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Chronisten des Übergangs

Claudia Kramatschek, qantara.de10. Februar 2006

Pakistan sucht sich selbst - zwischen politischer Entfremdung, Verlust von Tradition und dem beginnenden Zusammenbruch des Familiensystems. Die Schriftsteller verarbeiten den Übergang - Frauen sind ganz vorn dabei.

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Die Literaturszene lebt - aber bald nur noch auf Englisch?Bild: AP

Von der lebendigen Literaturszene in Pakistan dringt nur wenig in den Westen vor. Schuld daran ist nicht nur die globale Marktsprache Englisch: Denn bereits zwischen den fünf Regionalsprachen des Landes - Urdu (die Amts- und Landessprache), Sindhi, Pashto, Panjabi und Belochi - herrschen noch immer Barrieren, wie Asif Farrukhi, Autor und Übersetzer in Karatschi, mit Bedauern erklärt: "Die pakistanische Literatur befindet sich wie in einzelnen Boxen, weil es kein Übersetzungswesen gibt. Zudem hat jede der Regionalsprachen eine eigene literarische Tradition."

Kritik in Versen

Gemeinsam ist allen fünf Literatursprachen, dass sie die Lyrik lieben. Auch der schreibende Nachwuchs pflegt die Lyrik - gilt sie doch, neben der Kurzgeschichte, als Königsgattung der pakistanischen Literatur. Die Themen dagegen sind zeitgemäß - und kritisch: die Entfremdung des Individuums von "Vater Staat", der Verlust von Tradition, der beginnende Zusammenbruch des Familiensystems.

Asif Farrukhi
Asif Farrukhi hat sein eigenes Literaturmagazin gegründet


Gerade Autorinnen haben den Markt erobert. Fahmida Riaz zum Beispiel, Jahrgang 1946, veröffentlichte schon 1967 ihren ersten Gedichtband - und beschrieb explizit den weiblichen Körper und die weibliche Sexualität in eindeutigen Worten. Bewusst verstieß sie damit gegen die männlich festgelegte Vorstellung, was sich für eine Frau und Autorin (nicht) ziemt.

Für solche Freiheit hat sie bitter bezahlt: Sieben Jahre lebte sie im indischen Exil. 1989 erst kehrte sie nach Pakistan zurück und gründete 1997 unter dem Dach einer Nichtregierungsorganisation namens WADA ("Women And Development Association") Pakistans ersten Frauenliteratur-Verlag.

Feminismus und Geschichte

Fahmida Riaz
Fahmida Riaz schrieb zu freizügig und musste ins Exil. Heute hat sie einen eigenen Verlag für Frauenliteratur


Doch sei der Begriff des Feministischen, so warnt die Prosa-Autorin und Journalistin Zaheda Hina, auf dem Subkontinent nicht nach westlichen Maßstäben zu bemessen - weil dort die Frauen schlicht mit dem Überleben beschäftigt seien. Die jüngere Autorinnengeneration interessiert dieser Kampf dagegen schon nicht mehr. Sie fürchtet eher eine "Ghettoisierung".

Einen anderen Generationenbruch beobachtet Kamila Shamsie, die mit dem Roman "Kartographie" auch im Westen bekannt geworden ist. Die 1973 in Karatschi geborene Autorin verweist darauf, dass die nunmehr 30-Jährigen - anders als ihre Eltern - eher auf die blinden Flecken der jüngsten Zeit schauen: etwa die Abspaltung des heutigen Bangladesch im Jahre 1971 und die dortigen Vergehen der pakistanischen Armee, wie sie beispielsweise Sorayya Khan in ihrem Roman "Noor" beschreibt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über die zwiespältigen Erfahrungen der Pakistaner mit englischsprachiger Literatur und mit der Meinungsfreiheit im Land.


Die jungen Autoren und Autorinnen in Pakistan schreiben zumeist in englischer Sprache. Zwar war der erste pakistanische Roman, der im Westen veröffentlicht wurde, auf Englisch geschrieben: "The crow eaters" von Babsi Sidhwa, der 1980 erschien. Doch haftet dem Englischen noch heute der "Odem des nationalen Verrats" an: Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten, da ist Englisch die Sprache einer Minderheit - aber einer einflussreichen, nämlich der Angehörigen von Verwaltung, Rechtswesen, Militär, Hochschulen oder Massenmedien. So stellt sich die unliebsame Frage, wie sich der Vormarsch des Englischen auf die Werke der regionalsprachlichen Autoren auswirken wird.

Die Pflicht zum Zweitberuf

Buchmesse mit Büchern aus Pakistan
Viele junge pakistanische Autoren schreiben auf Englisch - bisher als Sprache der Elite verpöntBild: AP

Die Verlage haben nur knappe Mittel; wer ein Buch veröffentlichen will, muss die Kosten dafür selbst tragen. Vom Schreiben leben kann daher niemand - selbst namhafte Autoren arbeiten zugleich als Professoren, Journalisten, Literaturkritiker. Kritiken lancieren zumeist die gängigen Namen.

Buchkritiken gibt es in Fernsehen und Radio; Printmedien bieten Buchsupplements an. Es existiert auch eine Handvoll Literaturzeitschriften, die bekannteste und älteste ist "Funoon". Aber ein explizit literarisches Magazin gibt es nicht - Asif Farrukhi hat daher mit "Duniyazaad" sein eigenes gegründet. Auch Ajmal Kamal, Herausgeber und Kritiker in Karatschi, gründete 1989 das vierteljährlich erscheinende Magazin "Aaj".

Frei oder unwichtig - oder beides?

Die Situation scheint also so paradox wie das ganze Land: Aufbruch - und Stagnation zugleich. Das gilt auch für die Zensur. Manche der einstigen regimekritischen Literaten behaupten nun: Nie war die literarische Freiheit größer als unter Präsident Pervez Musharraf. Zugleich beklagen viele Autoren, dass sie nie zuvor in ihrem Land so unwichtig waren wie jetzt. Nicht ganz so eindeutig zu beantworten ist aber die Frage: Handelt es sich dabei um einen Verlust oder eine Befreiung?