Chinatown in Tel Aviv
7. April 2009Aus überdimensionalen Boxen vor der Ladentür dröhnt chinesische Popmusik, drinnen gibt es Karten zu kaufen, mit denen man besonders billig in die Philippinen oder nach Thailand telefonieren kann. Nebenan im "Kingdom of Pork" gibt es unkoscheres Schweinefleisch und ein Asia-Supermarkt reiht sich an den anderen. Es herrscht Betriebsamkeit rund um den alten Busbahnhof in Tel Aviv. Frauen schleppen vollgestopfte Tüten nach Hause, Marktschreier preisen ihre Kohlköpfe an und man fühlt sich eher wie auf einem asiatischen Straßenmarkt, als in Israel. "Manila-Avenue" nennen die Tel Aviver darum diesen Straßenzug: Hier leben, arbeiten und shoppen die asiatischen Gastarbeiter.
Auch Shreejana Mahat wohnt hier. Es ist 21 Uhr, gerade steigt sie aus dem Bus und hat endlich Feierabend. Jeden Tag pendelt sie nach Herzlyia, eine Kleinstadt im Norden von Tel Aviv. Dort arbeitet sie für eine Familie: Einkaufen, Waschen, Putzen, für die Kinder sorgen – eben alles, was im Haushalt anfällt.
200.000 Asiaten in Israel
Eigentlich ist Shreejana Lehrerin. In ihrer Heimat Kathmandu in Nepal hat sie Mathematik und Wirtschaftswissenschaften unterrichtet, doch der Monatslohn von umgerechnet rund 300 Dollar reichte für die 33-Jährige kaum zum Überleben. Das Leben sei dort fast genauso teuer wie in Israel und die politische Situation schlecht, erzählt sie. Weil sie dort keine Zukunft mehr sah, hat sie sich entschieden, nach Israel zu gehen.
Rund 200.000 Asiaten leben und arbeiten derzeit in Israel, denn seit die Regierung die Palästinenser als Sicherheitsrisiko betrachtet, werden zunehmend asiatische Billiglöhner angeworben. Philippinerinnen, die Israels Senioren als Haushälterinnen und Pflegerinnen dienen, Thailänder, die in der Landwirtschaft arbeiten und Chinesen, die auf dem Bau schuften. Tatsächlich hängen Job und Herkunftsland zusammen, bestätigt Romm Lewkowicz von der Hotline für Arbeitsmigranten in Tel Aviv, ein Verein, der sich um die neuen Einwanderer kümmert, auf ihre Grundrechte pocht und Rechtsbeistand leistet. "Das liegt an den Sprachkenntnissen", erklärt er. "Philippiner sprechen englisch und sind von allen Einwanderergruppen meist die am besten ausgebildete."
Zur Kasse gebeten
Doch wer in Israel arbeiten will, muss in Vorkasse gehen: 6.000 US-Dollar musste Shreejana für Visum und Arbeitserlaubnis zahlen. Manche zahlen sogar bis zu 20.000 Dollar, sagt Romm. Nutzniesser sind private Vermittlungsagenturen, die im Auftrag der israelischen Regierung handeln. "Das ist Wahnsinn!", empört er sich, "zu Hause verdienen sie 100 Dollar im Monat, wie sollen sie solche Summen aufbringen?" Fast alle verschulden sich oder leihen sich das Geld bei dubiosen Geldgebern. Manchmal schickt auch ein ganzes Dorf gemeinsam eine Person nach Israel.
Noch problematischer aber sei, so Romm, dass die Visa lange Zeit an den Arbeitgeber gebunden waren. Wer seinen Job verlor, verlor auch die Aufenthaltsgenehmigung. Zwar hat der oberste Gerichtshof diese Visapraxis bereits 2002 verurteilt, doch in der Realität existiere sie nach wie vor, sagt der Menschenrechtler. Von seiner Arbeit bei der Hotline kennt er zahlreiche Fälle: Arbeiter, die um ihren Lohn gebracht werden: Frauen, die belästigt oder missbraucht werden, oder solche, denen ihr Arbeitgeber den Pass weggenommen hat.
Anwerben und abschieben
Das führt zu der paradoxen Situation, dass Israel einerseits Ausländer anwirbt, andererseits aber wieder abschiebt. Und daran verdienen auch die Agenturen – denn jeder Gastarbeiter, der neu einreist, bringt Geld. Darum fordern die Menschenrechtler von der Hotline eine Abschaffung dieses Abhängigkeitsverhältnisses: "Jeder muss frei entscheiden dürfen, irgendwo nicht zu arbeiten", sagt Romm, "das unterscheidet ihn vom Sklaven!"
Aber viele trauen sich nicht, etwas zu sagen, aus Angst um ihre Aufenthaltsgenehmigung. Hinzu komme, dass gerade Frauen aus ihrer Kultur eher schüchtern seien und nicht den Mund aufmachten, erzählt Shreejana. Gemeinsam mit anderen Nepalesinnen hat sie "Nepalese women’s voice" gegründet, eine informelle Gruppe, die die Frauen über ihre Rechte aufklärt und sie unterstützt.
Shreejana selbst hatte Glück: Sie schaffte den Jobwechsel und mit ihrer jetzigen Familie ist sie zufrieden - doch eine neue Heimat hat sie in Israel nicht gefunden. "Ich liebe Nepal! Ich vermisse die Natur, die Berge, den Regen, das Grün!", erzählt Shreejana und bekommt glänzende Augen. In Israel sei ihr bewusst geworden, was sie wirklich will: "Wenn ich genug Geld habe, gehe ich zurück", kündigt sie an, "ich will in Nepal als Sozialarbeiterin arbeiten und den Menschen, denen es schlecht geht, helfen. Ich will etwas für sie tun!"
Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Diana Hodali