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Bundespräsident vor dem Rücktritt?

17. Februar 2012

Das hat es in Deutschland noch nie gegeben: Gegen einen Bundespräsidenten soll strafrechtlich ermittelt werden. Wie lange kann sich Christian Wulff noch im Amt halten?

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Bundespräsident Christian Wulff schaut im Schloss Bellevue in Berlin beim Neujahrsempfang fuer verdiente Buergerinnen und Buerger nach unten. Foto: Axel Schmidt/dapd
Bild: dapd

Die Nachricht erreichte Berlin am Donnerstagabend um kurz nach halb acht und schlug ein wie eine Bombe: Die Staatsanwaltschaft Hannover will gegen Bundespräsident Christian Wulff strafrechtlich ermitteln und hat zu diesem Zweck die Aufhebung seiner Immunität beantragt. Nach umfassender Prüfung gebe es "tatsächliche Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung" gegen den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten, heißt es aus der Korruptionsabteilung der Staatsanwaltschaft.

Wie alle Regierungschefs, Minister und Parlamentarier, so ist auch der Bundespräsident für die Dauer seiner Amtszeit vor Strafverfolgung geschützt. Nur der Deutsche Bundestag kann die Immunität aufheben. Der Ablauf des Verfahrens ist klar geregelt: Die Staatsanwaltschaft stellt den Antrag beim Bundesjustizministerium, das ihn an den Bundestag weiterleitet. Bundestagspräsident Norbert Lammert informiert den Immunitätsausschuss des Bundestages. Dessen dreizehn Mitglieder müssen den Antrag prüfen und eine Empfehlung an das Parlament abgeben. Das tritt frühestens am 27. Februar zu seiner nächsten Sitzung zusammen. Stimmt ein Viertel der 620 Abgeordneten des Bundestages dem Antrag auf Aufhebung der Immunität zu, dann ist der Weg für die Staatsanwaltschaft Hannover frei. Sie muss dann prüfen, ob ihr Verdacht ausreicht, um Anklage zu erheben. Ist das nicht der Fall, dann muss sie das Verfahren einstellen.

Ein Wagenbauer des Mainzer Carneval-Vereins (MCV) nimmt am Motivwagen "Angeschlagen", der Bundespraesident Christian Wulff als angeschlagenen Boxer in der Ringecke zeigt, letzte Ausbesserungsarbeiten vor. Foto: Torsten Silz/dapd
Im Karneval ist der angeschlagene Präsident ein großes ThemaBild: dapd

Großzügige Gönner

Bis es soweit ist, gilt für Christian Wulff – wie für jeden anderen Bürger auch – die Unschuldsvermutung. Trotzdem erlangt die Affäre um den Bundespräsidenten nun eine neue Qualität. Seit mehr als zwei Monaten steht Wulff im Kreuzfeuer der Kritik. Praktisch jeden Tag kamen neue Einzelheiten an den Tag, angefangen von der Inanspruchnahme eines günstigen Privatkredits für sein Haus bis hin zu kostenlosen Urlauben bei Unternehmern, mit denen er auch geschäftlich in seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen zu tun hatte.

Einer dieser Unternehmer ist der Filmproduzent David Groenewold. Er soll Wulff einen Urlaub auf Sylt bezahlt und ihn auf das Oktoberfest nach München eingeladen haben. Auch ein Handy soll Groenewold Wulff zur Verfügung gestellt haben. Sorgte Wulff im Gegenzug dafür, dass das Land Niedersachsen millionenschwere Bürgschaften für Projekte des Filmproduzenten bereitstellte? Das ist die Frage, der die Staatsanwaltschaft nun nachgehen will.

ARCHIV: Film-Finanzier David Groenewold posiert beim Sabine Christiansen-Jahresempfang im "Hotel de Rome" in Berlin (Foto vom 23.11.06). Am Wochenende (14./15.01.12) tauchten Berichte auf, wonach sich Bundespraesident Christian Wulff als niedersaechsischer Ministerpraesident den Wechsel von einem regulaeren Zimmer in die Luxussuite eines Fuenf-Sterne-Hotels zahlen liess - und von dem Upgrade angeblich nichts gewusst hat. Der Berliner Film-Finanzier David Groenewold bezahlte beim Muenchner Oktoberfest 2008 nach Medienberichten das Hotel-Upgrade, weil Wulff ueberraschend mit Frau und Kind angereist war. "Mein Mandant hat dafuer, dass Herr Wulff eine bessere Zimmerkategorie erhaelt, 200 Euro pro Uebernachtung bezahlt - es waren insgesamt zwei Naechte, also 400 Euro", sagte Groenewolds Anwalt Christian-Oliver Moser der Zeitung "Bild am Sonntag". (zu dapd-Text) Foto: Stephan Schraps/dapd
Großzügiger Gönner: Der Filmproduzent David GroenewoldBild: dapd

Die Opposition drängt auf Rücktritt

Die SPD kündigte in einer ersten Reaktion an, sie werde für eine Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten stimmen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte Wulff aber auch zum Rücktritt auf: Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen seien mit dem Amt des Bundespräsidenten unvereinbar. Ähnlich äußerten sich die Grünen und die Linken. Der Bundespräsident sei nicht mehr frei und nicht mehr souverän, um sein Amt auszuüben, sagte die Parteivorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch. Grünen-Chefin Claudia Roth rief Wulff zum Amtsverzicht auf. Er sollte sein Amt umgehend ruhen lassen, das sei das Mindeste.

Keine Reaktion gab es am Donnerstagabend aus der Regierungskoalition. Weder bei der CDU/CSU noch bei der FDP wollte sich jemand äußern, auch aus dem Kanzleramt kam kein Kommentar. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird allerdings am Freitag unmittelbar nach Wulffs Erklärung ebenfalls vor die Presse treten.

Bundespräsident Christian Wulff im Schloss Bellevue in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Foto: Axel Schmidt/dapd
Hat Wulff lange gestützt: Bundeskanzlerin MerkelBild: dapd

Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Julia Mahncke