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Cosmopolis now

5. April 2003

Der Weltstaat: keine Utopie, sondern ein realistisches Konzept; die Weltpolizei: kein Schreckgespenst, sondern einziger Garant für Welt-Sicherheit und Welt-Ordnung. Thesen der Rechtssoziologin Sibylle Tönnies.

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Jetzt, später oder überhaupt nicht? Fast täglich gibt es neue Spekulationen über einen möglichen Militärschlag der Amerikaner gegen den Irak. Kaum ein Politiker in der westlichen Welt wagt laute Zweifel, ob ein solcher Angriff überhaupt legitim, sprich mit dem Völkerrecht vereinbar wäre. Zu groß scheint die Sorge, es sich mit der letzten verbliebenen Weltmacht zu verderben.

"Die UNO könnte man sich sparen"

Die Rechtssoziologin Sibylle Tönnies dürfte sich angesichts dieser Entwicklung bestätigt fühlen. Schließlich hat sie in ihrem Buch "Cosmopolis now" schon im Frühjahr darauf hingewiesen, dass die Vereinigten Staaten schon seit langem nur noch im eigenen Interesse handeln - wenn es sein muss, auch außerhalb des Völkerrechts. Weit und breit, so die Autorin, gebe es niemanden, der willig und in der Lage sei, die Alleingänge der Amerikaner zu stoppen. Und am wenigsten traut Tönnies dies der Hüterin des Völkerrechts, den Vereinten Nationen zu. Sie seien "eine liebe, brave, auf das Gute gerichtete, aber praktisch leider ungeeignete Institution, die sich die Welt auch sparen könnte und an der die USA konsequenterweise denn auch gespart haben."

Doch die Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen haben schon viele Autoren nachgewiesen - Sibylle Tönnies geht noch einen Schritt weiter. Sie fragt: Wenn also die Vereinten Nationen nicht fähig sind, den Weltfrieden zu bewahren - wer dann? Obwohl persönlich weit davon entfernt, eine glühende Anhängerin der Vereinigten Staaten zu sein, sieht Tönnies nur eine Lösung: Man müsse den Amerikanern, den selbsternannten Weltpolizisten, auch formal die Verantwortung für den Weltfrieden übertragen - sie also zu legitimen Weltpolizisten machen. Die Konsequenz dieses Schritts ist der Autorin klar. Sie schreibt: "Wenn man eine Welt mit monopolisierter Gewalt konzipiert, so entwirft man, ob man will oder nicht, den Weltstaat."

Plädoyer für freiwillige Unterwerfung

Dieser Weltstaat solle angesichts der politischen und militärischen Überlegenheit der Amerikaner durch freiwillige Unterwerfung der übrigen Welt entstehen, meint Tönnies. Die vielzitierte "uneingeschränkte Solidarität" nach den Anschlägen vom 11. September sei da schon ein erster Schritt gewesen.

Tönnies zitiert wiederholt Thomas Hobbes, den Anwalt der absoluten Monarchie aus dem 17. Jahrhundert. Das ist ungewöhnlich aus der Feder einer ehemaligen Pazifistin. Doch es passt zu einer Autorin, die heute von sich sagt, man müsse die tatsächliche Verteilung der Macht anerkennen und sich, wenn auch widerwillig, dem Stärksten unterwerfen. Schließlich sei Kapitulation immer noch besser als Krieg.

Utopie oder Realismus?

Die Autorin begreift ihr Buch ausdrücklich nicht als Utopie - sie glaubt an die Realisierbarkeit ihres Entwurfs. Und den untermauert sie mit ausführlichen Rückgriffen auf die Ideengeschichte des Weltstaats. Unter anderem erfährt der Leser, dass schon der Großvater der Autorin, der Soziologe Ferdinand Tönnies, ein eifriger aber erfolgloser Streiter für den Weltfrieden war. Auch seiner Enkelin wird dieses Schicksal wohl beschieden sein. Doch wer Lust hat, einmal die ausgetretenen Pfade des politischen Realismus zu verlassen - den könnten Tönnies Ideen zum Nachdenken anregen.

Rezension: Ellen Schuster

Bibliografische Angaben:
Sibylle Tönnies
Cosmopolis now
Europäische Verlagsanstalt, 2002
3-434-50530-X
14.00 Euro