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Politik

Chinesische Schülerin (fast) allein im Klimastreik

1. November 2019

Als die 16-jährige Howey Ou sah, dass in China die "Fridays-for-Future-Bewegung" keinen Fan fand, wurde sie die erste fürs Klima streikende Schülerin im Land. Mit Baumpflanz-Aktionen wirbt sie um Aufmerksamkeit.

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China Howey Ou
Bild: DW

Bäume pflanzen für das Klima

Mit großen energischen Schritten durchmisst Howey den Blumenmarkt in der südchinesischen Stadt Guilin. Kein Blick bleibt an die Rhododendren, Windröschen und Bougainvilleen hängen, die Händler hier aufgereiht haben. Schnurstracks geht sie zu einem der hinteren Stände und wählt sechs dürre Stämme mit ein paar Blättern aus - Osmanthus-Setzlinge. Der Osmanthus, auf deutsch auch Duftblüte genannt, wird in China als Tee getrunken. Dichter haben ihn besungen. Aber Howey hat einen anderen Grund: Der Baum absorbiere besonders viel CO2, hat ihr ein Ökologie-Professor erklärt.

Howey Ou ist Chinas erste Schülerin im Klimastreik. Mit dem Pflanzen von Bäumen will sie ein Zeichen gegen den Klimawandel setzen. "Demonstrieren erfordert viel Mut in China, aber Bäume pflanzen ist etwas, das wir tun können", sagt sie im Interview mit der DW.

China Protest gegen Chemie Industrie Projekt in Maoming
Lokale Proteste gegen "schmutzige" Industrieprojekte ja, "Fridays for Future" eher nicht Bild: REUTERS

Natur in Gefahr

China ist der größte Treibhausgasproduzent der Welt. Regelmäßig kommt es zu Skandalen um Gift im Boden, in Seen und Flüssen. Chinas Städte sind berüchtigt für ihre schlechte Luftqualität. Doch als weltweit Millionen Schüler gegen den Klimawandel demonstrierten, blieb es still in China.

Howey erfuhr zum ersten Mal aus einem Newsletter von der weltweiten "Fridays-for-Future-Bewegung" und ihrer Gründerin Greta Thunberg. Howey hatte begonnen, sich um den Zustand der Natur Sorgen zu machen, als sie 15 Jahre alt war. In der Stadtbibliothek stieß sie damals auf eine Ausgabe des amerikanischen Magazins "National Geographic". Ein Artikel handelte von den Folgen des Plastikmülls im Meer. "Ich bekam große Angst", erinnert sie sich. "Jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, wurde ich ganz panisch. Manchmal passierte das alle zehn Minuten. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren." Seitdem liest sie alles, was sie über Umweltschutz finden kann.

ESA Sentinel-5P Aufnahmen der Umweltverschmutzung über Japan und China
Stickoxidkonzentration in der Atmosphäre über China, Korea und Japan (9/2018)Bild: ESA

Nach sieben Tagen kam die Polizei

Im März 2019 waren die "Fridays for Future"-Proteste zu einer weltweiten Bewegung angewachsen. In mehr als 100 Ländern gingen Schüler auf die Straße. "Als ich sah, dass sich niemand in China beteiligt hatte, war ich sehr enttäuscht", erinnert Howey sich. Sie beschloss, dass sie die erste Schülerin sein wollte, die in China für das Klima streikt. Zwei Monate später postete sie ein Bild auf Twitter, das sie vor dem Verwaltungsgebäude von Gulin zeigt. Auf ein Pappschild hatte sie eine Botschaft an ihre Mitschüler geschrieben. "Wir brauchen Euch", stand da. Sieben Tage blieb sie vor dem Sitz der Verwaltung. Dann nahm die Polizei sie mit.

Proteste gegen Umweltverschmutzung sind gar nicht so selten in China. Im Juli 2019 demonstrierten Tausende Anwohner in der zentralchinesischen Metropole Wuhan gegen eine geplante Müllverbrennungsanlage. Es kam zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei. Tage später verkündete die Stadtregierung, dass sie die Pläne fallen lassen wolle.

2016 gelang es Bewohnern der Stadt Longtou in Ostchina, eine geplante Ölraffinerie zu stoppen. Inzwischen kursieren aber wieder Nachrichten, dass der Bau wiederaufgenommen worden sei. Auch im südwestchinesischen Kunming und in einem Vorort von Shanghai waren ähnliche Proteste erfolgreich.

Doch immer ging es dabei um ein konkretes Projekt, das von Anwohnern verhindert wurde, die um ihre Gesundheit fürchteten. Forderungen nach einem Politikwechsel sind in Chinas repressivem System nach wie vor heikel.

Greta Thunberg
Howeys Vorbild: Greta ThunbergBild: picture-alliance/D. Chidley

Konflikt mit den Eltern

Howey wurde mit auf die Wache genommen, wo ihr Polizisten erklärten, ihr Protest sei illegal. Sie informierten ihre Eltern und warnten sie vor Konsequenzen, sollte sie weitermachen. Howey ist seitdem nicht wieder vor das Regierungsgebäude gezogen. "Ich bin nicht besonders mutig", sagt sie von sich selbst. Aber aufhören kam für sie auch nicht in Frage.

Zu Hause führen ihre Aktionen zu Streit. Ihre Eltern teilen die Sorgen der Tochter ums Klima. Sie haben auf vegane Ernährung umgestellt, vermeiden Plastiktüten und Flugreisen. Doch mit ihrem Unterrichtsboykott, an dem sie festhält, sind sie gar nicht einverstanden. Wie kaum irgendwo zählen in China Noten und Examensergebnisse für jeden Lebensschritt. Doch Howey wischt die Ängste der Eltern beiseite. "Diese Krise ist die größte Bedrohung der Menschheit", sagt sie entschlossen. "Jeder von uns muss alles tun, um das Klima zu schützen."

Duftblüte Osmanthus
Chinesische Zier- und Nutzpflanze seit Jahrtausenden: Der Osmanthus Bild: Imago Images/Zuma/He Junghua

Bäume für die Zukunft

In einem alten rumpelnden Bus fahren Howey und ein Freund, der sich ihr inzwischen angeschlossen hat, zusammen mit den sechs Setzlingen aus der Stadt hinaus. Sie will die Bäume auf einem Stück Land einpflanzen, das einem Verwandten gehört. Es gibt kaum unbebautes Land rund um Guilin, eine Stadt, die bekannt ist für ihre schroffen Karstberge.

Doch Tang Xiaodi, der alte Bauer, will die jungen Aktivisten unterstützen. "Die Jahreszeiten haben sich hier stark verändert", sagt er. "Früher wurde es im September bereits kalt, heute ist es noch bis in den Oktober und November hinein warm."

Die beiden Aktivisten kämpfen ein wenig mit dem steinigen Boden. Doch mit Hilfe des alten Mannes haben sie bald sechs kleine Gruben ausgehoben und die Setzlinge eingepflanzt. Zweihundert Bäume hat Howey in den letzten Wochen gepflanzt. "Ich glaube, das ist eine gute Art, die Chinesen auf die Klimakrise aufmerksam zu machen." Während die "Fridays-for-Future-Bewegung" in Chinas Internet, das von antiwestlichen Stimmen dominiert wird, häufig verhöhnt werde, bekomme sie auch positive Kommentare, sagt Howey. "Seht her", schrieben die Nutzer dann, "die Schüler in China handeln und pflanzen Bäume, während die Ausländer nur reden."

DW Autorenbild Mathias Bölinger / Leiter Investigation
Mathias Bölinger DW-Reporter und Leiter Investigation, zuvor Korrespondent in Kyjiw und Pekingmare_porter