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Chinas Kritiker werden nicht verstummen

10. Dezember 2010

Liu Xiaobo sitzt im Gefängnis, weil er China kritisiert. Jetzt bekommt der Autor den Friedensnobelpreis. Unser Kollege Shi Ming sagt, dass China seine Kritiker auf lange Sicht nicht zum Schweigen bringen kann.

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Plakate mit dem Konterfei des Autoren Liu Xiaobo (Foto: AP)
Bild: AP

China ist entrüstet, wettert und macht Druck, weil der Friedensnobelpreis in diesem Jahr an einen Chinesen verliehen wird, der sich für Menschenrechte in seinem Land einsetzt und die Regierung kritisiert. Öffentlich, in seinen Texten und mit Aktionen. Die Regierung versucht die Bedeutung des Preises zu schmälern und setzt andere Staaten unter Druck, damit sie nicht bei der Preisverleihung erscheinen. Shi Ming aus der chinesischen Redaktion der Deutschen Welle ist selber Schriftsteller und Journalist und beobachtet den Umgang mit Regimekritikern in China seit langem.

Herr Shi, geht man in China mit allen regierungskritischen Journalisten so um wie mit Liu Xiaobo?

DW-Journalist Shi Ming (Foto: DW)
Shi Ming

Die Repressionen haben viele Gesichter. Manchmal sind sie sehr subtil, im Volksmund sagt man zum Beispiel, dass jemand "zum Tee eingeladen“ wird. Das ist die milde Form eines Verhörs. Jemand wird von der Staatssicherheit zum Tee eingeladen und dabei wird dann dezent gefragt: wo waren Sie denn vorgestern gegen 13 Uhr? Waren Sie da nicht mit einer schönen Frau zusammen? Es gibt aber auch eine Form von Nachbarschaftsgeplauder, das ganz bewusst gesteuert wird. Oder die etwas härtere Repression, bei der jemand als Tourist mit Gewalt in andere Provinzen geschickt wird. Das ist gerade auch einigen Sympathisanten von Liu Xiaobo passiert. Und es gibt natürlich auch die klassische, übliche Form, Menschen in Polizeigewahrsam zu nehmen, in Untersuchungshaft, bis hin zu Verhaftungen und Verurteilungen.

Gibt es dann auch eine große Dunkelziffer von verfolgten Schriftstellern und Journalisten in China, von denen man im Rest der Welt nichts erfährt?

Ja, ganz eindeutig. Im chinesischen Internet tauchen zum Beispiel öfter Artikel auf, bei denen man nicht mehr erkennen kann, wer sie geschrieben hat. Manchmal sind das brisante und literarisch hoch qualifizierte Texte. Entweder ist es so, dass die Autoren so viel Angst haben, das sie ihren Namen nicht nennen oder sie sind verschwunden, nachdem die Texte veröffentlicht worden sind.

Haben die Repressionen durch den Fall Liu Xiaobo in China zugenommen?

Ja, und zwar nicht nur gegenüber Autoren und Journalisten, sondern inzwischen auch gegenüber Künstlern. Bildende Künstler wie Ai Weiwei zum Beispiel, oder Filmkünstler. Alle spüren diese Repressalien, auch wenn sie nicht schreiben, sondern ihre Meinungen anders ausdrücken und verbreiten. Es gibt Blogger, die man wirklich nicht als Autoren bezeichnen kann, aber die bekommen den Druck ebenso zu spüren. Auch wenn sie nur in witziger Form einen satirischen Blog-Text verfasst haben.

Wie können sich regierungskritische Journalisten, Autoren und Künstler denn dann überhaupt noch gefahrlos in China äußern?

Ganz gefahrlos geht es nicht. Aber man kann die Gefahr durch Netzwerke verringern. Heutzutage sind die kritischen Autoren besser vernetzt als jemals zuvor. Sie haben ihre eigene Organisation, die "Independent Chinese PEN“, ein PEN-Zentrum mit Sitz in China, aber auch in der Diaspora. In der Diaspora hat dieses Zentrum mit vielen Investitionen und viel Aufwand eine Website eingerichtet, die regelmäßig aktualisiert wird. Alle Texte, die in China verboten werden, erscheinen dort und werden regelmäßig per Mail wieder zurück nach China geschickt. Solange das klappt, ist es auch wesentlich schwieriger Autoren spurlos verschwinden zu lassen. Manche verschwinden auch nicht deshalb, weil die Regierung hinter ihnen her ist, sondern die Mafia. Weil ihre Texte bestimmte mafiöse Strukturen gestört haben.

Eine weitere Möglichkeit, Text und Meinungen zu veröffentlichen, ist die schnelle Kommunikation über Handys, Twitter und spezielle Flash-Animationen. Eins ist klar: Die kritischen Stimmen verstummen nicht, sie bedienen sich nur anderer Formen. Und mittel- bis langfristig wird die Regierung zumindest in den Städten immer mehr Vertrauen verlieren, die Repressalien werden immer mehr nach hinten losgehen und im Endeffekt der Regierung selbst schaden.

Das Gespräch führte Günther Birkenstock

Redaktion: Marlis Schaum