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D1-Mission: Aufbruch zu neuen Horizonten

Cornelia Borrmann30. Oktober 2015

Vor 30 Jahren startete die Raumfähre Challenger ins All. Die D1-Mission war ein Meilenstein der europäischen Raumfahrtgeschichte. Mit dabei: der Physiker Ernst Messerschmid. Ein Rückblick.

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Board des Spacelab (Foto: DLR).
Bild: DLR

Die Shuttle-Ära im Rückblick

Deutsche Welle: Welche Ziele verfolgte die NASA mit dem Space Shuttle?

Ernst Messerschmid: Die Shuttle-Ära begann ja unmittelbar mit der Ankündigung, das Apollo-Programm früher als geplant zu beenden. Und die Mond-Rakete Saturn V in die Ecke zu stellen. Es ging also zurück in den niedrigen Erdorbit, um dort unter anderem eine Raumstation zu errichten und Technologien zu testen.

Wie war die Stimmung damals?

Das war eine aufregende Zeit. Nicht nur für Astronauten. 1981 ist das Space Shuttle zum ersten Mal geflogen. Zwei Jahre später war ich ausgewählt für die D1-Mission. Weitere zweieinhalb Jahre später, 1985, flog ich dann selbst mit dem Space Shuttle.

Wir sind noch nach denselben Kriterien wie die amerikanischen Apollo-Astronauten ausgewählt worden. Man wollte hier keinen Fehler machen und vermeiden, in der fortgeschrittenen Vorbereitung einer Mission dann den einen oder anderen Astronauten aussortieren zu müssen. Später sind die Kriterien dann gemildert worden. Vor allem, wenn es um die ersten Spaceflight Participants ging, um Gäste bei Raumflugmissionen. Die hat es zu meiner Zeit auch schon gegeben, zum Beispiel den saudischen Prinzen, der beim Aussetzen eines arabischen Satelliten mit an Bord war.

Ich hab die ganze Generation der noch aktiven Apollo-Astronauten erlebt. Alle waren gespannt auf das Fliegen mit den Flügeln. Auch für die NASA war das Neuland. Sie musste nun mit internationalen Astronauten zusammenarbeiten. Nach der Europäischen Raumfahrtagentur ESA waren wir Deutschen die ersten Ausländer, die mit ihren eigenen Astronauten kamen.

Die Shuttle-Ära im Rückblick

Bis dahin hatte die NASA in der bemannten Raumfahrt eine sehr erfolgreiche Zeit. Sie haben all ihre Astronauten beim Apollo-Programm wieder gesund zur Erde zurück bekommen.

Ich hätte mir damals nicht ausmalen können, dass ausgerechnet mein Raumfahrzeug bei der nächsten Mission - am 28. Januar 1986 - nach nur 72 Sekunden abstürzen sollte. Das hat natürlich die ganze Sichtweise auf das Shuttle-Programm geändert. Man hat gesehen, dass das Gerät schwierig zu fliegen ist. Das führte dann auch dazu, dass die NASA beschloss: Das Shuttle fliegt nur Missionen, für die der Einsatz von Astronauten absolut notwendig ist.

Erinnern Sie sich noch, wie Sie von der Katastrophe erfahren haben?

Oh ja! Es war Winter und ich kam gerade zurück vom Skianglauf. Kaum betrat ich die Schwelle meines Hauses, rief ein bekannter Journalist und erzählte, was er soeben im Fernsehen gesehen hatte. Wie sich das Shuttle in der Luft zerlegte und die Crew keine Chance hatte, zu überleben.

Mannschaft STS-61A ((front row left to right) Reinhard Furrer, German payload specialist; Bonnie J. Dunbar, mission specialist; James F. Buchli, mission specialist; and Henry W. Hartsfield, Jr., commander. On the back row, left to right, are Steven R. Nagel, pilot; Guion S. Bluford, mission specialist; Ernst Messerschmid, German payload specialist; and Wubbo J. Ockels, Dutch payload specialist.) (Foto: NASA)
Die Mannschaft der Mission STS-61A. Der Start erfolgte am 30. Oktober 1985. Es war die 22. Space-Shuttle-Mission und der neunte und letzte erfolgreiche Flug der Raumfähre Challenger.Bild: NASA

Wurden die Risiken unterschätzt?

Es sind ja immer wieder Astronauten ums Leben gekommen. Auf amerikanischer Seite gab es während der Raumflüge keine Toten, aber beim Training schon. Die Russen hatten auch Opfer zu beklagen: Vier Kosmonauten, die während ihrer Mission oder kurz vor der Landung ums Leben kamen. Vor allem in der Anfangszeit starben die meisten Männer durch das Training und durch das Fliegen als Teil der Ausbildung.

Ein Argument, die Raumfähren außer Betrieb zu nehmen, war die Feststellung, dass das Risiko von zwei Prozent pro Astronauten-Sitz und Flug einfach zu groß ist. zumindest für den niedrigen Erdorbit. Wenn wir zurückfliegen zum Mond oder zu weiter entfernten Orten, dann werden wir wieder über Risiko sprechen müssen, das dann zweifellos wieder größer ist. Vielleicht muss dann eine Ethikkommission die Grenzen des Machbaren klären.

Ernst Messerschmid zum Dilemma des Astronauten

Wie haben Sie den Start erlebt?

Etwa eine Stunde vor dem Start verschwinden alle, die um einen herum standen. Wir sahen sie durch die Fenster in ihrem Fahrzeug auf eine Entfernung von mindestens fünf Kilometer fahren. Da ward dir dann klar, dass es wohl eine gefährliche Unternehmung ist. Gerade auch mit dem Bewusstsein, dass 95 Prozent der Startmasse hoch explosiver Treibstoff ist. Du hörst das Zischen des Gases, das dann gezündet wird.

Und nachdem der Schub sich langsam aufbaut und etwa 98 Prozent erreicht, werden die Bolzen abgetrennt. Und dann bekommst du einen Tritt in den Hintern, der allerdings in der Wirkung nicht aufhört. Erst nach acht Minuten.

Der große Moment ist dann, wenn die Treibstoffraketen abgesprengt werden. Du weißt: das ist die Phase mit dem größten Risiko. Die kommt nach etwa zweieinhalb Minuten.

Was hilft da? Beten? Meditieren?

Wir hatten nicht allzu viel Zeit zum Nachdenken, denn wir haben schon während des Aufstiegs die ersten Experimente gemacht - Blutdruck-Messungen zum Beispiel. Gleich nach der Ankunft - praktisch noch in der Schlussphase der Beschleunigung und beim Übergang zur Schwerelosigkeit - haben wir den Augen-Innendruck bestimmt und andere Messungen gemacht. Wir sollten die Anpassung des Körpers untersuchen und überprüfen, ob die bis dahin geläufigen Modelle auch in der Schwerelosigkeit gültig sind.

Außerdem sollten wir das Spacelab gleich in Betrieb nehmen und mit den ersten Experimenten beginnen. Da hatte ich schon Probleme, auch mit der sogenannten Raumkrankheit. Am Anfang bist du natürlich hochmotiviert, kannst die Symptome, die der Seekrankheit ähnlich sind - Schwindelgefühle, Schweißausbrüche, Erbrechen - noch etwas unterdrücken. Am Ende des Tages, wenn dann der Wille etwas nachlässt, wird das schwieriger. Damit musst du umgehen.

Ernst Messerschmid zum Blick auf die Erde aus dem All

Was hat Sie überrascht?

Ich schätze mich eigentlich relativ stabil ein bei Kommentaren über meine Arbeit, doch dann musste ich feststellten, dass die Amplituden meiner Wahrnehmung - also bei Lob oder bei Tadel - sehr viel größer waren als auf der Erde. Das hat mich überrascht. Tadel haben wir natürlich nicht direkt bekommen. Aber wenn du dem geplanten Ablauf hinterherhinkst, dann machst du dir schon Sorgen, ob du nicht schnell genug bist - und entsprechend interpretierst du die Zwischentöne der Bodencrew.

Nach einigen Tagen hat sich das alles stabilisiert.

Zum ersten Mal wurde die Wissenschaft an Bord von Deutschen geleitet.

Reinhard Furrer und ich hatten die Hauptverantwortung für die beiden Schichten während unserer Mission. Wir sagten: "Science round the World and around the clock." Das war manchmal schon sehr belastend. Denn wir wussten: In unserem Rücken sind vielleicht hundert Professoren mit doppelt so vielen Doktoranden. Und wir konnten uns gar nicht vorstellen, dass wir all deren Wünsche und Experimente zur vollsten Zufriedenheit ausführen können.

Ernst Messerschmid über die Ankunft in der Schwerelosigkeit

Was hat das Raumlabor Spacelab gebracht?

Das Spacelab war Europas Eintrittsticket für die bemannte Raumfahrt.

Wir haben das Raumlabor gemeinsam mit den Amerikanern entwickelt und gebaut. Mit dem Spacelab änderte sich auch das Berufsbild des Astronauten. Wir flogen nun nicht mehr als Piloten ins All, wie die Astronauten beim Apollo-Programm, sondern in erster Linie als Wissenschaftler, die den Weltraum nutzen, um unter anderem in der Schwerelosigkeit zu forschen.

Zwar hatten die Astronauten schon bei Apollo-Missionen wissenschaftliche Experimente gemacht. Harrison Schmitt von Apollo 17 war als Geologe der erste Wissenschaftler auf dem Mond. Aber systematische Forschung, wie wir sie auf der Erde machen, Serien-Experimente, Entwicklungen von einem Experimenten-Schritt zum nächsten, all das wurde erst mit dem Spacelab möglich.

Ohne das Raumlabor wäre zumindest in Europa die Gemeinde der Wissenschaftler nicht so vorbereitet und motiviert gewesen, später dann auch ein Programm zum Bau und Betrieb einer Raumstation zu unterstützen, wie wir sie jetzt haben.

Ernst Messerschmid an Bord des Spacelab (Foto: DLR)
Über seinen Aufenthalt im All sagt Messerschmid, dass oft auch Tag und Nacht gearbeitet wurde. "Ich erinnere mich an Tage, wo wir erst nach 17 bis 20 Stunden in die Koje fielen."Bild: DLR

Wie hat Sie der Raumflug verändert?

Ich muss ehrlich sagen, ich hab mir während des Fluges nicht allzu viele Gedanken machen können. Als ich wieder zurück auf der Erde war, wurde allerdings aus mir und scheinbar jedem, der eine Mission geflogen ist, ein Missionar. Vor allem, was die Umwelt anbelangt und die negativen Folgen der Industrialisierung. All die Probleme, die wir mit dem Klima, mit der Erdoberfläche, mit dem Wasser und der Atmosphäre haben.

Wir sind als NGO zu Weltklimagipfeln gefahren. Anfangs waren wir sehr willkommen, später wurden wir fast ausgeladen, weil wir eben auch sehr penetrant sein können mit unseren Aussagen.

Aber wenn du glaubwürdig sein willst, musst du deine Beobachtungen festhalten und weitergeben. Deshalb haben wir beschlossen, ein Buch über die Erde zu schreiben. "Der Heimatplanet" wurde 14 Millionen Mal verkauft in 14 Sprachen. Die Klimadebatte gab es damals zwar noch nicht in dem Maße, aber sie entstand gerade. Vor allem auch durch das, was aus dem Weltall sichtbar wurde: wie sehr der Mensch die Erde verändert. Später haben wir auch noch ein Buch gemacht, in dem wir die verwundete Erde zeigen.

Die Raumfahrt hat uns die Schönheit und die Verwundbarkeit der Erde gezeigt. Kann sie auch helfen, sie zu bewahren?

Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Technik ist beim Raumflug einzigartig. Das kann uns vielleicht zu Lösungen verhelfen, wie wir mit den bescheidenen Ressourcen, die wir haben, besser umgehen. Nur ein Beispiel: auf der Erde verbraucht jeder Mensch einige Hundert Kilogramm oder eine Tonne an Ressourcen pro Tag. Dem Astronauten werden insgesamt 16 Kilogramm pro Tag gegönnt zum Atmen, zum Essen, zum Trinken. Und was er braucht an Kleidung. Damit muss er und kann er gut leben. Das zeigt doch, dass wir das schaffen können, wenn wir die nötige Technik entwickeln. Und Raumfahrt ist dazu in der Lage.

­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­Ernst Messerschmid gehörte von 1982 bis 1986 dem ehemaligen deutschen Astronautenteam an. Er nahm 1985 an der ersten deutschen Spacelab-Mission D1 teil und flog dabei als dritter bzw. vierter Deutscher zusammen mit Reinhard Furrer ins All. Nach seinem Raumflug begann er eine Universitäts-Karriere, war in diversen Funktionen aber auch für die ESA tätig. Derzeit forscht und lehrt er im Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart.

Das Interview führte Cornelia Borrmann.