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Chinesischer Dissident zusammengeschlagen

11. Februar 2011

Immer wieder verschwinden in China Regierungsgegner aus der Öffentlichkeit. Nun hat sich der Dissident Chen Guangcheng per Video gemeldet. Einblicke in den Alltag eines Verfolgten - die Staatsmacht reagierte prompt.

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Chen Guangcheng in seinem Haus (Foto: You Tube)
Chen Guangcheng in seinem HausBild: YouTube

Chen Guangcheng wusste wohl, welches Risiko er eingeht. Am Mittwoch veröffentlichte die christlichen Organisation China Aid ein Video, heimlich gefilmt im Haus des Aktivisten, der im September aus dem Gefängnis entlassen wurde und seitdem unter Hausarrest steht. Es sind die ersten Bilder von ihm seit seiner Haftentlassung. Die Unterdrückung der Landbevölkerung und ihrer Fürsprecher nehme immer extremere Züge an, sagt Chen Guangcheng darin. "Die Regierung greift zu den Methoden einer Straßengang. Sie sagen: 'Wir können dich schlagen und schlagen so lange wir wollen. Die Justiz wird nicht darauf reagieren.'"

Vom kleinen in ein großes Gefängnis

Es kam, wie er es geschildert hatte: Am Donnerstag wurden er und seine Frau in ihrem Haus brutal zusammengeschlagen, meldet China Aid. Ins Visier der Behörden war er im Jahr 2005 geraten. Der Aktivist hatte sich im Selbststudium Kenntnisse im Recht beigebracht und einigen Bewohnern geholfen, die Behörden seines Heimatortes zu verklagen. Er warf den Beamten vor, Frauen im Rahmen der Ein-Kind-Politik zu Abtreibungen gezwungen zu haben. Chinas Staatsmacht reagierte hart und verurteilte ihn 2006 zu vier Jahren Gefängnis. "Zerstörung von öffentlichem Eigentum und Behinderung des Straßenverkehrs durch die Organisation von Massenveranstaltungen", lautete der Vorwurf.

Das Haus Chen Guangchengs (Foto: You Tube)
Das Haus Chen GuangchengsBild: YouTube

In dem Video, das jetzt der christlichen Organisation China Aid zugespielt wurde, sieht man ihn zum ersten Mal nach seiner Haft. Mit dunkler Sonnenbrille, ein Markenzeichen des Aktivisten, der seit seiner Kindheit blind ist, sieht man ihn vor einer grauen Betonwand stehen und seine Geschichte erzählen. In den ersten Tagen habe er über das Telefon noch Kontakt zur Außenwelt aufnehmen können, erzählt er. Aber dann habe die Polizei bemerkt, dass ihr Störsender nicht den ganzen Hof abdeckt und zwei weitere installiert. "Ich bin von einem kleinen Gefängnis in ein größeres Gefängnis verlegt worden", so Chens traurige Schlussfolgerung.

Die Bilder in dem Video entwickeln stellenweise durchaus eine gewisse unfreiwillige Komik. In der Anfangssequenz sieht man gefilmt durch ein Fenster ganz klein einen Kopf über einen Stapel Maisstroh hinüberragen. Er taucht auf, um über den Stapel zu lugen und verschwindet wieder. Es ist das Gesicht eines Geheimpolizisten, und offenbar muss er sich strecken, um besser sehen zu können. Im Hintergrund hört man die Stimme von Yuan Weijing, der Frau des Menschenrechtsaktivisten Chen Guangcheng. Sie habe die Maisabfälle hoch aufgeschichtet, um sich gegen die neugierigen Augen ihrer Bewacher abzuschotten, erzählt sie. "Aber dann haben sie sich bei den Nachbarn eine Leiter geholt, und nun stehen sie wieder jeden Tag da und beobachten, was wir zu Hause tun.

Von der Außenwelt abgeschottet

Yuan Weijing (Foto: You Tube)
Auch Chens Frau Yuan Weijing steht unter HausarrestBild: YouTube

Wie das Video an die amerikanische Organisation gelangt ist, ist nicht im Detail bekannt. China Aid erklärt, es sei ihnen von einem Beamten zugespielt worden, der Sympathien für Chens Anliegen hege. In dem einstündigen Clip sieht man einen Bauernhof im nordchinesischen Stil. Vier Häuser aus grauen Lehmziegeln, die einen Hof umstellen. Auf dem Dach liegen Maisstauden zum Trocknen, im Innern steht ein Bücherregal zwischen Haufen von Kohlköpfen und Kürbissen. Hühner laufen auf dem Hof herum. Chen lebt hier mit seiner Frau, deren Mutter und seiner kleinen Tochter. Ein Einblick in den Alltag unter Hausarrest – für Chens Ehefrau bereits seit Jahren Alltag. "Am Anfang haben sie mich noch rausgehen lassen" erzählt sie. "Später dann haben sie mich immer zu acht begleitet, wenn ich etwas einkaufen wollte. Dann haben sie mich gar nicht mehr aus dem Haus gelassen. Nachbarn oder Verwandte dürfen auch nicht zu uns kommen, nicht einmal meine Brüder lassen sie zu uns. Die einzige Möglichkeit, etwas einzukaufen, ist, meine 76jährige Mutter loszuschicken."

Um Kritiker mundtot zu machen stellen die chinesischen Behörden immer wieder Regimegegner unter Hausarrest. Zuletzt wurde im Dezember, als der Friedensnobelpreis an den Dissidenten Liu Xiaobo vergeben wurde, eine ganze Reihe Regimekritiker festgesetzt, unter ihnen auch die Ehefrau Liu Xiaobos, Liu Xia, die seit Oktober keinen Kontakt nach draußen mehr hat. Eine gesetzliche Grundlage dafür gibt es nicht. Chen Guangcheng gehört zu den bekanntesten Dissidenten unter Hausarrest. Erst vor einem Monat forderte die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton die Freilassung des Aktivisten.

Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Nicola Reyk