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Tonfetzen erlaubt

20. November 2008

Unter bestimmten Umständen dürfen Künstler Tonfetzen aus fremden Musikstücken für eigene Produktionen übernehmen. Das neue Werk muss sich nach einem BGH-Urteil von der ursprünglichen Tonsequenz klar unterscheiden.

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Techno-Fans auf einem Wagen bei der Love Parade 2007 in Essen (Foto: S. Raison)
Die Techno-Fans wird das Urteil freuen (hier bei der Love Parade 2007 in Essen)Bild: Stephanie Raison

Das so genannte "Sampeln" von Musikstücken ist nach dem Urteil der Karlsruher Richter grundsätzlich zulässig. Eine Zustimmung des Urhebers ist nicht erforderlich, wenn dadurch ein eigenständiges Werk entsteht, das sich von der ursprünglichen Tonsequenz deutlich unterscheidet, entschied der Bundesgerichtshof am Donnerstag (20.11.2008). Allerdings dürfen weder Melodien "geklaut" werden noch Tonfolgen oder Klänge, die der Künstler ohne Probleme selbst einspielen könnte.

Umstrittene Frage

Rapper Moses Pelham (Foto: AP)
Der Beklagte: Rapper Moses PelhamBild: AP

Damit hat der BGH eine in der juristischen Fachwelt umstrittene Frage geklärt. In dem Prozess ging es um eine Klage der Düsseldorfer Gruppe "Kraftwerk" gegen den Produzenten und Komponisten Moses Pelham. Die Band wirft Pelham vor, aus ihrem 1977 aufgenommenen Stück "Metall auf Metall" eine zweisekündige Rhythmus-Sequenz elektronisch kopiert und als fortlaufende Wiederholung dem mit Sabrina Setlur aufgenommenen Song "Nur mir" unterlegt zu haben.

Der Fall ist noch nicht endgültig entschieden. Der BGH verwies das Verfahren an das Oberlandesgericht Hamburg zurück. Es muss nun prüfen, ob Pelham nach den neuen Grundsätzen des BGH zur Benutzung der Sequenz befugt war.

Ausnahmen erlaubt

Bei der Urteilsverkündung stellte der Senatsvorsitzende Joachim Bornkamm klar, dass grundsätzlich auch kleinste Teile eines Musikstücks urheberrechtlich geschützt sind und deshalb nur mit Zustimmung des Urhebers entnommen werden dürfen. Allerdings sehe das Urheberrecht eine Ausnahme von dieser Regel vor: das Recht zur "freien Benutzung" - eine Vorschrift, mit der das kulturelle Schaffen gefördert werden solle. Danach könne die Benutzung fremder Tonträger erlaubt sein, wenn das neue Stück dazu "einen so großen Abstand hält, dass es als selbstständig anzusehen ist", heißt es in der Begründung des Gerichts.

Nicht erlaubt ist eine "freie Benutzung" dem BGH zufolge bei Melodien, aber auch bei Tönen oder Klängen, die ein Künstler selbst einspielen kann oder darf. In diesen Fällen gebe es keine Rechtfertigung für eine Übernahme der "unternehmerischen Leistung" des Produzenten.

Als Konsequenz aus dem Urteil dürfte "Sampling" aber gerade bei solchen musikalischen Sequenzen erlaubt sein, die besonders originell sind und sich damit für eine Nutzung in der elektronischen Musik gut eignen.

Hip-Hop und Techno

Discjockey vor Plattenspielern (Foto: dpa)
Die Zeit der Plattenspieler ist vorbeiBild: picture-alliance/ dpa

Das "Sampeln" von Musik (eingedeutscht vom englischen Wort sample, deutsch: Auswahl) gehört seit Anfang der 80er Jahre zum Musikalltag. Dabei werden Teile eines Songs - manchmal der gesamte Chorus oder der Refrain, manchmal auch nur wenige Sekunden dauernde Soundschnipsel - aus einem Lied herausgenommen und mit anderen Sampels oder neu aufgenommenen Tönen zu einem neuen Song zusammengesetzt.

Das "Sampeln" ist besonders in den Musikrichtungen Hip-Hop und Techno verbreitet. Diese wären ohne die Verwendung von Fragmenten anderer Songs in der heutigen Form nicht denkbar. Die Hip-Hopper benutzten anfangs Schallplattenspieler. Dabei legte der Discjockey seine Platten auf mehrere Plattenteller, scratchte darauf herum, sprang mit der Nadel schnell von einem zum anderen Song oder mischte die verschiedenen Songs zu einem Klangbrei zusammen. Im Vordergrund sprach der Rapper seinen Text dazu ins Mikrofon.

Teure Rechte

Der Plattenspieler als Instrument war eine musikalische Revolution, rief aber auch bald die Anwälte der "gesampelten" Künstler auf den Plan. Mit der Popularität einiger Hip-Hop-Künstler wuchs das Interesse der Rechte-Inhaber, Text und Musik vor unerlaubter Wiederverwendung zu schützen. Der Erwerb der Songrechte, das sogenannte "Sample Clearing", wurde zur gängigen Praxis von Musikproduzenten. Teilweise wurden diese Rechte für die sampelnden Künstler so teuer, dass die Verwendung von Sampels zurückging.

Der technische Fortschritt vereinfachte das Kopieren und Neuzusammensetzen von Tonaufnahmen, so dass Sampeln zum Massenphänomen wurde. Analoge Systeme wie Tonbandschleifen wurden durch die rasante Computerentwicklung bald durch Digitalsampler ersetzt, die selbst das Herauslösen einzelner Töne ermöglichen. Damit begann der bis heute andauernde Rechtsstreit, ab welcher Länge ein Sampel eine "persönlich geistige Schöpfung" darstellt. (gri)