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Chinas großer Sprung zur Hightech-Macht

Thomas Kohlmann
3. Juli 2018

Bis zum Jahr 2049 will China ganz oben in der Liga der Technologienationen mitmischen. Einige Etappenziele wurden bereits erreicht, bei anderen stockt die Aufholjagd. Teil IV der DW-Serie "Chinas Aufstieg".

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China Hochgeschwindigkeitszug Fuxing
Bild: picture-alliance/Zumapress.com

Die Staats- und Parteiführung in Peking beruft sich im aktuellen Handelsstreit mit den USA regelmäßig auf internationale Regeln und präsentiert sich im Ausland gerne als ganz normaler Akteur auf der globalen Wirtschaftsbühne. Doch in ihrer Wirtschaftspolitik greifen die Entscheider im Reich der Mitte gerne auf planwirtschaftliche Instrumente zurück. Kein Wunder also, dass die Strategie zur Weiterentwicklung der eigenen Volkswirtschaft in großen Plänen daherkommt, der entscheidende dabei ist "Made in China 2025".

In dem Strategiepapier wurden 2015 zehn Schlüsselbereiche aufgelistet, in denen China bis zum Jahr 2025 international führend sein will. Die Bandbreite ist groß: sie reicht von der Luft- und Raumfahrt über Industrieroboter und die Entwicklung von industrieller Software bis zu Hochgeschwindigkeitszügen. Dazu kommen der schnelle Ausbau der Elektromobilität, die Modernisierung der chinesischen Stromnetze und der Aufbau einer weltweit wettbewerbsfähigen Medizintechnik- und Halbleiterindustrie.

Viele dieser Industriebereiche sind die, in denen deutsche Unternehmen führend sind oder - im Fall der Hochgeschwindigkeitszüge - führend waren. Peking hat sich intensiv mit dem deutschen Zukunftskonzept der Industrie 4.0 beschäftigt. Aber anders als in Deutschland kommt die chinesische Digitalisierungsinitiative nicht aus der Wirtschaft, sondern von der Staats- und Parteiführung. Und alle zwei Jahre wird das Erreichte von den Entscheidern in der Hauptstadt auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls nachjustiert.

Infografik Auswirkungen "Made in China 2025" DEU
Je stärker ein Land industrialisiert ist, desto stärker ist seine Wirtschaft gefährdet

Für den CDU-Europaabgeordneten Daniel Caspary ist es daher höchste Zeit, dass europäische Unternehmen mit sensibler Spitzentechnologie besser geschützt werden: "Wenn die chinesische Führung sich auf zehn Wirtschaftssektoren festgelegt hat, wo sie ganz vorne sein möchte, dann ist die Strategie, wie sie das erreichen kann, ganz klar definiert. Ein Punkt ist: Wie können wir Know-how in diesen Staaten abziehen. Der zweite Punkt ist: Wie können wir als chinesischer Staat oder als chinesische Unternehmen ganz gezielt in diese Unternehmen investieren, um Know-how abzuziehen."

Caspary versucht deshalb, eine europäische Gesetzgebung auf den Weg zu bringen. "Wir erleben das jetzt bei KUKA in Augsburg, wo es erst hieß, alles bleibt so wie es ist. Jetzt erleben wir doch, dass Arbeitsplätze in deutlich größerer Zahl als ursprünglich angekündigt in Deutschland abgebaut und nach China verlagert werden. Wir erleben jetzt den Einstieg bei Daimler: zehn Prozent! Eine Sache, die mich wahnsinnig beunruhigt. Man steigt ja nicht einfach so mal mit zehn Prozent bei einem der besten, größten Automobilhersteller ein, sondern hat natürlich strategische Ziele. Und das sind Dinge, auf die müssen wir Antwort geben."

Problembereich Halbleiter

Im Bereich Telekommunikation, bei den Hochgeschwindigkeitsbahnen und bei Anlagen zur Stromerzeugung sehen sich die Planer in Peking bereits jetzt weit vorne. "China sieht sich auf einem sehr guten Weg, bis 2025 einer der weltweit führenden Hersteller von Robotertechnik und alternativ angetriebenen Fahrzeugen zu werden. Die Sorgenkinder sind weiterhin die Halbleiterindustrie und der Bereich der industriellen Software", sagt Jaqueline Ives vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin im Gespräch mit der DW.

Shanghai  ZTE Corporation R&D Center
Durch den US-Bann in Schieflage geraten? ZTE-Forschungszentrum in ShanghaiBild: picture-alliance/dpa/W. Lei

Besonders beim Aufbau einer weltweit führenden Halbleiterindustrie spüren die Chinesen heftigen Gegenwind aus den USA, vor allem bei geplanten Zukäufen von US-Unternehmen aus der Chipbranche. Mitte April verhängten die USA einen siebenjährigen Bann gegen den chinesischen Mobilfunkkonzern ZTE, der US-Unternehmen verbietet, Komponenten wie Chips an ZTE zu liefern. Der US-Senat hatte am 18. Juni für einen weiteren Verkaufsstopp von wichtigen High-Tech-Gütern aus den USA an das Unternehmen gestimmt. Die Senatoren votierten mit 85 zu zehn Stimmen für einen Gesetzentwurf für die Wiedereinführung dieser Blockade. Die Entscheidung des Senats steht im Gegensatz zu Trumps Bemühen, seit Anfang Juni inmitten von Annäherungsversuchen zwischen Peking und Washington im Handelsstreit eine Einigung mit ZTE zu erreichen - im Gegenzug für eine Strafzahlung in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Euro).

Zuletzt hatte ZTE sogar Ende Juni seinen Vorstand ausgetauscht, um die Entscheider in den USA milde zu stimmen, wie das britische IT-Magazin "The Register" berichtete. Demnach sei der bisherige 14-köpfige Vorstand durch ein Direktoren-Team mit acht Mitgliedern ersetzt worden. Die neuen Mitglieder seien unbelastet von den Entscheidungen, die zu den Handelssanktionen gegen ZTE geführt haben. 

In den USA sind zuletzt Übernahmeversuche gescheitert, wie der Kauf des US-Chipherstellers Qualcomm durch den seit 2015 von Singapur-Chinesen kontrollierten Halbleiter-Konzern Broadcom für 146 Milliarden US-Dollar. US-Präsident Donald Trump höchstpersönlich hatte den Verkauf untersagt, weil er die nationalen Sicherheitsinteressen der USA durch den Technologietransfer nach Asien bedroht sah. Mittlerweile wurde der Unternehmenssitz von Singapur zurück in die USA verlegt - nicht zuletzt deswegen, weil Broadcom damit wieder als US-Unternehmen gilt, das auf diese Weise andere US-Firmen übernehmen kann.

US-Präsident Donald Trump schien zwar zuletzt auf ein hartes Durchgreifen gegen chinesische Investitionen in US-Technologie-Konzerne verzichten zu wollen. Signale, dass das Weiße Haus vor allem auf eine Überarbeitung bereits bestehender Regeln setzt wurden allerdings Ende Juni durch Aussagen aus Trumps Umfeld wieder in Frage gestellt. Trumps Wirtschaftsberater Larry Kudlow hatte im US-Nachrichtensender Fox dem Eindruck widersprochen, der Präsident nehme eine mildere Haltung gegenüber dem Einstieg Chinas in US-Hightech-Unternehmen ein. Kudlow kündigte ein "sehr umfassendes und sehr wirkungsvolles" Vorgehen an.

Trump hatte zuvor in einem Statement verkündet, dass der Kongress bei der Gesetzgebung zum Schutz von US-Technologien vor schädlichen Übernahmen aus dem Ausland bereits deutliche Fortschritte gemacht habe. Sollte es jedoch verfehlt werden, "die Kronjuwelen der US-Technologie"  und geistiges Eigentum besser vor Akquisitionen zu schützen, die die nationale Sicherheit und die Wirtschaft bedrohten, so werde die Entwicklung strikterer Maßnahmen angewiesen.

Bei den Halbleitern zeigt sich, wie sorgfältig geplant China vorgeht. Für den staatlich kontrollierten "China Integrated Circuit Industry Investment Fund" will die chinesische Regierung nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg 2018 zusätzliche 25 Milliarden Euro lockermachen, um weltweit Hightech-Unternehmen aus dem Chip-Sektor zu schlucken. Nachdem man gesehen habe, wie die Wertschöpfungskette von ZTE durch den US-Zuliefer-Bann massiv in Gefahr geraten ist, versuche die Regierung außerdem, die Auswirkungen so gut wie möglich abzufedern - etwa durch rückwirkende Steuersenkungen für heimische Chip-Hersteller, so Ives.

Halbleiter sind aber auch für westliche Regierungen und Unternehmen sensibel, denn sie spielen in der Rüstungsindustrie eine Schlüsselrolle. Ohne sie stoßen selbst Nuklearmächte wie China bei der Entwicklung neuer Waffensysteme an ihre Grenzen - von der Luft- und Raumfahrt ganz zu schweigen. Außerdem ist die chinesische Regierung beim Aufbau moderner Datennetzwerke mit dem schnellen 5G-Standard für das autonomes Fahren oder die Vernetzung smarter Fabriken nach wie vor auf das technische Wissen und den Zukauf von Komponenten bei Halbleiterproduzenten aus dem Ausland angewiesen. Die geplatzte Qualcomm-Übernahme war deshalb ein herber Rückschlag.

Schöne neue Welt ab 2020?

Internationale Forschung für China

Bei der Künstlichen Intelligenz (KI) hat Peking nachjustiert. Der von der Zentralregierung geforderte Ausbau dieser Schlüsseltechnologie zu einer Marktgröße von knapp 20 Milliarden Euro wird von den Plänen ehrgeiziger Wirtschaftspolitiker in einzelnen Provinzen und Metropolen noch übertroffen: Sie wollen diese Zielgröße bis 2022 mehr als verdoppeln.

Das ist gleichzeitig eine der Achillesfersen der staatlich verordneten Industriepolitik: Um der Zentrale in Peking zu gefallen, legen ehrgeizige Entscheider in den Provinzen noch eine Schippe drauf und schießen dabei oft über das Ziel hinaus. Überkapazitäten sind die Folge, durch die sich die gerade neu aufgebauten Unternehmen einen ruinösen Wettbewerb liefern, wie in der Solarbranche geschehen.

Globales Forschungsnetz

Um Zugriff auf das Wissen internationaler IT-Experten und Hardware-Entwickler zu haben, unterhält das Telekommunikationsunternehmen Huawei mehr als ein Dutzend über die ganze Welt verteilte Forschungszentren. Der erst 2014 gegründete Elektroauto-Hersteller NIO lässt an 30 Standorten weltweit gemischte chinesische und nichtchinesische Teams an Prototypen und neuen Batterietechnologien tüfteln. Die IT-Konzerne Baidu, Tencent und Didi unterhalten im Silicon Valley Forschungszentren für KI. Und der einst als chinesischer Klon von Amazon und Ebay gegründete Megakonzern Alibaba will in den kommenden Jahren mehr als 10 Milliarden Euro in seine Forschungsoffensive stecken, in Zusammenarbeit mit Spitzenforschern an ausgesuchten US-Eliteuniversitäten. Allein Alibaba beschäftigt nach Angaben von MERICS weltweit 25.000 Ingenieure und Wissenschaftler.

Infografik China KI DEU

Dazu kommt, dass immer häufiger im Westen ausgebildete Spitzenkräfte mit chinesischen Wurzeln zurück ins Reich der Mitte gehen, um dort ihre Forschungen weiter voranzubringen. Und vielen gehe es dabei nicht nur ums Geld, meint Jaqueline Ives: "Viele glauben, ihre Kreativität in China mehr ausleben zu können. Etwa weil in China Vorschriften und Gesetze flexibler angewendet werden, um neuen Technologien Raum zu geben, sich schnell und dynamisch zu entwickeln." Das gelte auch zunehmend für westliche Experten, die nach China gehen, "da sie das Gefühl haben, in ihrem Bereich freie Hand zu haben und sich austoben zu können."

Kampf um die Vorherrschaft bei Künstlicher Intelligenz

Erst im Herbst 2017 warnte Eric Schmidt, Chef der Google-Mutter Alphabet, auf einer Konferenz in Washington vor der drohenden Dominanz Chinas auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Das Land wolle dort seine internationalen Konkurrenten technologisch überholen und bis 2030 weltweit führend sein. Schon in weniger als 12 Jahren, so die Vorgabe aus Peking, soll die heimische KI-Branche ein Volumen von rund 125 Milliarden Euro haben. Für Schmidt alles andere als unrealistisch: "Glauben Sie mir, diese Chinesen sind gut", verkündete der Alphabet-Chef den anwesenden Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Militär in Washington.

China Peking gibt Baidu grünes Licht für Tests mit selbstfahrenden Autos
Testfahrzeug für autonomes Fahren des chinesischen Internet-Giganten Baidu in PekingBild: picture-alliance/Imaginechina/Pan Zhiwang

China will künftig die Standards setzen

China hat den Anspruch, industrielle Standards in Zukunft im Reich der Mitte zu setzen. Kein Land steckt mehr Geld in die Forschung, schon heute liegen die chinesischen Forschungsausgaben über denen der USA. 2016 sind nach Angaben von MERICS 2,1 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (mehr als 230 Milliarden Dollar) in Forschung und Entwicklung geflossen, 2020 sollen es 2,5 Prozent sein.

Doch selbst China wird nicht alle seine Ziele erreichen, meint Jaqueline Ives. "Der Anspruch, die gesamte chinesische Wirtschaft zu automatisieren und zu digitalisieren, ist sehr, sehr ambitioniert. Viele Fabriken in China sind vielleicht gerade einmal auf Industrie 2.0-Level. Diesen wird es nichts bringen, hochentwickelte Technologie für die intelligente Fertigung anzuschaffen. Es gibt eben eine Diskrepanz zwischen dem ambitionierten Ziel der Regierung und den eigentlichen Bedarfen vieler Unternehmen vor Ort."

Dieser Artikel stammt vom 11.5.2018 und wurde am 3.7.2018 aktualisiert.