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"Da waren keine Warnsignale"

14. August 2009

Knapp vier Wochen nach den tödlichen Schüssen deutscher Soldaten auf einen 15-Jährigen im afghanischen Kundus hat der Vater schwere Vorwürfe gegen die Bundeswehr erhoben. Das Verteidigungsministerium weist diese zurück.

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Khan Mohammad wurde bei Bundeswehroffensive in Afghanistan verletzt. Sein Sohn starb (Foto:dpa)
Schwer gezeichnet: Khan Mohammad (l.) wurde bei Bundeswehroffensive in Afghanistan verletzt. Sein Sohn starbBild: picture alliance / dpa

Khan Mohammad ist Bauer im nordafghanischen Unruhedistrikt Char Darah. An einem Sonntag vor knapp vier Wochen fährt er gemeinsam mit seinem Sohn und zwei anderen Zivilisten zum Markt nach Kundus-Stadt, um Melonen zu verkaufen. Nach getaner Arbeit machen sie sich auf den Rückweg in ihr etwa 15 Kilometer entferntes Dorf Nowabad. Am selben Tag, es ist der 19. Juli, hat die bislang größte deutsch-afghanische Offensive gegen die Taliban begonnen: die Operation "Adler".

Beschwerlicher Weg

Deutsche Soldaten in Afghanistan in ihren Fahrzeugen (Foto: dpa)
Die Soldaten sind angespannt. Am 20. August sind Wahlen in AfghanistanBild: picture alliance / dpa

Mohammads ältester Sohn Tadsch Mohammad wird sein Zuhause nie wiedersehen. Der 15-Jährige wird im Kugelhagel deutscher Soldaten schwer verletzt und stirbt kurze Zeit später. Auch Khan Mohammad wird getroffen. Immer noch liegt sein linker Arm in Gips. Am anderen Arm trägt er einen Verband. Sein rechtes Bein wird durch eine Metallschiene gestützt. Liegend ist er auf der Rückbank eines Autos nach Kundus-Stadt gekommen.

Ihn in Char Darah zu besuchen, wäre zu gefährlich gewesen, auch für den verletzten Khan Mohhamad. Die dort immer mächtiger werdenden Taliban verbieten die Zusammenarbeit mit "Ungläubigen". Weil der schätzungsweise 40-Jährige aber unbedingt seine Version der Geschichte erzählen wollte, hat er den beschwerlichen Weg über die holprigen Straßen in die Provinzhauptstadt auf sich genommen. Mitgereiste Freunde müssen dem dünnen Mann aus dem Auto helfen und die Krücken reichen. Mühsam schleppt er sich zu dem schattigen Tisch des Gästehauses.

"Der erste Schuss traf bereits meinen Sohn"

Zwei Militärfahrzeuge standen an jenem 19. Juli in Fahrtrichtung rechts, abseits der Straße. Es handelte sich nicht um einen Kontrollposten auf der Fahrbahn. Mohammad sagt, er fahre die Strecke regelmäßig und kenne die Warnsignale der Deutschen. "Wenn sie das anordnen, halten wir an." Er selber habe rechts vorne im Kleinlaster gesessen und die Panzerfahrzeuge auf seiner Seite die ganze Zeit im Auge gehabt. Sein Sohn habe auf der Ladefläche gesessen. "Ich hätte Warnsignale gesehen. Da war nichts." Die Soldaten hätten weder mit Handzeichen signalisiert, dass der Pick-up anhalten solle noch einen Warnschuss abgegeben.

Als die Zivilisten schon vorbeigefahren gewesen seien, hätten die Deutschen von hinten geschossen, sagt Khan Mohammad. "Der erste Schuss traf bereits meinen Sohn." Weitere Schüsse hätten dann ihn selbst und den Mann in der Mitte der Sitzbank getroffen. Nur der Fahrer links sei unverletzt geblieben. "Mein Sohn hat um Hilfe gerufen. Ich rief zurück, ich bin auch getroffen worden und kann nicht helfen." Der 15-jährige Tadsch Mohammad stirbt. Sein Vater erlangt erst im Bundeswehrkrankenhaus in Masar-i-Sharif wieder das Bewusstsein.

"Es hat Warnschüsse gegeben"

Der Kommandeur des zivil-militärischen Wiederaufbauteams (PRT) in Kundus, Oberst Georg Klein, hat die Aussage von Khan Mohammad zurückgewiesen. "Die Soldaten haben übereinstimmend und sehr glaubwürdig ausgesagt, dass Warnschüsse abgegeben worden sind", so Klein. Die Zivilisten seien mit ihrem Kleinlaster "in hoher Geschwindigkeit" auf eine Bundeswehr-Stellung zugefahren. Nach den Warnsignalen hätten die Soldaten auf das Fahrzeug geschossen. "Es war ein tragischer Unfall im Rahmen des Gefechts", sagte der Oberst gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am Freitag (14.08.2009). Er habe sich noch am selben Tag entschuldigt.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums hat die Vorwürfe von Khan Mohammad ebenfalls zurückgewiesen. Zugleich bestätigte er, dass die Familie des getöteten Jungen Schadensersatzleistungen in der für solche Fälle üblichen Höhe erhalten habe. Den Betrag nannte er nicht. Es ist allerdings von einer Summe von mehr als 20.000 US-Dollar die Rede, wie dpa berichtet.

Die Soldaten sind angespannt

Die Präsidentenwahl in Afghanistan nähert sich. Am 20. August soll zum zweiten Mal seit dem Sturz der Taliban 2001 gewählt werden. Umfragen zufolge könnte die Wahl erst in der zweiten Runde zwischen dem amtierenden Präsidenten Hamid Karzai und seinem ärgsten Rivalen Abdullah Abdullah entschieden werden. Je näher die Wahl rückt, desto nervöser wird die Situation in Afghanistan. Es wird mit einer weiteren Eskalation vor kommendem Donnerstag gerechnet. Am 19. Juni, als der 15-Jährige Tadsch Mohammad sterben musste, habe es Hinweise auf Selbstmordattentäter in Kleinlastern gegeben, sagte Oberst Georg Klein. Die Soldaten sind angespannt. Ein Grund, weshalb es zu dem tragischen Tod des Jungen kommen musste?

Khan Mohammad mit seinem Onkel (Foto: dpa)
Er hat den Soldaten vergeben: Khan Mohammad (l.) an der Seite seines Onkels (r.)Bild: picture alliance / dpa

"Wir haben den Deutschen vergeben"

Auch wenn Khan Mohammad den Aussagen der Bundeswehr widerspricht, glaubt er an einen Unfall. Der Beschuss der Zivilisten sei eine "schlechte Handlung" gewesen, die nicht mehr vorkommen sollte, so Khan Mohammad. Er wünsche sich trotz des Todes seines Sohnes keinen Abzug der Bundeswehr, die in der zunehmend unsicheren Region immer noch einen guten Ruf genießt. "Wir haben den Deutschen vergeben." (ssr/gri/dpa/rtr/afp)

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