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Bye-bye Macho!

Astrid Prange de Oliveira8. März 2013

Kinder, Küche, Kulturschock: Der Widerstand von Müttern gegen die Militärdiktatur in den 80er Jahren machte Frauen in Lateinamerika zu Vorkämpferinnen für Gleichberechtigung.

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Bild: picture-alliance/dpa

Aus der Folterkammer in den Präsidentenpalast: Dieser dramatische Lebensweg verbindet Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff und Chiles ehemalige Präsidentin Michelle Bachelet. Ihr politischer Aufstieg steht für die besondere Geschichte der Frauenbewegung in Lateinamerika. Denn diese ging in vielen Ländern aus dem Kampf gegen die Militärdiktaturen in den 70er und 80er Jahren hervor.

Was als Protest von Müttern und Ehefrauen gegen Folter und Entführung von Angehörigen in Lateinamerika begann, entwickelte sich zu einem überaus erfolgreichen Kampf für Gleichberechtigung. "Die politische Mobilisierung hat die Frauen aus ihrer traditionellen Rolle herausgerissen", erklärt Sérgio Costa, Soziologe am Lateinamerika-Institut der FU Berlin. "Denn die Frauen, die soziale Bewegungen organisierten, wollten sich auch zu Hause nicht mehr von ihrem Mann unterdrücken lassen."

Die Mütter der Plaza de Mayo, die während der argentinischen Militärdiktatur (1976 - 1983) stumm von Woche zu Woche in Buenos Aires vor dem Präsidentenpalast protestierten, symbolisieren diesen Aufbruch. Denn der Protest gegen Gewalt und Unterdrückung richtete sich auch gegen die patriarchalischen Strukturen in ganz Südamerika. Bezeichnenderweise kam die Geringschätzung der Frauen durch die Militärregierungen den Müttern entgegen - sie wurden oft nicht so beharrlich verfolgt wie Mitglieder politischer Widerstandsgruppen.

Mütter im Widerstand

"Die Mütter der Verschwundenen haben der organisierten Zivilgesellschaft in Argentinien ein unverwechselbares Gesicht gegeben", bestätigt Anika Oettler, Soziologieprofessorin an der Universität Marburg, die sich auf Lateinamerika spezialisiert hat. Der Kampf gegen die Militärdiktaturen habe in einigen Ländern Lateinamerikas zu einem Aufschwung der Frauenbewegungen geführt.

Viele ehemalige Widerstandskämpferinnen haben die demokratische Entwicklung in Lateinamerika maßgeblich mitgestaltet. In Brasilien schrieben neben Staatspräsidentin Dilma Rousseff auch die beiden Sozialistinnen Lídice da Mata und Luiza Erundina Geschichte. Erundina kam über ihre Mitwirkung in katholischen Basisgemeinden in die Politik und wurde 1988 zur ersten Bürgermeisterin der Millionenmetropole Sao Paulo gewählt.

Dilma Rousseff und Michelle Bachelet
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (li) und Chiles Ex-Staatschefin Michelle Bachelet (re) tauschen sich ausBild: Evaristo Sa/AFP/Getty Images

Die brasilianische Senatorin Lídice da Mata begann ihre politische Karriere im kommunistischen Untergrund und trat 1992 als erste Bürgermeisterin von Salvador da Bahia ihr Amt an. Ausschlaggebend für ihren Sieg war der mütterliche Wahlslogan: "Als Bürgermeisterin werde ich die Stadt regieren wie eine Hausfrau ohne Geld, aber mit fünf Kindern." Aufgrund ihrer vorbildlichen Verwaltung zog sie 1998 als Abgeordnete mit den meisten Stimmen aus Salvador in den Landtag des Bundesstaates Bahia ein.

Auch in Argentinien, Uruguay, in Nicaragua und Chile drangen Widerstandskämpferinnen bis an die Spitze der Macht vor. So setzte sich die Verlegerwitwe Violeta Barrios de Chamorro 1990 gegen den sandinistischen Staatschef Daniel Ortega in Nicaragua durch. In Uruguay gehörte die berühmte Menschenrechtsanwältin Azucena Berrutti dem Regierungskabinett von 2005 bis 2008 als Verteidigungsministerin an. Und in Argentinien ist die ehemalige Widerstandskämpferin Nilda Celia Garré im Kabinett von Staatspräsidentin Cristina Kirchner als Ministerin für nationale Sicherheit verantwortlich.

Feminisierung der Politik

Rund 30 Jahre nach dem Ende der Ära der Militärdiktaturen ist die politische Partizipation von Frauen in Lateinamerika eine Selbstverständlichkeit. Die meisten politischen Parteien haben Frauenquoten eingeführt. Nach Angaben der internationalen Organisation für Parlamente (IPU), die den weltweiten Dialog zwischen Abgeordneten fördert, stieg der Anteil weiblicher Volksvertreter im regionalen Durchschnitt von acht Prozent im Jahr 1985 auf nunmehr 22 Prozent. In Bolivien führt sowohl im Senat als auch im Abgeordnetenhaus eine Frau den Vorsitz.

In New York kämpft nun die ehemalige chilenische Präsidentin Michelle Bachelet im Auftrag der Frauenrechtsorganisation der Vereinten Nationen, UN-Women, für weltweite Gleichberechtigung. Denn trotz der gestiegenen politischen Präsenz, der wachsenden Berufstätigkeit und besserer Bildungschancen gehören Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen auch in Lateinamerika weiterhin zum Alltag.

Nach über 30 Jahren Frauenbewegung in Lateinamerika bleibt die nüchterne Bilanz, dass die Feminisierung der Politik nicht automatisch eine frauenfreundlichere Politik bedeuet. "Politikerinnen vertreten oft eher den Standpunkt ihrer sozialen Schicht oder ihre religiösen Überzeugungen als die Interessen der Frauen", meint die Marburger Soziologieprofessorin Anika Oettler. Und: Beim zähen Kampf um Gleichberechtigung sind die Frauen weiterhin auf die "Machos" angewiesen.

EU-CELAC Gipfel Chile 2013
Boliviens Präsident Evo Morales, an der Seite seiner Amtskolleginnen Dilma Rousseff, Kanzlerin Angela Merkel und Argentiniens Staatschefin Cristina Kirchner beim EU-Celac-Gipfel im Januar 2013 in Santiago de ChileBild: Getty Images