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Tibetische Flüchtlinge in Nepal

Marleen Heuer29. August 2016

Flüchtlinge aus Tibet werden im benachbarten Nepal zwar geduldet, aber sie leben isoliert und in unsicherer Rechtslage. Von der neuen Regierung haben sie nicht viel zu erwarten, denn China macht seinen Einfluss geltend.

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Tibetische Mönche und Flüchtlinge werden bei Protesten auf Kathmandus Straßen von nepalesischen Polizisten aufgehalten (c) Getty Images/AFP/S, Singh
Bild: Getty Images/AFP/S, Singh

"Bevor mich die Polizei festnehmen konnte, flüchtete ich mit den anderen durch die Hintertür", erzählt Pasang Chunda Lama. Der Student wollte friedlich den 81. Geburtstag des Dalai Lama in der tibetischen Enklave Boudha feiern. Mehrere hundert Exiltibeter waren Anfang Juli zu dem Fest im Norden Kathmandus gekommen. Doch bevor es richtig losging, räumten Polizisten das Gelände.

30 Tibeter wurden festgenommen, unter ihnen auch Mitglieder der tibetischen Exilregierung. "Wir haben uns seit Monaten auf diesen Tag vorbereitet. Eine Bühne und Pavillons aufgebaut, Lieder und Tänze geübt", sagt Lama. Er ist enttäuscht und wütend. Laut eines tibetischen Nachrichtenportals hatten die Behörden die Feier zu Ehren des tibetischen Oberhauptes zuvor genehmigt.

Entwicklungshilfe auf Chinesisch

Der Druck auf die in Nepal lebenden Tibeter steigt, seit der Einfluss Pekings wächst. Die sechsmonatige Blockade der Grenze zu Indien 2015, für die die Regierung in Kathmandu Neu Delhi verantwortlich machte, hatte die Beziehungen zwischen Nepal und Indien abkühlen lassen. Auslöser für die Krise waren die Proteste der im Süden Nepals beheimateten Madhesi-Volksgruppe, die sich durch die neue Verfassung benachteiligt sehen. Das führte zugleich zu einer Annäherung an China. "Die chinesische Regierung zeigt sich großzügig, verteilte nach dem Erdbeben im April 2015 Hilfsgüter und versprach Investitionen in die Infrastruktur. In Wahrheit hat sie die Notlage in Nepal aber geschickt für sich genutzt", sagt die Geschäftsführerin der Tibet Initiative Deutschland Nadine Baumann.

Mittlerweile ist China der größte Investor im ärmsten Land Südasiens. Doch die Entwicklungshilfe gibt es nicht umsonst. Als Gegenleistung fordert Peking von Kathmandu eine schärfere Grenzsicherung an der 1236 Kilometer langen gemeinsamen Grenze. Laut einer vertraulichen Mitteilung der amerikanischen Botschaft, die bereits 2010 von WikiLeaks veröffentlicht wurde, fordert Peking von Kathmandu die Verstärkung der Grenztruppen. Außerdem "belohnt China nepalesische Militärs, indem es ihnen für die Auslieferung von Tibetern, die über die Grenze fliehen wollen, finanzielle Anreize gibt", heißt es in dem Dokument weiter.

Ein Exiltibeter lässt sich im indischen Dharamsala von zwei als chinesische Polizisten verkleidete Aktivisten verhaften (c) picture-alliance/dpa/S. Baid
Protestaktion: Ein Exiltibeter lässt sich im indischen Dharamsala von zwei als chinesische Polizisten verkleideten Aktivisten verhaftenBild: picture-alliance/dpa/S. Baid

China sieht die flüchtenden Tibeter als Bedrohung seiner Souveränität. Für den ehemaligen chinesischen Botschafter in Nepal Sun Heping sind die Exiltibeter "illegale Grenzüberschreiter und damit Kriminelle, die im Namen der Religion anti-chinesische Aktivitäten in Nepal durchführen."

Am Rande der Gesellschaft

Etwa 20.000 Tibeter leben in Nepal. Viele von ihnen wohnen in ehemaligen Auffanglagern, die mit der Zeit zu festen Siedlungen geworden sind. Die größten Gemeinden sind mit bis zu 1000 Menschen in Kathmandu und Pokhara. Die winzigen Häuser stehen dicht aneinander gereiht. Provisorische Wellblechhütten und gepflegte Bungalows wechseln sich ab. Die Bewohner, die es sich leisten können, haben sie in hellen Farben gestrichen. Oft wohnen bis zu drei Generationen zusammen auf engstem Raum in ein oder zwei Zimmern. Die tibetischen Gebetsfahnen – rot, grün, gelb, blau, weiß – flattern über den Straßen und in den Gärten. An zahlreichen Häuserwänden stehen Graffitis mit den Worten "Free Tibet".

Die Strukturen sind gefestigt. Denn die insgesamt zwölf Siedlungen, von denen es viele seit der ersten Flüchtlingswelle Anfang der 60er Jahre gibt, unterstehen der tibetischen Exilregierung. In den Gemeinden gibt es tibetische Schulen, Klöster, Supermärkte und sogar Kliniken. So hat sich eine tibetische Gesellschaft entwickelt, die mit den Nepalesen nicht viel Kontakt hat.

Leben ohne Identität

"Insbesondere für die junge Generation, die unter der immer schärfer werdenden Politik leidet, gibt es keine Perspektiven im Land. Es gibt weder die Möglichkeit, sich in den nepalesischen Alltag zu integrieren, noch die tibetische Identität zu leben", sagt Baumann von der Tibet Initiative Deutschland. Seit 1989 stellt Kathmandu den Tibetern keine offiziellen Dokumente mehr aus. Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerk hat mittlerweile die Hälfte der in Nepal lebenden Flüchtlinge keine Papiere.

Eine tibetische Frau webt in einem Flüchtlingslager einen Teppich um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. (Foto: picture-alliance/dpa/P. Tuladhar)
Das Weben und der Handel mit Teppichen ist für Exiltibeter eine der wenigen Möglichkeiten Geld zu verdienenBild: picture-alliance/dpa/P. Tuladhar

Ohne Papiere dürfen sie nicht zur Schule gehen und finden somit auch nur schwierig Arbeit. Außerhalb der Siedlungen haben sie ihre Nischen im Tourismus, in der Gastronomie oder im Verkauf von tibetischen Souvenirs gefunden. Eine ganze Industrie haben sie mit dem Weben und dem Handel von Teppichen aufgebaut. Doch offiziell dürften die Tibeter in diesen Bereichen nur mit einer Aufenthaltsgenehmigung arbeiten. Einige befürchten, dass China auch in diesen letzten Nischen den Druck erhöhen könnte.

Im Schatten der Mächtigen

Daran wird wahrscheinlich auch der Anfang August neu gewählte Ministerpräsident Pushpa Kamal Dahal nichts ändern. Der Anführer der maoistischen Bewegung war 2008 schon für kurze Zeit Ministerpräsident gewesen und hatte eine Annäherung an China in die Wege geleitet. Er beteuerte in mehreren Interviews die im Frühjahr 2016 verhandelten Abkommen seines Vorgängers Khadga Prasad Sharma Oli mit Peking aufrechtzuerhalten. "Wir bemühen uns um eine Balance der Außenbeziehungen mit Indien und China." Die Hoffnung: Indien und China teilen sich die Investitionen auf. Indien bekommt die Aufträge für Wasserkraft, China finanziert die Infrastruktur im Sinne seines neuen Seidenstraße-Projektes.

Für die Exiltibeter bedeute das, dass Pekings Einfluss auf absehbare Zeit nicht weniger werde, so Nadine Baumann. "In Zukunft wird es also allgemein schwerer für die tibetischen Flüchtlinge, die noch in Nepal leben, und es wird nahezu unmöglich sein, dass weitere in Nepal Fuß fassen."