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CERN-LHC auf vollen Touren

Cornelia Borrmann3. Juni 2015

Im Large Hadron Collider (LHC) in Genf finden seit Mittwoch wieder Teilchenkollisionen statt. Diese erreichen jetzt doppelt so hohe Energien wie bisher und sollen das Tor zu einer neuen Physik öffnen.

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Neustart des Teilchenbeschleunigers CERN
Bild: R. Juilliart/AFP/Getty Images

Seit dem 3. Juni finden in dem riesigen Teilchenbeschleuniger Kollisionen mit 13 Teraelektronenvolt (TeV) statt. Seit Ostersonntag lief der LHC wieder und erreichte im Mai seine volle Energie. Jetzt zeichnen die Riesigen Detektoren auch die Kollisionen auf, die vor drei Jahren die Entdeckung des Higgs-Teilchens möglich gemacht hatten.

Nun geht es um die Entdeckung von neuen Teilchen, die hoffentlich unsere Welt noch besser erklären: Etwa die Frage nach den Dimensionen, die uns umgeben.

Wenn wir uns im Alltag bewegen, dann haben wir drei Möglichkeiten: nach vorn oder zurück, nach links oder nach rechts und nach oben oder nach unten. In unserer Wahrnehmung hat der Raum drei Dimensionen, dazu kommt als vierte Dimension noch die Zeit.

Teilchenphysiker und Kosmologen haben eine ganz andere Vorstellung von der Welt. Ihre Suche nach einem Gedankengebäude, das Mikrokosmos und Makrokosmos erklären kann und das für alle in der Natur herrschenden Grundkräfte gleichermaßen gilt, führte zu einem Weltbild, das eher wie Science Fiction klingt - die Stringtheorie. Sie funktioniert mathematisch nur, wenn der Raum nicht drei, sondern - schwer vorstellbar - gleich ZEHN! Dimensionen hat.

Ein Universum mit Parallelwelten?

Während sich die uns vertrauten drei Raumdimensionen über Milliarden Lichtjahre erstrecken, sind die übrigen winzig klein und zu einem Knäuel aufgewickelt, die Fachwelt nennt das kompaktifiziert. Deshalb, so die Theorie, merken wir auch nichts von diesen zusätzlichen Dimensionen.

Ein einfaches Beispiel kann das schwer Verständliche fassbar machen: Aus der Entfernung erscheint uns ein Kabel an einer Brücke oder einem Strommast als eindimensionale Linie. Auf dieser Linie könnte sich eine Ameise nur in einer Richtung bewegen. Betrachten wird das Kabel aber aus nächster Nähe, dann erkennen wir: das Kabel hat auch eine Dicke. Diese zweite Dimension ist zu einem Kreis aufgewickelt. Die Ameise kann also nicht nur in eine Richtung krabbeln, sondern auch um das Kabel herum.

Extradimensionen
Eine Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit: so könnten die zusätzlichen sechs Dimensionen aussehen (zumindest wenn man nur drei Dimensionen sehen kann)Bild: scienceblog.de

Vorstoß ins Unbekannte

Kaum zu glauben, aber der Stringtheorie nach sollen sich an jedem Punkt unserer Raumzeit auch alle weiteren aufgewickelten Dimensionen befinden.

Dass solche Extradimensionen groß genug sein könten, um nachgewiesen zu werden, wurde 1998 von den theoretischen Physikern Nima Arkani-Hamed, Savas Dimopoulos und Georgi Dvali postuliert. Mit den Extradimensionen wollten sie ein Problem lösen, das den Physikern schon lange Zeit das Leben schwer machte - die Frage: Warum ist die Gravitation im Vergleich zu den anderen drei Grundkräften der Natur so unglaublich schwach?

Mit Hilfe von zusätzlichen, aufgerollten Raumdimensionen ließ sich dieses Phänomen nun erklären. Der Stringtheorie zufolge sind alle uns bekannten Elementarteilchen in unserem dreidimsionalen Raum gefangen. Während sogenannte Gravitonen - hypothetische Teilchen, die Schwerkraft übertragen - sich in allen Raumdimensionen bewegen können. Nur die Schwerkraft wird also durch Extradimensionen beeinflusst.

Solche zusätzlichen Raumdimensionen wollen die Physiker am CERN nun aufspüren. Die Energie, die sie mit den Teilchenkollisionen im LHC bald erzeugen werden, könnte ausreichen, um Hinweise auf deren Existenz zu finden. Vorausgesetzt einige der Extradimensionen haben eine gewisse Größe.

Simulation Schwarzer Löcher
Die Simultion zeigt, wie die Teilchenspuren aussehen wenn winzig kleine Schwarze Löcher im Detektor entstehen.Bild: Cern

Das Tor zu einer neuen Physik

Eine Möglichkeit für den Nachweis solcher Extradimensionen ist die Erzeugung kleinster Schwarzer Löcher, so winzig wie Elementarteilchen. Sie könnten entstehen, wenn zwei hochenergetische Bausteine der im LHC kollidierenden Protonen sich so nahe kommen, dass die Schwerkraft stark genug ist, um sie aneinander zu binden.

Wenn das Universum nur die drei uns bekannten Raumdimensionen hat, bräuchten die Forscher einen Beschleuniger so groß wie eine Galaxie, um die Teilchen auf die Energie zu bringen, die zur Entstehung schwarzer Löcher notwendig wäre.

Sollten Extradimensionen tatsächlich existieren und eine bestimmte Größe haben, dann verteilt sich das Schwerefeld eines Teilchens auf alle Dimensionen und erscheint in unserer dreidimensionalen Welt abgeschwächt. Die am LHC erzeugte Energie könnte dann aureichen, um die Materie zu einem sehr, sehr kleinen Schwarzen Loch zu verdichten.

Diese Microlöcher hätten eine so kurze Lebensdauer, dass sie sich nicht direkt beobachten lassen. Durch die sogenannte Hawkingstrahlung würden sie sehr, sehr schnell wieder zerfallen. Doch durch die dabei entstehenden Materiebausteine wären sie zu erkennen. Denn die hinterlassen in den schalenförmig aufgebauten Detektoren des LHC ganz charakteristische Muster mit vielen Teilchen, die zudem extrem hohe Energien in den Kalorimetern hinterlassen.

Die Entdeckung solcher Microlöcher wäre ein noch größerer Durchbruch als die Entdeckung des so lang gesuchten Higgs-Bosons. Sie wäre wirklich eine wissenschaftliche Sensation, die das physikalische Weltbild über das Allerkleinste revolutionionieren würde.

Puzzlestein zur Weltformel

Nicht weniger spektakulär wäre der Nachweis des hypothetischen Gravitons bzw. seiner schweren Partner in den Extradimensionen. Das Graviton selbst ist masselos und nicht im Detektor zu sehen, aber seine schweren Partnerteilchen schon. Ein weiterer Ansatz, um zusätzliche Raumdimensionen nachzuweisen. Diese Partikel - der name Graviton sagt es bereits - übertragen die Schwerkraft. Wo sich Gravitonen der Extradimensionen bemerkbar machen, würde die Schwerkraft stärker zunehmen als in unserer dreidimensionalen Welt und von den hier herrschenden Gesetzen abweichen.

Detektion eines schweren Gravitons
Das Bild zeigt einen Durchschnitt durch die inneren Sensorschichten des ATLAS-Detektors. Bei der hier simulierten Kollision entsteht ein schweres Graviton. Die beiden langen Linien stammen von einem Myonpaar mit einer ungewöhnlich hohen Energie. Die grünen Flächen sind Myon-Detektoren im äußeren Bereich des haushohen Detektors.Bild: atlas.web.cern.ch

Wie sich Gravitonen nachweisen ließen, das haben Forscher vom Max-Planck-Institut für Physik, die am ATLAS-Experiment beteiligt sind, schon simuliert. Entstehen in dem riesigen Detektor Elektron- oder Myonpaare mit einer ungewöhnlich hohen Masse, wäre das ein Hinweis. Denn solche Teilchenpaare können durch den Austausch schwerer Gravitonen entstehen.

In diesen Tagen werden die Protonenpakete wieder durch den ganzen 27 Kilometer langen Beschleuniger geschickt. In den kommenden Wochen müssen die Forscher lernen, den Teilchenstrahl zu kontrollieren.

Höchste Präzision ist dabei gefordert. Denn der Strahl hat doppelt so hohe Energie wie zuvor. Und er besteht zudem aus doppelt so vielen Protonenpaketen wie zuvor. Ende Mai soll der LHC schon wissenschaftliche Daten liefern. Bis Ende des Jahres wollen die Physiker erste Entdeckungen präsentieren.