China-Autos aus Bulgarien
28. Februar 2012"Der bulgarische Traum von einer eigenen Automobilproduktion ist wahr geworden." Mit diesen Worten wirbt das bulgarische Unternehmen Litex Motors für die chinesischen Autos, die seit knapp einer Woche aus seinem Werk in der nordbulgarischen Kleinstadt Lowetsch rollen. Dieses Motto spiegelt aber nicht ganz die Realität wider: Alle Autoteile werden aus China importiert und dann von den rund 120 Litex-Mitarbeitern zu drei Modellen des größten chinesischen Geländewagenherstellers Great Wall nur noch zusammen geschraubt.
Die Pläne des bulgarischen Eigentümers sind ehrgeizig: Bis Ende 2012 sollen in Lowetsch 4000 Autos produziert werden. Bei voller Auslastung der Kapazitäten könne die Anzahl der Beschäftigten auf 2000 wachsen, sagte Litex-Marketingdirektor Iwo Dekow. "Je nach Nachfrage können wir auch in zwei oder drei Schichten produzieren und 50.000 bis 70.000 Autos pro Jahr herstellen." Laut Litex entsprechen die Autos allen EU-Standards. Es ist geplant, dass in Lowetsch einmal eine größere Industriezone entsteht, in der auch Teile für die chinesischen Autos produziert werden.
Bulgarische Investition mit chinesischem Know-How
Bisher wurden über 30 Millionen Euro in die Produktionsstätte investiert. Wirft man - wie Dessislawa Nikolowa vom unabhängigen bulgarischen Institut für Marktwirtschaft - einen Blick ins Handelsregister, dann sieht es so aus, als sei die chinesische Beteiligung an dem Unternehmen sehr gering. Nikolowa weist jedoch darauf hin, dass auch andere bulgarische Firmen beteiligt sind, bei denen möglicherweise doch chinesisches Kapital dahinter stecken könnte. Laut Handelsregister jedenfalls stammt der Großteil des Kapitals von Litex. Es gehört zu einem der größten Konzerne des Landes, der hauptsächlich mit Ölprodukten handelt, aber auch in den Bereichen Energie, Lebensmittel, Transport, Tourismus und Immobilien tätig ist. Bis 2017 soll sich die Investitionssumme im Litex-Werk verdreifachen.
Bei der Standortwahl dürften für den chinesischen Autobauer Great Wall die niedrigen Löhne und Steuern in Bulgarien eine große Rolle gespielt haben. Entscheidend sei jedoch der gute Zugang zum europäischen Automobilmarkt gewesen, betont die Wirtschaftsexpertin Nikolowa. Da Bulgarien EU-Mitglied ist, entfallen für die in Lowetsch gebauten chinesischen Autos Zölle und andere Einschränkungen, die sonst für Produkte aus China gelten, erklärt sie.
Litex und Great Wall wollen sich mit Autos auf dem europäischen Markt behaupten, die zwischen 8000 und 12.800 Euro kosten. Das sei zwar ehrgeizig, aber nicht unrealistisch, sagt Dessislawa Nikolowa. Denn es gehe um Autos, die zu den günstigsten ihrer Klasse zählen. "Und wie wir wissen, greifen die Konsumenten in Zeiten der Krise auf günstigere Produkte zu." Mit Blick auf die Wirtschaftskrise könnten Litex und Great Wall ihrer Ansicht nach durchaus eine Marktnische erobern.
Dubioser Geschäftsmann als Hoffnungsträger
Ganz neu ist die Automobilproduktion in Bulgarien nicht: Vor 17 Jahren kam der britische Hersteller Rover hierher, um das Modell Maestro zu bauen. Doch nach einem Jahr scheiterte das Unterfangen. Die Anfänge der bulgarischen Automobilproduktion reichen noch weiter zurück, und zwar bis in die Zeit des Kommunismus: Ende der 1960er Jahre wurden der sogenannte Bulgarrenault und der Fiat Pirin gefertigt, später Modelle der sowjetischen Marke Moskwitsch. Doch nach wenigen Jahren wurde die Produktion eingestellt.
Damals habe sich die 40.000-Einwohner-Stadt Lowetsch als wichtiges Produktionszentrum erwiesen, sagt Georgi Schiwarow, der stellvertretende Vorsitzende des bulgarischen Industrieverbands. "Daher wundert es nicht, dass die Automobilfabrik jetzt genau dort gebaut wurde."
Für die Wahl des Werkstandortes gab es auch andere Gründe, weiß Mintscho Kasandschijew, Bürgermeister von Lowetsch. Der Eigentümer von Litex Motors, Grischa Gantschew, stammt aus dieser Stadt. "Er liebt seine Heimstadt und hat deshalb entschieden, die Fabrik hier zu bauen. Und das, obwohl sie sich nicht in der Nähe wichtiger Transportverbindungen befindet, was die Produktion bestimmt nicht kostengünstig macht." Und es seien auch keine EU-Subventionen geflossen, unterstreicht Kasandschijew.
Der Ruf des Unternehmers Gantschew ist allerdings nicht unumstritten. Der Name des Litex-Eigners - dem auch der Fußball-Erstligist Litex Lowetsch gehört - tauchte im vergangenen Jahr in geheimen US-Depeschen auf, die das Online-Portal WikiLeaks publik machte. Gantschew sei ein Geldwäscher und habe Verbindungen zur organisierten Kriminalität, hieß es da.
Chancen für das ganze Land
Der Bürgermeister von Lowetsch freut sich hingegen über die neuen Arbeitsplätze, die Grischa Gantschew schafft. Die Region, sagt er, könne wieder attraktiv für junge Menschen werden, die nach der Wende die Kleinstadt auf der Suche nach einer besseren Zukunft verlassen haben.
Georgi Schiwarow vom bulgarischen Industrieverband sieht Chancen nicht nur für die Region sondern für das ganze Land: Es sei lobenswert, dass man wieder versuche in Bulgarien Autos zu bauen, auch wenn es dabei am Anfang lediglich um das Zusammensetzen der Autos geht. "Denn die Automobilindustrie kann andere Industriebranchen aufleben lassen, so dass später vielleicht Zulieferbetriebe in der Textil-, Chemie- oder Metallindustrie entstehen."
Auch Dessislava Nikolowa hebt die positiven Effekte dieser Investition hervor: "Nach dem Bauboom der vergangenen zehn Jahre ist diese Branche zusammengebrochen und steckt immer noch in der Krise. Die bulgarische Wirtschaft braucht neue Wachstumsmotoren und Investitionen in neuen Branchen." Dass Bulgarien jetzt von Great Wall als Sprungbrett für den EU-Markt benutzt wird, stört Nikolowa nicht.
Neuer Anlauf trotz Fehlschläge
Frühere Versuche chinesischer Autobauer, sich ein Standbein in Europa aufzubauen, waren nicht erfolgreich. Der Konzern Great Wall scheint nun durch geglückte Unternehmungen in anderen Ländern Mut geschöpft zu haben: In Russland, der Ukraine, Indonesien und Ägypten hat er bereits eigene Werke aufgebaut. In Bulgarien fährt Great Wall nun eine aggressive Marketing-Offensive: Neben günstigen Preisen bietet der chinesische Konzern auch eine Fünf-Jahres-Garantie.
Autorin: Blagorodna Grigorova
Redaktion: Robert Schwartz