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Star ohne Skandale

Marita Berg5. Mai 2014

Er war der Grandseigneur des Taktstocks, ein Meister der leisen Töne. Unvergessen: Seine legendäre Don Giovanni-Aufnahme aus dem Jahr 1961. Am 9. Mai wäre Carlo Maria Giulini 100 Jahre alt geworden.

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Carlo Maria Giulini Dirigent
Bild: picture-alliance/dpa

Für die "New York Times" war er der "San Carlo of the Symphony", der "Heilige Carlo der Sinfonie". Und eine italienische Tageszeitung nannte ihn einen "stillen Giganten". Unter den großen Dirigenten seiner Generation wirkte Carlo Maria Giulini fast wie ein Antityp, wie eine Ausnahmeerscheinung: Macht-Gehabe kannte er nicht, Skandale suchte man bei ihm vergebens. Für Giulini zählte nur eines: die Musik, der Respekt vor der Komposition und ihrem Schöpfer. Star-Rummel und die Mechanismen der Musikvermarktung waren ihm zuwider: "Das interessiert mich nicht, überhaupt nicht. Ob ich an der Spitze stehe oder nicht, ob ich viele Schallplatten oder wenig verkaufe, das interessiert mich absolut nicht."

Festkonzert für die Befreiung Italiens

Er war gerade einmal 16, als er in am Conservatorio di Santa Cecilia in Rom sein Bratschen- und Kompositionsstudium begann. Schon drei Jahre später saß er als Bratscher im Orchestra Augustea, dem damals führenden Klangkörper Italiens, und spielte unter Leitung großer Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Bruno Walter oder Otto Klemperer. Schnell wurde ihm klar, dass er Dirigent werden wollte. Er absolvierte die Dirigier-Meisterklasse am Konservatorium di Santa Cecilia und debütierte nach dem Zweiten Weltkrieg am Pult des Orchestra Augustea - beim Festkonzert für die Befreiung Italiens durch die Alliierten. Ein Jahr später wurde er zum Chefdirigenten des Rundfunkorchesters in Rom ernannt und von 1950 an hatte er entscheidenden Anteil am Aufbau des RAI-Orchesters in Mailand.

Internationaler Durchbruch

1952 gab er sein Debüt an der Mailänder Scala. Mehr als zehn Jahre lang war die Scala seine wichtigste Wirkungsstätte und Giulini erweiterte das Repertoire des berühmten Opernhauses um zahlreiche bisher vernachlässigte Werke wie Monteverdis "Krönung der Poppea". In dieser Zeit arbeitete Giulini eng mit den damaligen Gesangs- und Regiestars zusammen. Unter seiner Leitung sang Maria Callas 1955 in der legendären Visconti-Produktion von Verdis "La Traviata". Über Nacht wurde Giulini zum gefragten Pultstar: Im selben Jahr noch gab der Verdi-Spezialist sein britisches Debüt in der Zeffirelli-Inszenierung des "Falstaff" beim Edinburgh Festival und 1958 dirigierte er den "Don Carlo" in der Regie Luchino Viscontis an der Covent Garden Opera in London.

Carlo Maria Giulini ist gestorben
Giulini am Pult: "Ich liebe jede einzelne Note".Bild: AP

Abschied von der Oper

1967, nach einer "La Traviata" am Covent Garden, gab Giulini seinen Entschluss bekannt, sich aus dem Opernbetrieb zurückzuziehen: Der Tourismus der Gesangs-Stars zwischen MET und Scala und das moderne Regietheater, so sagte er, lasse den Respekt vor dem Werk und seinem Komponisten vermissen. Er hätte keine Lust, mehr Zeit in Flugzeugen als auf Proben zu verbringen. Und mit Sängern, die erst zur Generalprobe einfliegen, wolle er auch nicht mehr arbeiten. Um Musik zu machen, benötige man Zeit, keine Flugpläne. Noch Jahre später erinnerte er sich wehmütig an die idealen Arbeitsbedingungen seiner ersten "La Traviata", als er, Maria Callas und Luchino Visconti - vor dem eigentlichen Probenbeginn - drei Wochen Zeit gehabt hätten, "alle Fragen des Dramaturgischen" zu diskutieren.

Carlo Maria Giulini Dirigent
Backstage mit Visconti und der CallasBild: picture-alliance/United Archives/TopFoto

Giulini konzentrierte sich fortan auf Sinfonik, auf Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner, Mahler und auf Sakralwerke, auf Beethovens Missa solemnis, auf die Requien von Mozart und Verdi: Als Gastdirigent arbeitete er mit dem Chicago Symphony Orchestra und den Wiener Symphonikern. 1979 wurde er - als Nachfolger von Zubin Mehta - zum Chefdirigenten des Los Angeles Philharmonic Orchestra ernannt.

Carlo Maria Giulini Dirigent
Der "stille" Dirigent Carlo Maria GiuliniBild: picture-alliance/akg-images/Marion Kalter

"Hunger auf Musik"

Der Respekt vor dem Werk ging Carlo Maria Giulini stets über alles. Er könne ein Werk nur dirigieren, hat er immer wieder gesagt, wenn es ein Teil seines Lebens geworden sei und er jede einzelne Note liebe. Er selbst sah sich dabei als ein Vermittler: "Ich bin nur ein ganz kleiner Mensch und ich habe mit Mozart, mit Bach, mit Beethoven, mit all diesen Leuten zu tun", erklärte er: "Was diese Menschen aufs Papier gebracht haben, das sagt erst mal nur wenig. Denn was kann man mit Notenschrift, mit dieser Grafik ausdrücken? Was heißt Andante, was heißt Allegro, was heißt Diminuendo? Das sind nur Worte. Und aus diesen Worten müssen wir versuchen zu verstehen, was diese großen Menschen wirklich sagen wollten. Und nicht nur versuchen zu verstehen, wir müssen es sagen. Denn die 'Großen' sind nicht da, wir Dirigenten müssen es jetzt sagen."

Dieses "Wir müssen es sagen" war Giulinis Motor. Und er wollte es immer bestmöglichst sagen. "Für mich ist Musik immer ein neues Erlebnis. Für mich ist jede Probe verbunden mit großer Emotion, mit großer Anspannung", sagte Giulini: "Ich mache Musik mit meinem ganzen Leben - und ich gebe mein ganzes Leben." Gefragt, ob das der Grund sei, warum er nur so wenig Konzerte gebe, so selten ins Plattenstudio gehe, antwortete Giulini mit einem Lächeln: "Ich habe einmal gelesen, dass ein Fußballtrainer sagte, vor einem wichtigen Match nehme er den Spielern den Ball weg, weil sie Hunger auf den Ball haben sollen. Und ich denke das ist richtig. Ich brauche auch diesen Hunger auf Musik."

Carlo Maria Giulini starb am 14. Juni 2005 nach langer Krankheit im Alter von 91 Jahren in seiner Heimat Italien.