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Daniel Harding und das Mahler Chamber Orchestra

1. Juni 2011

Während der dreijährigen Zeit als "Orchestra in Residence" in Nordrhein-Westfalen brillierten das Mahler Chamber Orchestra und sein Chefdirigent Daniel Harding Ende Mai 2011 in Dortmund und Essen.

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Conductor Daniel Harding and Kolja Blacher, Violin, left, both from Germany, lead the Mahler Chamber Orchestra and the Lucerne Festival Orchestra in the 6th symphony concert during the Lucerne Festival at the KKL Culture and Congress Centre in Lucerne, Switzerland, Friday, August 19, 2005. (KEYSTONE/Sigi Tischler) +++(c) dpa - Report+++
Klassik Kammerochester Daniel Harding Kolja BlacheBild: picture-alliance/dpa

Dirigieren könne physisch oder emotional regelrecht süchtig machen, sagt Daniel Harding von sich selbst. Vor allem in der Arbeit mit dem Mahler Chamber Orchestra könne er einfach er selbst sein. Zur Zeit ist das Reiseorchester als "orchestra in residence" in Nordrhein-Westfalen zuhause.

Schon im Alter von 20 Jahren stand der britische Dirigent Daniel Harding am Pult der weltgrößten Orchester. Er ist zwar auch erster Gastdirigent des London Symphony Orchestra und Chefdirigent des Swedish Radio Symphony Orchestra, doch seine längste Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Mahler Chamber Orchestra (MCO): Seit dessen Gründung im Jahr 1997 arbeitet er mit dem wohl weltweit jüngsten der international renommierten Orchester zusammen. Die Deutsche Welle hat mit Daniel Harding gesprochen.

Deutsche Welle: Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Mahler Chamber Orchestra beschreiben?

Daniel Harding: Das Orchester und ich arbeiten schon seit seiner Gründung zusammen, also seit 14 Jahren. Wir sind uns quasi schon als Teenager begegnet. Im Laufe der Jahre haben wir uns ganz genau kennengelernt; vor allem die Art, wie jeder einzelne Musik macht. Aber wir haben natürlich auch Veränderungen erlebt. Und ich glaube, wir sind dadurch zusammengewachsen und haben uns gemeinsam verändert. Das klingt jetzt vielleicht etwas egoistisch, aber das Wichtigste an der Arbeit mit dem MCO ist für mich das Gefühl, dass das der Platz ist, an dem ich arbeiten und ich selbst sein kann. Das ist natürlich nicht der einzige Platz, aber es ist einer der wichtigsten. Es ist eine Gruppe wundervoller Musiker, die sich für die Musik, die sie machen, sehr engagieren und für dieses Orchester leben.

Im Vergleich zu vielen Orchestern ist das Mahler Chamber Orchestra für seine relativ jungen Musiker bekannt.

Ja, so etwas wird oft gesagt: Oh, die sind ja wirklich etwas ganz Besonderes, weil sie so jung sind, so neugierig und so voller Energie. Ich kann, ehrlich gesagt, mit solchen Äußerungen nicht viel anfangen. Außerdem bin ich mir sehr bewusst, dass wir bei weitem nicht mehr so jung sind, wie in unserer Anfangszeit. Aber wie auch immer, so jung, wie wir heute sind, werden wir ja nicht immer bleiben. Also kann ich nur hoffen, dass es da noch etwas Bedeutenderes gibt, als jung zu sein.

Bleiben wir beim Thema Jugend: Die meisten Dirigenten starten ihre Karriere viel später, als Sie es getan haben. Können Sie sich vorstellen, auch in 60 Jahren noch zu dirigieren?

Ich glaube, mein professionelles Debüt hatte ich mit 17 Jahren. Das bedeutet also, ich dirigiere schon mehr als mein halbes Leben. Und es ist schon seltsam, nein, nicht nur seltsam, sondern in einer Weise auch frustrierend, denn wenn ich auf das zurückblicke, was ich in den letzten sechs Monaten gemacht habe, dann sage ich mir oft: Hm, bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, wie das funktioniert, und vielleicht fange ich erst gerade richtig an, es herauszufinden. Aber das passiert alle sechs Monate. Sie blicken zurück und denken: Du liebe Güte, ich weiß nicht, wie jemand das damals ertragen konnte. Und irgendwie hoffe ich, dass das nie aufhört. Ich finde es wunderbar, wenn man zurückblickt und dabei verwirrt wird – und wenn man genau weiß, warum man so verwirrt ist. Denn das bedeutet hoffentlich, dass man sich weiterentwickelt. Und in diesem Sinne sind 60 Jahre gar nichts.

Einige junge Dirigenten sorgen in letzter Zeit für Schlagzeilen, zum Beispiel Gustavo Dudamel, Robin Ticciati und Sie natürlich. Das hat in den Kulturmedien eine heftige Debatte ausgelöst: für oder gegen junge Dirigenten. Wie stehen Sie dazu?

Ich glaube, ein früher Karrierebeginn hat seine Vorteile. Es braucht eine lange Zeit, das Dirigieren wirklich zu lernen, und man braucht viele Jahre, gerade die großen Werke zu verstehen. Und ich glaube nicht, dass es eine Abkürzung sein kann, in höherem Alter anzufangen. Ich denke, das Dirigieren hat vor allem etwas mit Zeit und Erfahrung zu tun. In meinem Fall habe ich sehr jung angefangen, und ich hoffe, dass sich dadurch für mich viele Chancen eröffnen. Denn ich bin überzeugt, egal wie viele Lebensjahre vor einem liegen, dass man nie das Gefühl haben wird, auch nur annährend alle Herausforderungen angenommen zu haben. Seit Hunderten von Jahren werden die großen Werke von Mozart, Bach und Beethoven gespielt, ohne dass jemand je die endgültige Lösung gefunden hätte. Warum also glauben wir, dass wir im Alter von 70 plötzlich den Schlüssel finden werden? Wir alle gehen nur einen eigenen kleinen Weg, versuchen zu einem generellen Musikverständnis beizutragen und unsere Liebe zu diesen großartigen Stücken zu vermitteln. Und das ist alles, was wir tun können.

Worin liegt für Sie als Dirigent die Motivation?

Ich mache Musik, weil ich sie liebe, weil sie mich glücklich macht und mich erfüllt. Ich denke, es ist ein natürliches menschliches Bedürfnis, schöne Erfahrungen mit anderen zu teilen. Es ist eine ganz klare Sache: Man hat Musik im Kopf, die einen inspiriert. Aber es genügt nicht, sie nur innerlich zu hören, sie muss auch nach außen dringen. Also teilt man sich anderen Menschen mit: Hören Sie das? Hören Sie das, was ich höre? Das sind die Momente, in denen ich auflebe.

Wenn Sie dirigieren, haben Sie dabei jemals das Gefühl, völlig entrückt zu sein? Und wenn ja, ist das für Sie ein privater oder ein öffentlicher Moment?

Ehrlich gesagt, ich habe da keine Antwort. Es gibt Konzerte, bei denen man ungeheuer konzentriert sein muss, die wirklich harte Arbeit sind. Dann gibt es Konzerte, bei denen alles selbsterklärend zu fließen scheint. Es gibt großartige Konzerte und schreckliche; Konzerte, die einfach ungeheuer bewegend sind und wieder andere, die einen überhaupt nicht berühren. Aber das, was man als Musiker fühlt, scheint nichts mit dem zu tun zu haben, wie jemand anders es wahrnimmt. Deshalb weiß ich auch nicht, ob das für jemand anderen von Bedeutung ist. Ich bin mir sicher, das Dirigieren kann physisch oder emotional süchtig machen. Ich tue es, weil ich das Gefühl liebe, das es mir gibt. Musik physisch zu erleben ist einfach etwas Wunderbares. Und jeder Musiker weiß, dass es zwischen denen, die auf der Bühne spielen und den Menschen, die zuhören, eine ganz entscheidende Beziehung gibt. Man kann das nicht in Zahlen ausdrücken, aber jeder kennt den Unterschied zwischen Abenden, an denen es eine Verbindung zum Publikum gibt und Abenden, an denen es keine Verbindung gibt. Genuss ist ein wesentlicher Teil meiner Dirigier-Sucht.. Aber der Schmerz gehört natürlich auch dazu.

Das Gespräch führte Rick Fulker
Adaption: Marita Berg/ Redaktion: Suzanne Cords