1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sorge um die Existenz

Mona Naggar, Beirut3. November 2013

Die Situation in den Ländern des "Arabischen Frühlings" zwingt viele Christen, ihre Heimat zu verlassen. Die Versammlung orientalischer Christen versucht ein Zeichen gegen diese Entwicklung zu setzen.

https://p.dw.com/p/1A7p7
Frauen bei einer Messe in Qamishli, Syrien (Foto: Karlos Zurutuza)
Bild: DW/K. Zurutuza

Habib Badr macht sich große Sorgen um das Überleben der christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten. Der so genannte Arabische Frühling habe radikale islamische Kräfte hervorgebracht, die allen anders denkenden und gläubigen Menschen ihre Linie aufzwingen wollen, sagt der leitende Pfarrer der Nationalen Evangelischen Kirche in Beirut. "Da wir Christen zahlenmäßig eine kleine Gruppe im Nahen Osten darstellen, sind wir stark unter Druck. Wir werden heute gezwungen, unsere Heimatländer zu verlassen", erklärt Badr.

Schätzungsweise zehn Prozent der gesamten Bevölkerung des Nahen Ostens sind Christen. Die stärkste christliche Gemeinschaft stellen die Kopten in Ägypten mit etwa neun Prozent, gefolgt von den Christen in Syrien mit 16 Prozent. Den prozentual höchsten Anteil an der Gesamtbevölkerung haben die Christen im Libanon - dort sind knapp 30 Prozent der vier Millionen Einwohner christlichen Glaubens.

Sprachrohr der Christen

Habib Badr, leitender Pfarrer der Nationalen Evangelischen Kirche in Beirut (Foto: Mona Naggar)
Habib BadrBild: DW/M. Naggar

Um der fortschreitenden Abwanderung der Christen des Nahen Ostens entgegenzuwirken, haben sich Kirchenvertreter und Laien zusammengetan und die Versammlung orientalischer Christen (Assembly of Eastern Christians) mit Sitz in Beirut gegründet. Habib Badr ist einer der Gründer. Kürzlich veranstaltete die Initiative ihre erste Konferenz in der Nähe der libanesischen Hauptstadt. Vor hohen kirchlichen Vertretern, libanesischen Politikern und interessiertem Publikum erzählten Christen aus verschiedenen arabischen Ländern von der Situation in ihrer Heimat.

Badrs Amtskollegen aus Syrien berichteten von dschihadistischen Gruppen, die gezielt christliche Syrer ins Visier nehmen. Fast alle Kirchen in der Stadt Homs seien mutwillig zerstört worden, erzählt Pfarrer Riad Jarjour.

Angst vor einem zweiten Irak

Schätzungen zufolge sollen in den vergangenen drei Jahren ungefähr 800.000 Christen Syrien verlassen haben, ein Viertel der christlichen Bevölkerung des Landes. Groß ist die Angst, dass sich das irakische Szenario wiederholen könnte. Im Irak wurden seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein 2003 tausende Christen vertrieben und getötet, dutzende Kirchen wurden zerstört. Es gibt zwar keine verlässlichen Angaben zur Anzahl der Christen im Irak, aber die Versammlung orientalischer Christen geht davon aus, dass mittlerweile nur noch 250.000 Christen im Zweistromland leben - ein Fünftel der früheren christlichen Bevölkerung.

Auch die Lage in Ägypten beschäftigt Habib Badr. In Ägypten litten Kopten in den letzten Jahren verstärkt unter Verfolgung und Diskriminierung. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International prangerte in einem Bericht vom Oktober 2013 Gewalt gegen Christen am Nil an. Mitte August seien 43 Kirchen und 200 Immobilien in christlichem Besitz von radikalen Islamisten angegriffen worden.

Abschlusssitzung der Versammlung orientalischer Christen (Foto: Mona Naggar)
Abschlusssitzung der Versammlung orientalischer ChristenBild: DW/M. Naggar

Eine neue ökumenische Stimme

"Wir möchten eine einheitliche, orientalische, christliche Identität schaffen", erläutert Fuad Abu Nader das Ziel der Gründung der Versammlung orientalischer Christen. Angesichts der Lage im Nahen Osten dürften Christen nicht als Maroniten oder als orthodoxe Christen sprechen, sondern müssten mit einer Stimme auftreten, erklärt Abu Nader, der aktives Mitglied der maronitischen Kirche im Libanon ist.

Er ist ebenso wie Habib Badr Mitbegründer der Versammlung orientalischer Christen, die vor allem auch eine ökumenische Initiative der zersplitterten orientalischen Kirchen ist.

Eigentlich ist der Rat der Kirchen im Nahen Osten (MECC - Middle East Council of Churches), der Mitte der 1970er Jahre entstanden ist, das Sprachrohr der Christen in der Region. Aber wegen interner Schwierigkeiten ist der Rat seit vielen Jahren handlungsunfähig.

Fuad Abu Nader hofft, dass die neue Institution eine Lobby für die Interessen der Christen im Nahen Osten schaffen wird. Habib Badr setzt seine Hoffnungen aber auch auf muslimische Partner. "Wir müssen gemäßigte Muslime auffordern etwas gegen die Radikalisierung in ihren Reihen zu unternehmen", sagt der erfahrene Kirchenmann. Denn letztendlich seien auch sie Opfer dieser Entwicklung. Es müsse wieder ein Klima der gegenseitigen Akzeptanz geschaffen werden, fordert Badr. "Dazu ist eine Initiative der Sunniten notwendig, der größten religiösen Gruppe in der Region."

Praktische Schritte müssen folgen

Die Versammlung orientalischer Christen steht vor großen Herausforderungen. Praktische Schritte sind notwendig, um den Schrumpfungsprozess der christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten zu bremsen. Denn die Angst vor Verfolgung und Gewalt ist nur ein Grund, der Christen zur Auswanderung bewegt. Obwohl Christen im Libanon zum Beispiel weder religiöser noch politischer Verfolgung ausgesetzt sind, verlassen viele aufgrund wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit das Land.

Der 45-jährige Michel Hage wünscht sich daher mehr Engagement von den Kirchen. Kirchliche Einrichtungen müssten mehr für ihre Mitglieder tun, schlägt der gläubige Christ vor. Christliche Schulen könnten einkommensschwachen Eltern einen Teil der Schulgebühren erlassen, sagt er. "Das wäre auch ein Ansporn für christliche Familien, mehr Kinder zu bekommen."