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BVB: Meisterschaft? Welche Meisterschaft?

15. Dezember 2018

Bei eisigen Temperaturen feiert Borussia Dortmund erstmals seit 2010 wieder die Herbstmeisterschaft. Das Wort "Meisterschaft" scheint aktuell jedoch bei Spielern, Verantwortlichen und Fans ein Fremdwort zu sein.

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Fußball Bundesliga Borussia Dortmund - Werder Bremen Nuri Sahin
Ein unheimliches Ensemble: In der Liga ist der BVB ungeschlagenBild: Reuters/L. Kügeler

Michael Polaczek steht unter der Südtribüne und schüttelt den Kopf. Natürlich findet er den Fußball des neuen BVB-Teams begeisternd, aber bitte jetzt nicht abheben. "Herbstmeister gibt's ja eigentlich gar nicht", sagt der Dortmund-Fan und grinst. Was so viel heißen soll wie: Fühlt sich aber ziemlich gut an. Dann wird seine Miene wieder ernst: "Wollen wir mal abwarten, was in der Rückrunde passiert. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste", sagt der 33-jährige Dortmunder, der seit Jahren eine Dauerkarte für die Südtribüne besitzt. "Noch ist nichts gewonnen", sagt er und hat damit zu 100 Prozent die kommunikative Marschroute der Klubführung verinnerlicht. Bloß nicht zu früh freuen, die Saison ist noch lang.

Nach 15 Spieltagen steht Borussia Dortmund so unangefochten an der Tabellenspitze, dass dem Team von Trainer Lucien Favre die so genannte Herbstmeisterschaft, der inoffizielle Titel des Tabellenführers zur Winterpause, nicht mehr zu nehmen ist. Das 2:1 (2:1) gegen Werder Bremen ist der vierte Sieg in Serie und verloren hat der BVB in der Bundesliga noch gar nicht in dieser Saison. Eine Entwicklung, die dem jungen, neuformierten Team wohl niemand zugetraut hat und vielleicht auch deshalb steht man beim BVB konstant auf der Emotionsbremse: "Wir haben noch zwei Spiele. Was sollen wir jetzt ein Fazit ziehen? Ist gut, aber wir spielen in drei Tagen wieder", macht Michael Zorc in seiner unnachahmlich trockenen Art klar. Und Axel Witsel, der neue Leitwolf auf dem Platz, mauert ebenfalls im DW-Interview: "Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um über die Meisterschaft zu reden. Die Rückrunde wird noch lang für uns."

Das Dortmunder Tempo macht den Gegner machtlos

Viel Understatement bei einem Team, das derzeit Fußball-Europa beeindruckt. Zumindest zu Beginn auch gegen Werder Bremen. Bei frostigen Temperaturen um -2 Grad Celsius rollt eine Angriffswelle nach der nächsten über die Spielfeldhälfte von Werder. SVW-Coach Florian Kohfeldt hat seine Elf mit einer breiten Defensivreihe gut eingestellt auf die überfallartig vorgetragenen Konter der Borussia, die oft über die Flügel kommt, und doch scheint Bremen machtlos angesichts der Schnelligkeit des gegnerischen Spiels.

Fußball Bundesliga Borussia Dortmund - Werder Bremen
Kaum zu verteidigen: Das Duo Reus-Alcacer wirkt wie seit Jahren eingespieltBild: picture-alliance/dpa

Und wie schnell es beim BVB gehen kann, sieht man in der siebten Minute: Reus schickt auf der linken Seite Guerreiro steil, der mit einem weiteren schnellen Pass Alcacer findet. Der spanische Stürmer lupft über SVW-Keeper Jiri Pavlenka, doch der zurückgesprintete Davy Klaassen wehrt den Ball artistisch per Grätsche noch kurz vor der Torlinie ab. Kurz darauf ist Reus erneut der Ausgangspunkt einer Chance, doch Klaassen schubst ihn im Strafraum um und Schiedsrichter Guido Winkmann sieht darin eine Schwalbe des Dortmunder Kapitäns (11.). "Muss man pfeifen", grollt Zorc nach der Partie.

Die Energie entlädt sich auf den Rängen

Doch über solche Dinge ärgert sich das neue Dortmunder Team nicht lange. Die pure Lust am Spiel ist schier zu greifen. Als Paco Alcacer nach einem Freistoß von Raphael Guerreiro unhaltbar ins Tor köpft, entlädt sich die ganze Energie des BVB auch auf den Rängen (20.) - wenn auch mit etwas Verzögerung, da der Unparteiische zunächst eine Abseitsposition sieht, sich dann aber wieder korrigiert. Und wie das so ist, wenn es einmal läuft, geht manches ganz leicht. Als Bremens Abwehr den schnellen Jadon Sancho auf der rechten Seite gewähren lässt, kann sich Marco Reus völlig unbehelligt im Strafraum postieren, bekommt den Ball und trifft trocken ins lange Eck - das 2:0 (27). Und dass aktuell auch der in der Vergangenheit schon mal wackelige Roman Bürki starke Paraden zeigt, wie beim sehenswerten Schuss von Kevin Möhwald (32.), ist ein weiterer Beleg dieser These.

Der Gegentreffer durch Max Kruse (35.), der geschickt ausnutzt, dass die junge BVB-Abwehr den Ball nicht aus dem Zentrum bekommt, zeigt zwar, wo die noch unerfahrene Defensivreihe ihre Schwächen hat. Doch da Achraf Hakami, Manuel Akanji und Co. gleichzeitig viel für die Spieleröffnung tun und maßgeblich zur Dortmunder Offensivstärke beitragen, verzeihen ihnen die Fans solche Fehler sofort. Zumal stets die Absicht erkennbar ist, knifflige Situationen spielerisch zu lösen.

Erinnerungen an eine Feier auf der B1

Fußball Bundesliga Borussia Dortmund - Werder Bremen Nuri Sahin Fans
Ihre Helden feiern die Dortmund-Fans auch wenn sie weg sindBild: picture-alliance/dpa

In Halbzeit zwei dreht der Motor des BVB etwas langsamer. Ein Freistoß von Marco Reus zählt noch zu den gefährlicheren Szenen (71.). Das ändert nichts an der Dortmunder Effizienz: Die Mannschaft spielt so gut sie eben muss, um zu gewinnen. Das war in Gelsenkirchen und Monaco so und so ist es auch gegen Bremen. Selbst die Tatsache, dass Mario Götzes Tor in der Nachspielzeit wegen einer Abseitsstellung richtigerweise von Schiedsrichter Winkmann aberkannt wird, tut der Stimmung auf den Rängen keinen Abbruch. Die Fans feiern längst die Herbstmeisterschaft - und in ihrer unnachahmlichen Weise auch Rückkehrer Nuri Sahin, der auch im Bremer Trikot einen tosenden Abschied vor der Südtribüne bekommt.

Und doch schwappt die Euphorie im Stadion nicht gerade über. Schon gar nicht bei Berufs-Realist Lucien Favre. "Die Herbstmeisterschaft bedeutet mir nicht viel. Das ist gut, wir sind zufrieden, aber das nächste Spiel ist immer das Wichtigste." Genau, und der Ball ist rund. Mehr ist auch Borussia-Fan Michael Polaczek nicht zu entlocken. Von der Meisterschaft möchte er noch nicht sprechen. Nur so viel: "Die letzte Meisterschaft haben wir auf der B1 (die Bundesstraße 1, die durchs Ruhrgebiet führt, Anm. d. Red.) gefeiert, mit gefühlt einer Millionen Menschen oder mehr. War ganz cool."