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Cyberwelt: Schüler werden Medienhelden

Richard A. Fuchs28. Juni 2012

Jugendliche werden in der Schule oft Opfer von Mobbing. Durch Handys und soziale Netze hat sich das Beschimpfen und Bedrohen anderer aber ins Internet verlagert. Ein Hochschulprojekt soll diesem Trend begegnen.

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Plakat Medienhelden (Foto: FU Berlin / Thorsten Schöntaube, Lemon8 Media GmbH, Bremen)
Bild: Thorsten Schöntaube, Lemon8 Media GmbH, Bremen

Zwei Mal hat Lehrerin Margret Iversen in Schulklassen der Sophie-Scholl-Oberschule das Thema Mobbing im Internet schon behandelt. Zwei Mal war es für die Mittfünfzigerin kein einfaches Unterfangen. Ihre Schüler wollten nicht, dass man ihren virtuellen Raum betrete, sagt Iversen. "Sie empfinden das soziale Netzwerk unheimlich stark als ihre Welt, als eine eigene Welt ihrer Altersklasse".

Die Cyberwelt betreten und verstehen lernen: genau das soll aber das Schulprojekt 'Medienhelden', das Margret Iversen im Ethik-Unterricht mit ihren 8. Klassen durchführt. Das Programm wird von der Europäischen Union gefördert und von Entwicklungspsychologen der Freien Universität Berlin wissenschaftlich begleitet. Zuletzt haben 900 Schüler – von der 7. bis zur 9. Klasse – in Berlin daran teilgenommen.

Ethik-Lehrerin Margret Iversen (Foto: DW / Richard Fuchs)
Trainiert Medienhelden: Ethik-Lehrerin Margret IversenBild: DW

Mobbing in der Cyberwelt ist (trauriger) Alltag

Über Cybermobbing kann fast jeder der 900 Schüler etwas erzählen. Anonyme SMS mit Beleidigungen und Beschimpfungen über soziale Netzwerke wie Facebook oder peinliche Fotos im Netz, gehören mittlerweile zum Alltag der Jugendlichen. "Es gab eine Facebook-Gruppe, eine Hassgruppe gegen ein Mädchen", beschreibt etwa die 14-jährige Josephine einen Vorfall, der ihre Klasse tief gespalten hat. Mehr möchte sie darüber nicht erzählen.

Um das Schweigen der Schüler über Cybermobbing zu brechen, setzt Lehrerin Margret Iversen auf Kooperation statt auf Konfrontation. Statt über Täter und Opfer zu streiten, will sie erst an der praktischen Medienkompetenz der Schüler arbeiten. Deshalb spricht sie im Unterricht zunächst über Datensicherheit. Eine Herausforderung für sie, schließlich kam sie erst mit Mitte 50 erstmals mit dem sozialen Netzwerk Facebook in Berührung: "Da hat man als Lehrerin das Problem, selber ziemlich unwissend zu sein, die Schüler sind uns eigentlich voraus."

Schüler der 8.Klasse der Sophie-Scholl-Schule in Berlin (Foto: DW / Richard Fuchs)
Sie sind bereits Medienhelden: Schüler der 8.Klasse der Sophie-Scholl-Schule in BerlinBild: DW

Vom Lehrer zum Facebook-Versteher

Unterstützung bekam Margret Iversen deshalb von Pavle Zagorscak. Der Bachelor-Student ist Mitarbeiter im Fachbereich Entwicklungspsychologie an der Freien Universität Berlin. Mit Kollegen konzipierte er die Unterrichtsstunden für Medienhelden, führte anschließend Lehrer-Fortbildungen durch und besuchte Lehrer bei der Umsetzung. Sein Fazit: Noch gibt es den digitalen Graben zwischen Lehrern und Eltern auf der einen und Jugendlichen auf der anderen Seite. Besonders oft wurde der studentische Mitarbeiter von Lehrern deshalb ganz konkret nach Facebook und Twitter befragt. Das Ziel müsse weder für Eltern noch für Lehrer sein, wahre Facebook-Experten zu werden, meint Pavle Zagorscak: "Es geht darum, dass sie eine gewisse Offenheit entwickeln und zumindest bestimmte Wörter kennen." Denn nur wer verstehe, über was die Jugendlichen im Netz redeten, könne auch glaubwürdig mit ihnen ins Gespräch gehen, so Zagorscak.

Vom Schüler zum Medienexperten

Das Projekt Medienhelden will deshalb Lehrer bei der Nutzung neuer Medien so unterstützen, dass sie mit ihren Schülern in der Cyberwelt auf Augenhöhe reden. "Wir sehen Lehrer eigentlich mehr als Mediatoren, die mit verschiedenen pädagogischen Methoden im Schulkontext arbeiten und die Jugendlichen ihre eigene Expertise einbringen lassen", erklärt Professor Herbert Scheithauer. Der Entwicklungspsychologe von der FU Berlin hat das Medienhelden-Projekt mit initiiert. Scheithauer setzt vor allem auf die sogenannten "Peer-to-Peer-Methoden", bei denen Schüler unter Anleitung selbst zu Experten werden.

Entwicklungspsychologe Professor Herbert Scheithauer (Foto: FU Berlin)
Organisiert Medienhelden: Entwicklungspsychologe Professor Herbert ScheithauerBild: FU Berlin

"Eine Schülergruppe macht sich zum Beispiel schlau, wie sie auf sozialen Netzwerkseiten Schutzfunktionen nutzen kann, um ihr Profil optimal einzurichten", beschreibt Scheithauer das Vorgehen. In der Folgestunde würden dann die Schülerexperten selbst ihren Mitschülern Rede und Antwort stehen. Damit soll der Unterricht gegen Cybermobbing ganz unbewusst das Selbstbewusstsein der Schüler stärken.

Mobbing macht Angst

Ein wichtiges Ziel, sagt Professor Herbert Scheithauer, denn gerade ein angekratztes Selbstbewusstsein sei oft der Beginn vieler fataler Folgen von Cybermobbing. Neben erhöhter Ängstlichkeit und erhöhten Depressionswerten folgten vielfach schwere Erkrankungen, sagt Scheithauer: "Irgendwann erleben die Betroffenen so viel Ohnmacht, dass sie mit dem Gedanken spielen, sich das Leben zu nehmen".

Das Projekt Medienhelden will verhindern, dass es soweit kommt. Zwei Jahre Vorbereitung, zwei Monate Testphase sind absolviert. Erste Auswertungen belegen statistisch, dass eine höhere Medienkompetenz der Lehrer zu mehr Offenheit der Schüler im Umgang mit Cybermobbing führt.

Ein Programm für alle deutschen Schüler

Schülerin Katharina hat sich vor allem eine Vorgehensweise im Umgang mit Mobbing im Netz eingeprägt: beenden, beweisen, blocken. "Das heißt, als erstes den Chat beenden, dann muss man es sich irgendwie abspeichern, dass man es jemandem zeigen kann, und dann gibt es ja viele Einstellungen auf Facebook, um eine Person zu blocken."

Eine Hand hält ein Smartphone (Foto: picture-alliance/landov)
Wunderwerkzeug und Cybermobbing-Waffe: Smartphones haben ihren Siegeszug in Schulen angetretenBild: picture alliance/landov

Lehrerin Margret Iversen ist mit ihrem Medienhelden-Projekt zufrieden. Sie ist überzeugt, dieses Training sollten alle Lehrer und Schüler absolvieren. Für die Macher des Medienhelden-Projekts eine Mammutaufgabe, schließlich gibt es in Deutschland rund elf Millionen gemeldete Schüler, die es potentiell zu erreichen gilt. Herbert Scheithauer setzt deshalb auf die Kraft guter Unterrichtsmaterialien sowie auf weitere Fortbildungen von Trainern. So soll der Kreis von Medienhelden beständig größer werden.