1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Burkini-Debatte: Die Macht nackter Haut

Farhad Mirza ka
22. Juni 2017

Ein DW-Webvideo über den Burkini ist zum viralen Hit geworden. Hunderte DW-User weltweit diskutieren im Netz über das Recht der Frau auf Freizügigkeit - und ihre Freiheit, sich dagegen zu entscheiden.

https://p.dw.com/p/2fD9a
Webvideo Bikini oder Burkini
Bild: DW

Bikini oder Burkini?

Das kürzlich veröffentlichte Video "Bikini oder Burkini?", das die Entwicklung der deutschen Strandmode seit Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt, wurde in wenigen Tagen hunderttausendfach angeklickt - auf den englischen, deutschen, arabischen, türkischen, chinesischen und persischen Facebook-Seiten der DW. Bisher bekam das Video auf Facebook über 700.000 Views und rief über 13.000 Interaktionen der Nutzer hervor, dabei mehr als 1400 Kommentare (Video auf der englischen Facebook-Seite / Video auf der deutschen Facebook-Seite). 

Die Reaktionen auf das Video zeigen, dass weiterhin umstritten ist, wie viel Haut Frauen in der Öffentlichkeit zeigen sollten und was das nun mit Freiheit, Macht und Politik zu tun haben soll.

Der Burkini ist eine Kombination aus Kopftuch, Tunika und Leggings und wird von manchen muslimischen Frauen als Strandanzug getragen. Als die französischen Behörden ihn im vergangenen Jahr an Frankreichs Stränden gesetzlich verbieten wollten, wurde auch in Deutschland kontrovers über den Burkini diskutiert. Fotos von französischen Polizisten, die muslimische Frauen anwiesen, ihre Burkinis in der Öffentlichkeit abzulegen, verbreiteten sich im Internet und lösten vielfältige Reaktionen aus: Manche protestierten gegen die Kontrollen, andere bejubelten den Vorgang als Verteidigung französischer, weltlicher Werte.

Weibliche Nacktheit als politischer Protest

Weibliche Nacktheit haben feministische Bewegungen in der Vergangenheit genutzt, um gegen die Unterdrückung der Frau zu kämpfen. In der westlichen Welt wurde Nacktheit zu einer Form des politischen Protestes während der sexuellen Revolution der 1960er Jahre. Sie galt als Bedrohung der patriarchalischen Ordnung.

In jüngerer Vergangenheit wurde die radikal-feministische Femen-Gruppe, gegründet in der Ukraine und jetzt in Paris ansässig, bekannt dank barbusiger Proteste gegen die sexuelle Ausbeutung von Frauen. Darüber hinaus ist Nacktheit benutzt worden, um den weiblichen Körper zu entmystifizieren und den männlichen Blick zu entsexualisieren. Und, um dafür zu streiten, dass eine Frau das Recht hat, zu tragen, was sie will, ohne dass es als sexuelle Einladung zu verstehen ist. 

Polizisten stehen vor Badenden am Strand von Nizza
Frankreich, 2016: Polizisten setzen das Burkini-Verbot durchBild: picture-alliance/dpa/Photopqr/Nice Matin/P. Lapoirie

Heutzutage spielt manch eine Frau mit ihrer Nacktheit - auch ohne gesellschaftspolitische Botschaft. Kim Kardashian Wests Hochglanz-Akt, der das Internet 2014 zum Erliegen brachte, ist das Sinnbild einer Kultur, in der weibliche Nacktheit weniger mit Protest als mit Profit zu tun hat.

Aber ist es emanzipiert, einige Teile des Körpers zu zeigen und andere nicht? Werden westliche Frauen gedrängt, ihre Kleider auszuziehen, so wie muslimische Frauen gedrängt werden, sich zu bedecken?

"Wir können nicht für Freiheit stehen und dann Ausnahmen machen"

Unter den verschiedenen Kommentaren zu unserem Burkini-Video herrschte in immerhin einem Punkt Einigkeit. "Der Unterschied zwischen Burkini und Bikini ist, dass der Burkini nicht frei gewählt ist. Er ist eine Pflicht, ein gesellschaftlicher Druck", schreibt ein persischer User.

"Wir können nicht für Freiheit stehen und dann Ausnahmen machen. Entweder unterstützt man ihre Wahl, zu sagen, was sie will, oder nicht", meint ein Leser unserer englischen Seite.

"Meiner Meinung nach müssen wir einen Schleier über die Augen arabischer Männer legen", erklärt ein arabischer User. "Ich schließe mich selbst da nicht aus."

Sind Frauen also gezwungen, Burkinis zu tragen? Das lässt sich nicht pauschal sagen. Es gibt unterschiedliche Gründe, weshalb Frauen Burkinis anziehen. Dabei spielt der jeweilige kulturelle Hintergrund eine Rolle.

Vom religiösen zum politischen Symbol

Der Versuch, den Burkini in Frankreich zu verbieten, wurde gemacht unter der Annahme, dass er ein zur Schau gestelltes religiöses Symbol sei. Doch sobald das Verbot verhängt war, wandelte es sich von einem religiösen Symbol zu einem politischen Symbol, befrachtet mit der Erinnerung an die Erniedrigungen, die Frankreich seinen Minderheiten aus den früheren Kolonien zugefügt hat.

Doch selbst, wenn die Freiheit zu wählen praktiziert wird: Macht das den Burkini nach heutigen feministischen Ansprüchen weniger rückwärtsgewandt? Möglicherweise. Aber jedes Pauschalurteil darüber, was er repräsentiert, kann schnell übers Ziel hinausschießen. Das führt einige DW-Leser zu der Schlussfolgerung, dass das Recht, den Burkini zu tragen, genauso respektiert werden sollte, wie das Recht, ihn abzulehnen.

Burkini: Fluch oder Segen? 

Eine Leserin ist der Ansicht, dass es für Muslimas besser wäre, zu Hause zu bleiben, als den Burkini in der Öffentlichkeit zu tragen. Eine andere Leserin kommentiert auf Twitter: "Indem wir alles tun, um anderen Kulturen gerecht zu werden, lassen wir es zu, dass die westliche Kultur um 100 Jahre oder mehr zurückgeworfen wird."

Allerdings wird der Burkini den Bikini in der westlichen Welt wohl nicht verdrängen. Tatsächlich ermöglicht der Ganzkörperbadeanzug vielen Muslimas den Zugang zu einem öffentlichem Raum, der zuvor für sie tabu war.

Bleibt noch die Frage, ob der Burkini überhaupt bequem und an einem heißen Sommertag angenehm zu tragen ist. Nur wenige Frauen beantworten diese Frage. Dafür tun viele Männer ihre Meinung darüber kund, was Frauen an einem heißen Tag am Strand tragen sollten.

Frankreich hat das Burkini-Verbot übrigens schon wieder aufgehoben. Doch die Burkini-Debatte scheint noch lange nicht beendet.