längerBild: S. Gillert

Elke Rauschenberg hat Angst vor langen Wörtern – zum Beispiel Landesverband Rheinland-Pfalz. Die 46-Jährige ist geistig behindert. Lesen ist für sie eine Herausforderung. "Wenn ich das Wort höre, verstehe ich es. Wenn ich es selber lese, dann habe ich Schwierigkeiten, weil es lang ist."

Eine Lösung des Problems: Mehr Bindestriche. Aus dem langen Wort "Landesverband" wird dann Landes-Verband, für Elke Rauschenberg ist das viel übersichtlicher. Mit solchen und anderen einfachen Tricks arbeiten Petra Schneider und Volker Uhle vom Büro für Leichte Sprache der Bremer Lebenshilfe. Schneider: "Benutzen Sie positive Sprache. Negative Sprache erkennt man an dem Wort nicht." Schneider nennt ein Beispiel: "Schlecht ist: Peter ist nicht krank. Gut ist: Peter ist gesund."

Einfache Tricks

Petra Schneider (Foto: DW)
Petra SchneiderBild: Godehard Weyerer

Ihr Kollege erläutert die Übersetzungsarbeit anhand der bildlichen Sprache. "Nehmen wie die Rabeneltern. Das sind nicht die Eltern von Rabenküken, sondern natürlich Eltern, die sich schlecht um ihre Kinder kümmern." Bildliche Sprache kann verwirren, wissen die beiden aus der eigenen Arbeit. Beide sind Diplom-Behindertenpädagogen. Die Regeln für eine leichte und verständliche Sprache mussten sie sich allerdings selbst erarbeiten; in ihrem Studium war davon keine Rede.

Seit sechs Jahren gibt es den Service der Bremer Lebenshilfe schon. In leichte Sprache übersetzt wurden seitdem beispielsweise ein Stadtführer, eine Broschüre für Schwangere und die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Die Texte werden verändert – nicht der Inhalt. Deshalb sprechen die Pädagogen ausdrücklich von Übersetzung.

Was wird übersetzt?

Das Logo der Bremer Lebenshilfe (Foto: DW)
Seit sechs Jahren gibt es den Service der Bremer LebenshilfeBild: Godehard Weyerer

Auch die Weihnachtsgeschichte liegt in leichter Sprache im Büro der Lebenshilfe aus. Und "Klar und Deutlich", eine Zeitung, die monatlich erscheint. Außerdem wurden Verträge, Gesetze, Briefe und Informationstexte übersetzt.

Ein Beispiel: "Leistungsempfänger und Leistungsempfängerinnen können von den Rehabilitationsträgern anstelle von Dienst- oder Sachleistungen zur Teilhabe ein persönliches Budget wählen", nachzulesen in einer Broschüre der Bundesregierung über selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen. Übersetzt in leichte Sprache wird daraus: "Budget ist ein anderes Wort für Geld. Mit dem persönlichen Geld können behinderte Menschen selbst aussuchen, welche Unterstützung sie haben wollen. Wer einem im Haushalt hilft und wer mit einem in die Stadt geht. Man kann auch selber aussuchen, wann man das alles machen möchte."

Behinderte lesen die Texte gegen

Elke Rauschenberg liest die Texte gegen (Foto: DW)
Elke Rauschenberg liest die Texte gegenBild: Godehard Weyerer

In leichter Sprache werden die Texte länger. Wegen der Schriftgröße und des doppelten Zeilenabstands. Außerdem werden die Texte bebildert und jeder Satz beginnt in einer neuen Zeile. Besonders wichtig ist die ständige Qualitätskontrolle der übersetzten Texte. Die übernimmt gewissenhaft Elke Rauschenberg – die geistig Behinderte sitzt als dritte Kraft in dem Bremer Büro. "Wenn mit Tabellen gearbeitet wird, dann habe ich auch Probleme; da rutschen meine Augen weg."

Das Problem unverständlicher Texte ist so alt wie das Behördendeutsch. Bei Amtsgängen eine oft unüberwindliche Hürde für geistig Behinderte und Menschen, die Probleme mit dem Lesen haben. Für Volker Uhle ist leichte Sprache auch eine Form der Barrierefreiheit. Mittlerweile bieten die beiden auch Schulungen in Ämter und Behörden an. Nicht nur Menschen mit Behinderungen stolpern über das Behördendeutsch, auch Analphabeten und Migration, die die deutsche Sprache nicht beherrschen. Nach Ansicht von Petra Schneider und Volker Uhle von der Bremer Lebenshilfe ist die leichte Sprache hilfreich für jeden.

Autor: Godehard Weyerer

Redaktion: Michael Borgers