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Böhme: "Bach hat die richtige Balance."

Adelheid Feilcke, Rick Fulker21. Juni 2013

Der Organist Ullrich Böhme ist einer der namhaften Interpreten des Bachfestes in Leipzig. Mit ihm sprach die DW über die Kunst der Bach-Improvisationen und die besonderen Anforderungen des Orgelspiels.

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Ulrich Böhme, Organist der Thomaskirche in Leipzig. Alle Fotos von Adelheid Feilcke in Leipzig am 14.6.2013, Rechte an DW von A. Feilcke übertragen
Ulrich BöhmeBild: DW/A. Feilcke

DW: Trotz der gewaltigen, ungebrochenen Bachtradition in Leipzig nimmt man bei den diesjährigen Konzerten des Bachfestes in der Thomaskirche eine ganz besondere Stimmung wahr. Womit hängt das zusammen?

Böhme: Man muss sich als Thomasorganist stets bewusst sein, in welcher Kirche man sich aufhält, dass Bach hier gewesen ist. Das bedeutet eine enorme Verantwortung. Und dass auch die Gebeine Bachs in der Kirche begraben liegen und er sozusagen leibhaftig zuhört, wenn man spielt. Das ist nicht so leicht. Vielleicht gerät das manchmal in der Hektik des Alltags in Vergessenheit. Ich versuche jedoch immer dran zu denken.

 Den Auftakt des Bachfestes in der Leipziger Thomaskirche bildete Bachs frühes Orgelwerk "Fantasie G-Dur" oder "Pièce d'Orgue". Wie kam es zu dieser Wahl?

Das "Pièce d'Orgue" gehört zu den berühmtesten Orgelwerken Bachs. Es handelt sich um das einzige freie Orgelwerk, das einen französischen Titel trägt. Und es ist eines der in Bachs Weimarer Zeit entstandenen Werke. Ich finde es sehr  schön. Es zeigt diese Festlichkeit und Gravität im Mittelteil und auch eine Menge Virtuosität am Anfang sowie am Ende.

Blick auf das vom Bildhauer Carl Seffner entworfene und 1908 vor der Thomaskirche in Leipzig aufgestellte Denkmal des deutschen Komponisten Johann Sebastian Bach; Foto: Waltraud Grubitzsch
Denkmal des deutschen Komponisten Johann Sebastian Bach in LeipzigBild: picture-alliance/dpa

Dieses Stück lebt sehr stark von der Improvisation. Man spürt, wie der junge Bach sich da richtig auslebt. Lassen Sie sich auch von seiner Improvisationskunst inspirieren?

Auf jeden Fall. Bach hat ja sehr gut und sehr wirkungsvoll improvisiert, wie seine Zeitgenossen berichten. Dafür war er berühmt. Seine aufgeschriebenen Orgelwerke können natürlich nicht wiedergeben, wie fantastisch seine Improvisationen waren. Aber selbstverständlich sind auch seine aufgeschriebenen Orgelwerke sehr eindrucksvoll.

Man sollte als Organist immer versuchen, die Stücke so zu spielen, als würden sie zum ersten Mal aufgeführt. Das ist ja auch bei einer Improvisation der Fall. Manchmal hat man das Gefühl, dass sich auch ein bisschen Routine in die Stücke einschleicht, in diese wunderbaren Kompositionen mit den überraschenden harmonischen Wendungen und mit dieser toll geführten Polyphonie. Daher ist es wichtig, sie so zu hören, als würde man sie zum ersten Mal erleben. Das ist jedenfalls mein Eindruck und das versuche ich auch so umzusetzen.

Sauer-Orgel in der Thomaskirche in Leipzig; Foto: Waltraud Grubitzsch dpa/lsn
Die restaurierte Sauer-Orgel in der Thomaskirche in Leipzig zählt zu den wenigen nahezu original erhaltenen Instrumenten des ausgehenden 19. Jahrhunderts.Bild: picture-alliance/dpa

Die Orgel gilt ja als die "Königin der Instrumente". Welchen Stellenwert nimmt die Orgel in Bachs Werken ein?

Bach hat verschiedene Positionen innegehabt: Er war in seinen jungen Jahren Organist, später dann Kapellmeister, Konzertmeister und dann Thomaskantor. Doch er hat meines Wissens nach immer wie ein Organist gedacht, obgleich er von Amtes wegen nichts mehr mit der Orgel zu tun hatte. Seine Aufgabe in Leipzig war ja nicht mehr, Orgel zu spielen. Doch hier hat er seine besten Orgelwerke nach Zyklen komponiert. Ihm war die Orgel immer wichtig. Und das sollte man auch wissen,  wenn man seine Kantaten aufführt. Bach hat von der Orgel aus gedacht.

Wie erklären Sie sich die große Beliebtheit Bachs? Dass er seit Jahrhunderten Menschen aus allen Kulturkreisen fasziniert und Musiker inspiriert?

Ulrich Böhme, Organist der Thomaskirche in Leipzig. Alle Fotos von Adelheid Feilcke in Leipzig am 14.6.2013, Rechte an DW von A. Feilcke übertragen
Ulrich Böhme, Organist der Thomaskirche in Leipzig.Bild: DW/A. Feilcke

Einerseits ist diese Musik handwerklich so erstklassig gemacht, so wunderbar, dass jeder Fachmann stets seine Freude daran hat. Man entdeckt in Bachs Kunst stets etwas Neues und Unerwartetes. Andererseits sprechen seine Stücke auch ganz gewöhnliche Menschen an. Es gibt Melodien, die jeder sofort mit Bach in Verbindung bringt. Es muss also beides in der Musik sein: das Eingängige, Populäre, Verständliche und auch das Kunstvolle. Bach hat da genau die richtige Balance gefunden.

Der Thomasorganist Prof. Ullrich Böhme unterrichtet an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig und gibt Interpretationskurse im In- und Ausland. Er wurde 1989 dem Kritikerpreis der Leipziger Kulturjournalisten und 2003 mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik geehrt.

Das Gespräch führten Adelheid Feilcke und Rick Fulker.