Dörfer für das 21. Jahrhundert
23. August 2010Im Rahmen der Millennium-Entwicklungsziele, kurz MDGs, wollen sowohl die Vereinten Nationen als auch die Deutsche Welthungerhilfe anhand von Projektdörfern zeigen, dass sich die Ziele für das neue Jahrtausend auch auf dem Land verwirklichen lassen. Die Ansätze sind verschieden - und die große Frage bleibt: Sind die Millenniumsdörfer nachhaltig?
Vom Armutsdorf zum Vorzeigedorf
Der US-Ökonom und Leiter des "Earth Institute" an der Columbia University in New York, Jeffrey D. Sachs, ist seit 2002 Sonderberater im Büro des UN-Generalsekretärs. Bis Ende 2006 unterstützte er Kofi Annan, seitdem berät er den aktuellen UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Sachs ist Leiter des Projekts "UN-Millenniumsdörfer in Afrika" - für ihn eine Herzensangelegenheit: "In Kenia, Tansania, Malawi, Mali und Ruanda sagen die Regierungen: Wir müssen die Millenniumsdörfer auf das ganze Land ausweiten. Dieses Modell zeigt, wie wir an den Wurzeln, an der Basis, entscheidende Impulse in den Bereichen Bildung, Landwirtschaft, Gesundheit und Infrastruktur geben können. Wir müssen es nur in größerem Maßstab umsetzen."
Es sei eine praktische Gelegenheit für die Regierungen der Industrieländer, direkt zu helfen. Sie könnten ihren Steuerzahlern sagen, dass die Hilfe direkt in den Dörfern ankomme, so dass Kinder gerettet würden und eine Ausbildung erhielten. Die Produktivität der Haushalte würde gefördert, Projekte zur Mikrofinanzierung gestartet, zählt Sachs auf. "Und die Leute können es mit eigenen Augen sehen!"
Das Credo des UN-Sonderberaters: Die genaue Analyse der Ist-Zustände und eine bescheidene Hilfe der reichen Industrieländer können aus jedem Armutsdorf ein Vorzeigedorf machen. Zwölf Dorfgruppen in unterschiedlichen Klima-, Höhen- und Landwirtschaftszonen in Afrika werden fünf Jahre lang unterstützt, um die acht UN-Millenniumsziele zu erreichen. Pro Kopf und Jahr werden 110 US-Dollar bezuschusst - zum Beispiel für Kunstdünger, Aufbau eines Gesundheitszentrums und Schulspeisung im Dorf. Nach Ablauf der fünf Jahre sollen die Dörfer auf eigenen Füßen stehen können.
Bevormundung der Entwicklungsländer
Eveline Herfkens steht dem Projekt Millenniumsdörfer eher skeptisch gegenüber. Die ehemalige Entwicklungsministerin der Niederlande ist Gründerin der UN-Millenniumkampagne und hat diese fünf Jahre lang geleitet. Sie sagt offen: "Ich bin kein großer Fan von diesen Dörfern. Es erinnert an die Entwicklungsprojekte der 60er und 70er Jahre, als weiße Experten entsandt wurden, um den Menschen in Afrika Vorlesungen zu halten und um ihre Probleme für sie zu lösen, ohne ihnen richtig zuzuhören." Das Verhängnisvollste sei jedoch gewesen, dass so auch die Eigenverantwortung der Afrikaner für ihre Entwicklung unterminiert worden sei. Vieles sei damals versucht worden, sagt Herfkens - mit kaum sichtbarem Erfolg. Da sei das Konzept der deutschen Welthungerhilfe besser.
Einbindung lokaler Organisationen
Nach der Millenniumerklärung der Vereinten Nationen im Jahr 2000 hat auch die Welthungerhilfe einen Plan zur Unterstützung der Millenniumsziele entwickelt. Die Organisation unterstützt - unabhängig von den UN-Millenniumsdörfern - 15 Orte weltweit. In ihren eigenen "Millenniumsdörfern" will die Hilfsorganisation die Entwicklungsziele erreichen, die die Dorfbewohner selbst für vorrangig halten, schildert Iris Schöninger, die zuständige Koordinatorin der Welthungerhilfe. Neben der Mitsprache der Dorfmitbewohner sei der Organisation auch sehr wichtig, dass das Projekt "Millenniumsdörfer" in die normale Arbeit der Deutschen Welthungerhilfe integriert sei. Denn hier könne die Welthungerhilfe schon auf 50 Jahre Erfahrung zurückgreifen. Seit einem halben Jahrhundert sei die Welthungerhilfe bereits in den Regionen in Afrika, Asien und Lateinamerika vor Ort, in denen auch die Millenniumsdörfer unterstützt werden, erzählt Schöninger. "Genau diese Erfahrungen wollten wir nutzen, weil wir wissen, dass die Arbeit auf dem Land in einem lateinamerikanischen Dorf nun mal ganz anders ist als in einem afrikanischen Dorf." An vielen Standorten arbeite die Welthungerhilfe mit einheimischen Partnerorganisationen zusammen. Es sei wichtig diese einzubeziehen, um den ganzen Reichtum an Erfahrung und Wissen einzubinden, den die lokalen Organisationen mitbrächten.
Derzeit befindet sich das Projekt der Welthungerhilfe in der finalen Phase. Zu Beginn habe es 15 Dörfer gegeben, derzeit seien es noch 13, so Schöninger. Denn in Afghanistan musste das Vorhaben beispielsweise aufgrund der schwierigen Sicherheitslage vorzeitig abgebrochen werden. Für die restlichen 13 Dörfer gilt: Im Dezember 2010 endet das Projekt der Welthungerhilfe. Momentan finde in vielen Orten die Übergabe statt, erzählt Schöninger. "Da wird jetzt schon geguckt, dass auch wirklich Strukturen vor Ort sind, dass bestimmte Aktivitäten weiter laufen."
Gegen Armut auf dem Land
Das Ziel sowohl bei den UN-Dörfern in Afrika als auch bei den Dörfern der Welthungerhilfe in Asien, Afrika und Lateinamerika ist es, zu zeigen, dass die Millenniumsziele auch auf dem Land erreichbar sind. Drei von vier Menschen, die in extremer Armut leben, leben auf dem Land.
Bis zum UN-Gipfel im September in New York wollen sowohl das "Earth Institute" als auch die Welthungerhilfe Berichte über ihre Erfahrungen in den Millenniumsdörfern vorlegen.
Autorin: Helle Jeppesen
Redaktion: Hans Sproß