Dalia Taha
16. September 2009Ein Feigenbaum ist ein eigenartiges Wesen und trägt einen schönen Widerspruch in sich, erzählt Dalia Taha, als wir uns in einem türkischen Kaffee in Berlin-Kreuzberg treffen. Aus dem Baum mit dem sehr starken Stamm kommt eine weiche, sehr verletzliche Frucht. Der Baum selbst lebt eine Ewigkeit, dagegen hält die Feige kaum ein paar Tage.
Dalia Taha schreibt Gedichte, seitdem sie das Scheiben gelernt hat. Sie kann sich nicht richtig erinnern, wann sie das erste Gedicht geschrieben hat. In ihrem Gedächtnis war Poesie immer präsent, erzählt sie. Warum sie schreibt, kann sie auch nicht sagen. Sie schweigt einen Moment und versucht dann doch eine Antwort: "Es ist ein Moment, in dem ich das Bedürfnis verspüre, etwas zu schreiben. Manchmal stehst du auf, und eine plötzliche Freude packt dich, weil das Wetter schön ist oder weil der Morgen schön ist."
Eine Welt mit Feigenbäumen
Auch wenn Dalia Taha, die in Ramallah lebt, nicht direkt über Palästina, den Nahost Konflikt oder den Siedlungsbau schreibt, sieht sie sich nicht als unpolitisch. Man muss sich selbst als Individuum verstehen, um das Ganze und den Konflikt verstehen zu können, erzählt sie. Ihr Individuum drückt sie durch eine von ihr selbst geschaffene Welt aus. Eine Welt mit Feigenbäumen, in der jemand umgebracht wird, der dann aber eigentlich nicht stirbt. Davon handeln ihre Gedichte. Abe die lyrische Welt von Dalia Taha ist alles andere als harmonisch: "Dinge, die ähnliche Widersprüche besitzen wie ein Feigenbaum, sind poetisch sehr reizvoll für mich. Ich versuche, in diesem Raum zu arbeiten, der viele Spannungen trägt, wie das Dasein und die Abwesenheit, das Mögliche und das Unmögliche. Das sind Schattenräume, in denen man Illusionen bauen kann."
Wenn die Architektur-Studentin über Lyrik und Prosa redet, benutzt sie oft Wörter wie Räume, Flächen und Bauen. Sie findet es komisch, dass die Häuser in ihrer Heimatstadt Ramallah auf ähnliche Weise gebaut wurden, wie die Häuser in den unweit gelegenen israelischen Siedlungen und fragt sich, ob das ein Ausdruck ihrer Unterlegenheit ist?
Unterwegs in Berlin
Dalia Taha möchte in ein arabisches Lokal gehen, wo sie auch etwas essen kann. Beim Libanesen auf der Sonnenallee schmecken die Falafel fast wie zu Hause. Ein Stück Heimat. Für sie selbst ist es ein sehr schönes Gefühl, ihre Geburtsstadt Berlin zu besuchen. Berlin sei lange Zeit nur in ihren Gedanken präsent gewesen: "Nun nimmt diese Fata Morgana konkrete Züge an."
Schade nur, dass es die ganze Zeit kalt und regnerisch ist, und dass sie nur ein Visum für vier Tage bekommen hat. Sie kann nicht mal das Haus besichtigen, in dem sie und ihre Familie damals in Berlin gewohnt haben, bevor sie Ende der Achtziger Jahre nach Palästina zurückgekehrt sind. Dalia Taha kann sich auch gut vorstellen, wieder in Berlin zu Leben. Für sie ist es eine Stadt, in der man anderen Menschen nah sein kann, und trotzdem seine Maske nicht ablegen muss – nicht wie in dem kleinen überschaubaren Ramallah.
Der Leser soll entscheiden
Dalia Taha beschreibt ihre Gedichte nie oder erzählt, wie sie entstanden sind. Sie stellt es lieber dem Leser frei, die Lyrik so zu interpretieren, wie er will. Sie selbst findet manchmal ihre Gedichte im Alltag wieder, wie im Fall des Feigenbaums: "Ich habe in einem Architektenbüro gearbeitet. An einer Baustelle stand ein Feigenbaum genau vor dem geplanten Garageneingang. Der Baum war klein, krank und sah sehr traurig aus. Doch irgendwie auch glücklich in seiner Traurigkeit. Für den Architekten war es eine sehr leichte Entscheidung, den Baum zu opfern."
Und immer wenn sie ihr Gedicht über den Feigenbaum liest, muss sie nun an den gefällten Feigenbaum denken.
Autor: Khalid El Kaoutit
Redaktion: Diana Hodali