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Hitzige Griechenland-Debatte

Marcel Fürstenau, Berlin17. Juli 2015

Während der Sondersitzung geraten Regierung und Opposition heftig aneinander. Aber auch Differenzen innerhalb der Koalition sind sichtbar. Und die Linke schwankt zwischen Parlament und Außerparlamentarischer Opposition.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag zum Griechenland-Hilfspaket (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Freud und Leid liegen an diesem Tag nah beieinander - und das hat zunächst nichts mit der Sondersitzung zu Griechenland zu tun. Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) würdigt zu Beginn die Verdienste seines vor wenigen Tagen verstorbenen Fraktionskollegen Philipp Mißfelder, der nur 35 Jahre alt geworden ist. Anschließend gratuliert Lammert Bundeskanzlerin Angela Merkel zu ihrem 61. Geburtstag und wünscht ihr "eine glückliche Hand bei der Bewältigung der Herausforderungen".

Bevor die deutsche Regierungschefin als Erste ans Rednerpult tritt, legt sie den anlässlich ihres Ehrentages erhaltenen Blumenstrauß beiseite. Die Zeit für Geschenke ist in diesem Moment vorbei. Es beginnt eine gut dreistündige leidenschaftliche Auseinandersetzung über den Regierungsantrag zur "Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands". Merkel spricht von Tagen, "die an Dramatik kaum mehr zu überbieten sind". Das zwischen den Euro-Staaten vereinbarte Ergebnis sei "hart", aber: "Wir sind eine Rechtsgemeinschaft." Erster, noch zaghafter Applaus aus den Reihen der Konservativen und Sozialdemokraten.

Merkel: "Nie gekannte europäische Solidarität"

Europa brauche die Fähigkeit zum Kompromiss, wie die Menschen die Luft zum Atmen, sagt die Kanzlerin. Das am vergangenen Wochenende in Brüssel erzielte Ergebnis bezeichnet sie als "eine nie gekannte europäische Solidarität". Auch für die anderen 18 Mitglieder des Euro-Raums sei das Resultat "hart", betont Merkel unter Verweis auf bis zu 86 Milliarden Euro Finanzhilfe. Im Falle einer Staatspleite Griechenlands müssten dafür die Steuerzahler haften.

Die Sorge über dieses mögliche Szenario wird ein wichtiger Grund für Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gewesen sein, ein vorübergehendes Ausscheiden Griechenlands aus der Gemeinschaftswährung ins Spiel gebracht zu haben. Dafür schlägt ihm seit Tagen viel Ablehnung und Hass entgegen. Merkel ist derlei Anfeindungen seit Beginn der Krise 2010 gewohnt. Ihr "herzliches Dankeschön" für Schäuble ist ehrlichen Herzens und löst lang anhaltenden Applaus der Unionsabgeordneten aus. Derweil ist der spärliche Beifall von Seiten der Sozialdemokraten nichts weiter als eine Geste der Höflichkeit.

Viel Kritik an "Grexit"-Gerede

Dass auch die Kanzlerin von Schäubles "Grexit"-Gerede nicht besonders begeistert war, lässt sich in ihrer Rede erahnen. Merkel beschwört die europäische "Schicksalsgemeinschaft" unter Einschluss Griechenlands: "Wir würden grob fahrlässig, ja unverantwortlich handeln, wenn wir diesen Weg nicht versuchen würden." Ausdrücklich erwähnt sie an dieser Stelle die "enge deutsch-französische Zusammenarbeit". Damit will Merkel dem Vorwurf entgegentreten, Deutschland zwinge der gesamten Europäischen Union seinen Willen auf.

Genau das ist die Sichtweise der Linken. Deren Fraktionschef Gregor Gysi darf der deutschen Regierungschefin als Erster entgegnen, knöpft sich aber zunächst den Finanzminister vor: "Herr Schäuble, Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören." Merkel und Gabriel würden sich ihm nur unterordnen. Das sei der "schwerster Fehler ihrer politischen Laufbahn". Schäubles Politik sei "unsozial, antieuropäisch und undemokratisch", kritisiert Gysi.

Deutschland Griechenland Bundestag Proteste am Rande der Sondersitzung (Foto: Fürstenau/DW)
Protest gegen die deutsche Griechenland-Politik vor und während der SondersitzungBild: DW/M. Fürstenau

Was der linke Oppositionsführer im Plenarsaal mit gewohnter Schärfe zum Ausdruck bringt, haben einige seiner Fraktionskollegen kurz vor Beginn der Sondersitzung vor dem Reichstagsgebäude auf ihre Art und Weise getan. Sie mischten sich unter etwa 50 Demonstranten, deren Feindbild einen Namen hatte: Schäuble. Abgeordnete als Teil der Außerparlamentarischen Opposition (APO) - hinter vorgehaltener Hand äußerten sich dazu auch manche Linke kritisch.

Göring-Eckardt: "Was ist nur aus der SPD geworden?"

Während sich draußen großer Protest einer kleinen Gruppe regt, spricht im Plenarsaal der Bundeswirtschaftsminister. Auch Sigmar Gabriel (SPD) erlaubt sich leise Kritik an seinem Kabinettskollegen Schäuble: "Jede Debatte über einen 'Grexit' muss der Vergangenheit angehören." Eine Spaltung hätte Europa in eine viel tiefere Krise als nur die Finanzkrise getrieben. Seine Wortwahl ist teilweise die gleiche wie die der Kanzlerin. Die Bedingungen für das dritte Hilfspaket seien "hart". Griechenland kämpfe um seine Selbstbehauptung. "Dieser Kampf hat auch etwas Großartiges in sich", entscheidet sich Gabriel für ein dramatisch anmutendes Sprachbild. Mancher wird in diesem Moment an eine griechische Tragödie gedacht haben.

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, tadelt Gabriels Rede als "Ablenkungsmanöver". Er helfe dabei, Griechenland in die Zange zu nehmen. "Meine Güte, was ist nur aus der SPD geworden?", fragt Göring-Eckardt, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Schäubles "Grexit"'-Drohung sei ein "historischer Fehler" gewesen. Auch Deutschland sei mal auf die Großzügigkeit der Anderen angewiesen gewesen, erinnert die Grünen-Politikerin an den Schuldenschnitt für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. "Ohne ihn hätte es das deutsche Wirtschaftswunder nicht gegeben."

Nach so viel Kritik und historischen Belehrungen hat der gescholtene Finanzminister endlich die Gelegenheit, sich zu wehren. Schäuble attestiert sich ein "heißes Herz", aber auch einen "kühlen Kopf". Griechenland habe bei den ersten beiden Rettungspaketen die Absprachen nicht eingehalten. Es sei nun ein "letzter Versuch". Es gehe nicht um Griechenland, es gehe um Europa, betont Schäuble. Griechenland müsse jetzt Reformen auf den Weg bringen. Ein Schuldenschnitt sei nach europäischem Recht ausgeschlossen.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (Photo: Sean Gallup/Getty Images)
Buhmann Schäuble - der Finanzminister hat es zur Zeit nicht leichtBild: picture-alliance/dpa/W. Krumm

An diesem Tag blickt Europa nach Deutschland

An diesem Tag sind ungewöhnlich viele internationale Medien im Parlament, nicht nur griechische. Europa schaut auf Deutschland und berichtet darüber, wie der Bundestag mit dem Schicksal Griechenlands umgeht. Die Kollegen aus anderen Ländern nehmen zur Kenntnis, dass es in Merkels CDU etliche Gegner eines dritten Hilfspakets gibt. Bei der SPD sind die Reihen fast geschlossen, ihre Abgeordneten stimmen wie die meisten Grünen mit "Ja". Nur die Linke sagt "Nein". Am Ende steht ein klares Ergebnis: 439 Abgeordnete sind für Verhandlungen über weitere Finanzhilfen, 119 sind dagegen, 40 enthalten sich. Mit diesem Resultat kann Merkel gut leben. Wie Schäuble darüber denkt, ist eine ganz andere Frage.