Kunst der Kopie
25. April 2012Albrecht Dürer hat abgemalt. Lukas Cranach auch. Und Pieter Brueghel sowieso. Auch Degas, van Gogh und Matisse haben Kopien von Gemälden anderer Meister erstellt. All diese berühmten Künstler haben abgemalt. Skandal? Muss die Kunstgeschichte umgeschrieben werden? Ist der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe ein Coup ungeahnten Ausmaßes gelungen? Mitnichten. Die hochinteressante und wunderbar zusammengestellte Ausstellung "Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube" will auf etwas anderes hinaus.
Neuer Blick auf eine alte Frage
Es geht ihr - wie der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, die die Kunstschau mitinitiiert hat - um nichts weniger als um eine Neubewertung des Verhältnisses von Original und Kopie. Zum einen will man im digitalen Zeitalter von "Copy & Paste" den Blick schärfen für die Wertung von Bild und Abbild. Und zum anderen möchten die Kuratoren einen grundsätzlichen und umfassenden Blick auf 700 Jahre Kunstgeschichte werfen und den Zusammenhang zwischen Original und Kopie beleuchten. Im Vordergrund stehen also nicht Guttenberg und Beltracchi, nicht Betrüger und Kunstfälscher, sondern bekannte und weniger bekannte Künstler, die sich mit dem Werk Anderer beschäftigt haben.
Ariane Mensger, die die Ausstellung hauptverantwortlich zusammengestellt hat, zieht dann auch eine scharfe Trennlinie zwischen den Begriffen: "Als 'Fälschung' betrachtet man ein Werk, das in betrügerischer Absicht als Original ausgegeben wird. (…) Der prinzipielle Unterschied zwischen Fälschung und Kopie besteht darin, dass die Fälschung vorgibt, ein Original zu sein, während die Kopie anstrebt, wie das Original zu sein." Durchschreitet man die Ausstellungsräume der Kunsthalle, so wird dann auch schnell klar: Kopien hat es immer gegeben, man hat sie allerdings oft nicht als solche wahrgenommen. Und hätte man gewusst, dass es sich bei den Bildern von Dürer oder van Gogh um "abgemalte" Bilder handelt, dann wäre man wohl schon früher ins Grübeln gekommen über den Begriff der "Kopie".
Eine Kopie ist keine Fälschung
Für Wolfgang Ullrich von der Hochschule für Gestaltung ist das dann auch das wesentliche Ziel der Schau: "Uns war es wichtig, einen etwas positiveren und differenzierteren Begriff von Wiederholung und Kopie zur Diskussion zu stellen." Man wolle das Publikum dazu bringen, Kopien künftig nicht mehr pauschal als etwas Sekundäres anzusehen, als etwas, das mit Abklatsch, mit Plagiat, mit Fälschung in Zusammenhang zu bringen ist. Am Beispiel von Vincent van Goghs Gemälde "Pietà" wird das deutlich. Der niederländische Maler beschäftigte sich auf dem Höhepunkt seiner seelischen Krise 1889 in der Nervenheilanstalt von Saint-Rémy mit der knapp 40 Jahre zuvor gemalten "Pietà" von Eugène Delacroix und fertigte daraufhin seine Version der "Pietà" an.
Das Bild, das heute in einem Museum in Rom hängt, sei das mit Abstand teuerste der Karlsruher Ausstellung, betont Mensger. Die Versicherungssumme für den Transport und die viermonatige Hängung in Deutschland sei so hoch wie die aller anderen Exponate zusammen. Die "Kopie" ist somit - zumindest, was den wahrscheinlichen Kunstmarkt-Wert des Bildes betrifft - ein hochgeschätztes, wertvolles Bild, das viele "Originale" hinter sich lässt. Das Original (von Delacroix) dürfte dagegen weniger Menschen bekannt sein. Doch niemand käme wohl nun auf den Gedanken, van Gogh sei ein Künstler, der "abmale", der sich nur an den Werken anderen Künstler orientiere. Dieses markante Beispiel zeigt deutlich, worauf die Ausstellung hinaus will - jedes Bild, und somit jede "Kopie", muss zunächst einmal hinterfragt werden.
Sich selbst kopierende Meister
Van Gogh malte seine "Pietà" auch, weil er von Delacroixs Bildnis so fasziniert war - eine Art der Künstlerverehrung. Doch Kopien entstanden in den vergangenen Jahrhunderten noch aus ganz anderen Gründen. Früher war es in Kunstakademien beispielweise üblich, Bilder möglich genau abzumalen, um sich zu schulen. Auch die "Orientierung am Bewährten" spielte eine große Rolle: "Bis ins 15. Jahrhundert war es wichtiger, ein Werk handwerklich einwandfrei ausführen als neue Bilder zu erfinden" so die Kuratoren. Später malten große Meister auch - wenn es denn die Nachfrage des Marktes "erforderte" - Kopien ihrer erfolgreichsten Gemälde. Drei in Karlsruhe ausgestellte Versionen einer Winterlandschaft ("Anbetung der Könige im Schnee") von Peter Brueghel d.J. sind ein eindrucksvoller Beleg dafür. Wobei noch hinzuzufügen wäre, dass sich der Jüngere auch noch auf ein Motiv Peter Brueghels des Älteren, des Vaters, stützte!
Spannend wird es auch, wenn die Ausstellung nach den veränderten Rezeptionsweisen der jüngsten Zeit fragt. Erst mit der Moderne kam der Originalitäts-Status auf wie wir ihn heute noch kennen. Wolfgang Ullrich spricht davon, dass im "Originalitätsdogma sogar der religiöse Status der Kunst, das Paradigma der Kunstreligion zum Ausdruck" kommt, und weiter: Es genügte nicht "etwas Neues zu schaffen, sondern zugleich musste plausibel gemacht werden, dass es in wenigstens einer Hinsicht Vorangehendem überlegen war. Man wollte radikaler oder konsequenter sein als die Vorgänger…"
Vom Kupferstich zum Internet
Fast scheint es, als ob die Ausstellung "Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube" einen kühnen Bogen zeichnet, einen Bogen, der nach 5 Jahrhunderten Kunstgeschichte wieder an einen Punkt angelangt ist, an dem man schon einmal war. Ariane Mensger: "Zur Zeit Dürers war es die Verbreitung des Kupferstichs, mit der Vervielfältigung möglich war. Heute ist es das Internet, wo ein Maus-Klick ein Bild kopiert und die Digitalisierung von Kunst möglich ist. Es scheint, als ob sich mit der Entwicklung eines neuen Mediums Copyright-Fragen immer mehr verschärfen." Wolfgang Ulrich pflichtet dem bei: "YouTube ist eine Plattform im Internet, die es ihren Nutzern erlaubt, selber ihre Kreativität öffentlich zu machen." Es sei in den letzten Jahren "eine unglaubliche Demokratisierung von Kreativität" zu beobachten - dank der digitalen Medien und dank des Internets.
Doch sollte man sich davor hüten, nun die Auflösung jeglichen "Original"-Begriffs zu postulieren. Das will auch die Karlsruher Ausstellung nicht. Im Gegenteil. Die sorgfältige Auswahl der Bilder und Skulpturen, die wissenschaftliche Einbettung der Bilderschau - wofür auch der ausführliche Katalog steht - ist vor allem ein Plädoyer für das genaue Hinsehen, den differenzierten Blick auf jedes einzelne Bild. Sei es nun ein "Original" oder eine "Kopie".