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"Bush war der schlechteste Präsident"

21. Oktober 2009

Seymour Hersh ist eine lebende Legende. Der Journalist hat den US-Folterskandal von Abu Ghraib und Kriegsvorbereitungen gegen den Iran aufgedeckt. Ein Besuch beim US-Enthüllungsjournalisten in Washington.

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Der US-Journalist Seymour Hersh in seinem Arbeitszimmer in Washington.
Will die Mächtigen kontrollieren: US-Journalist Seymour HershBild: Michael Marek

Er gilt als Ikone des US-Journalismus. Einen „globalen Polizeireporter“ nannte ihn die „New York Times“. Im Fernsehen bei CNN und CBS ist er Stammgast, wenn es in US-amerikanischen Politik wieder einmal brennt. Seine Kritiker gehen weniger freundlich mit ihm um. Ex-Präsident George W. Bush bezeichnete ihn als Lügner. Hersh wiederum nennt Bush den "schlechtesten US-Präsidenten der Geschichte". "Seine Politik war völlig irrational."

„Ich liebe meine Land“, hält Seymour Hersh, 72, dagegen. Seine Berichte und Recherchen haben Gewicht: 2004 deckte Hersh die Folterungen im US-Militärgefängnis von Abu Ghraib auf. Er fand gefälschte Dokumente, die die Existenz von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen belegen sollten. Hersh wies die verdeckte US-Unterstützung von Atomprogrammen für Israel und Pakistan nach, sowie die Manipulationen von US-Geheimdiensten vor und während der Irak-Kriege.

Großer Stamm von Informanten

An diesem Morgen sitzt er an seinem Schreibtisch. Alle paar Minuten klingelt das Telefon. Hersh redet schnell, er hat es eilig. Mehrfach bricht er einen Satz ab und beginnt von neuem, sucht nach der passenden Formulierung. Auf dem Tisch stapelt sich ein Berg aus Notizblocks, Büchern, heraus gerissenen Zeitungsartikeln und Manuskriptseiten. Das Ganze gleicht eher einer Abstellkammer, als einem Recherchezentrum.

Seymour Myron Hersh wird 1932 in Chicago geboren. Seine Eltern kommen als jüdische Immigranten aus Polen und Litauen in die USA. Zum Journalismus kommt er aus Zufall, nicht aus innerer Berufung. Für 35 Dollar pro Woche arbeitet Hersh als Polizei- und Gerichtsreporter. Schnell zeigen sich drei Eigenschaften, die ihn bis heute auszeichnen: sein Talent, Informanten zu gewinnen, sein Problem mit Hierarchien und seine Manie zu lesen.

Der Journalist hat sich über Jahrzehnte einen Stamm von Informanten aufgebaut. Im Regierungsapparat, in den Verwaltungen und Geheimdiensten. Manche Gesprächspartner hätten Informationen über Agenten und Tötungsaufträge, sagt Hersh. „Diese Leute leben unter einer ständigen Anspannung, vor allem, wenn sie mit ihren Vorgesetzten nicht einverstanden sind. Wenn die etwas durchsickern lassen, ist ihre Karriere beendet."

Die Mauer des irakischen Gefängnisses Abu Ghraib
Tief recherchiert: Die Mauer des irakischen Gefängnisses Abu GhraibBild: AP

Die Mächtigen kontrollieren

"Sy" Hersh nutzt die Kräfte im Inneren der Apparate zur Informationsbeschaffung. Während Kollegen zu den offiziellen Pressekonferenzen des Pentagons gehen, trifft sich Hersh mit Insidern. Ein großer Teil seiner Arbeit spielt sich außerhalb der regulären Bürostunden oder an Wochenenden ab, in den Häusern von Informanten, in Hotels oder in entlegenen Städten. Weit weg von Washington, „auf neutralem Boden“, so Hersh.

Hersh könnte sich zur Ruhe setzen oder an der Universität Vorlesungen über investigativen Journalismus geben. Stattdessen arbeitet er weiter. „Mir macht das Spaß. Als Journalist kam man Dinge verändern", sagt er, sitzt in seinem Büro und schickt unentwegt E-Mails los. Warum er mit 72 noch immer unverdrossen recherchiert? „Die Mächtigen sollen wissen, dass sie kontrolliert werden.“

Autor: Michael Marek
Redaktion: Benjamin Hammer/Sven Töniges